Italien: Was bedeutet Melonis Regierungserklärung?

Giorgia Meloni hat in ihrer ersten Parlamentsrede als Premierministerin ihre Regierungspolitik dargelegt: Sie wolle in der EU stärker für "nationale Interessen" eintreten, verhindern, dass Menschen über das Meer nach Italien flüchten, das Kinderkriegen fördern und die Ukraine weiter unterstützen. Sie habe nie Sympathie für den Faschismus empfunden, betonte sie zudem. Kommentatoren sind sich uneinig in ihrer Bewertung.

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La Repubblica (IT) /

Verpasste Gelegenheit

Für La Repubblica war der Auftritt unzulänglich:

„Meloni hat keine eigene Vision von Italiens Rolle im globalen Wettbewerb dargelegt, das ist der deutlichste Unterschied zu ihrem Vorgänger Mario Draghi. ... Des Weiteren prangerte Meloni den Faschismus zwar an, indem sie ihn mit dem Schrecken der Rassengesetze in Verbindung brachte, dehnte ihn aber nicht eindeutig auf die Zeit von 1922 bis 1938 aus. Eine verpasste Gelegenheit, denn eine rechte Partei, die sich als Interpretin des republikanischen Geistes und Protagonistin der aus dem Antifaschismus hervorgegangenen Verfassung versteht, kann nicht vergessen, dass der Marsch auf Rom [Machtübernahme Mussolinis] - der sich in wenigen Tagen zum 100. Mal jährt - zur Verletzung der Grundsätze von Freiheit und Gleichheit geführt hat, die die Italiener im Risorgimento unter hohen Kosten errungen hatten.“

Corriere della Sera (IT) /

Pragmatisch und klar

Corriere della Sera ist durchaus angetan von Melonis Rede:

„Sie hat sich in einem gesunden Pragmatismus verankert, der eine Anerkennung des Realitätsprinzips darstellt. Und in diesem Sinne hat sie nicht nur die Schlagworte des Wahlkampfs beiseitegeschoben, sondern auch ihre Verbündeten, die bereits im Buch der Träume geblättert hatten, auf den Boden der Tatsachen geholt. Kurzum, Meloni schien sofort in ihre Rolle zu wachsen. Sie ist Premierministerin eines EU-Gründungslandes, das fest mit dem westlichen Block verbunden ist, mit entsprechender Verantwortung und Verpflichtungen.“

El País (ES) /

Wachsam bleiben

El País traut Meloni nicht:

„Italien wird sich weiterhin an Europa orientieren. ... Sie betonte, dass dies im 'nationalen Interesse' Italiens liege - schließlich wird Italien 200 Milliarden an Next-Generation-Mitteln erhalten. Einen 'pro-europäischen' Ton hat Meloni indes nicht angeschlagen. Sie griff die französische Ministerin für europäische Angelegenheiten, Laurence Boone, scharf an, die angekündigt hatte, Melonis Regierung in Sachen Bürgerrechte 'wachsam' zu beobachten. ... Gestern hat sie sich zwar vom Faschismus distanziert, aber den national-populistischen Diskurs, der zu einer Beschneidung der Freiheiten und zu einer Abkehr vom europäischen Projekt führen könnte, hat sie weitergeführt.“

Iswestija (RU) /

Sie kann noch Russlands Stütze werden

Die kremltreue Außenpolitik-Expertin Jelena Panina setzt in Iswestija auf einen Kurswechsel Melonis:

„Im Prinzip ist Melonis Ziel schlicht: Sie will es weiterhin allen recht machen und nicht für etwas Ernstes verantwortlich sein. Melonis atlantische Überzeugungen sollten aber nicht überbewertet werden, sie können sich jederzeit ändern, wenn sich die geopolitische Lage ändert. So ist die Annahme durchaus berechtigt, dass sie unter bestimmten Umständen in einiger Zeit zu einem adäquaten Partner Russlands in Europa werden kann. Übrigens hat auch Viktor Orbán seine politische Karriere als radikaler Atlantiker begonnen, dann aber seine Position den nationalen Interessen Ungarns angepasst.“