Man kann darüber streiten, ob es richtig gewesen ist im Jahr 2003, den Staaten des Westbalkans eine Mitgliedschaft in der EU zu versprechen. Aus heutiger Sicht war es ein Fehler. Aber die Zeiten waren damals anders. Die EU strotzte vor Kraft. Die Union war im Erweiterungsrausch und kannte nur eine Devise: Export von Stabilität durch Erweiterung.
Das war ein Holzweg. Man hätte viel früher beginnen müssen, durch intelligente Formen der Assoziation und wirtschaftlichen Kooperation, etwa eine „Zollunion plus“, stabile und demokratische Reformen in den Nachbarstaaten der EU herbeizuführen.
Tempi passati. Das Versprechen einer Mitgliedschaft von damals lässt sich nicht wieder einkassieren. Das würde in vielen Westbalkan-Ländern zu Unruhen führen und alte Legenden von Verrat nähren. Insofern ist es richtig, dass die EU-Kommission dem Beitrittsprozess des Westbalkans nach 15 Jahren jetzt einen neuen Schub verleihen will. Die Menschen in der Region brauchen eine glaubwürdige Perspektive.
Die Gefahr, dass die Westbalkan-Staaten am Ende auch ohne die nötige Beitrittsreife EU-Mitglieder werden, ist allerdings sehr hoch. Die Kräfteverhältnisse sind jedenfalls nicht so, dass Brüssel alleine entscheidet und die Länder so lange zappeln müssen, bis sie dem strengen Urteil über die notwendigen Anpassungen an EU-Rechtsstandards entsprechen.
Der Westbalkan ist vielmehr geostrategisch und wirtschaftlich eine attraktive Region. Russland, die Türkei, China, Saudi-Arabien und Katar versuchen seit einigen Jahren, ihren Einfluss dort auszuweiten. Die Europäer befinden sich im Wettlauf mit diesen Staaten.
EU will ihren Einfluss sichern
Für viele Serben ist Russland das gelobte Land, im Kosovo macht sich die Türkei breit, China baut wichtige Autobahnen. Letztlich geht es für die Europäer darum, ihren Einfluss möglichst schnell zu sichern – notfalls auch durch überhastete Beitritte.
Es war unklug von der EU-Kommission, Serbien und Montenegro 2025 als Beitrittsdatum in Aussicht zu stellen. Dahinter steht die Vorstellung, dass das Datum nur „indikativ“ sei und als „Ermunterung“ verstanden werden soll. Die Botschaft lautet: Es kann auch noch länger als 2025 dauern, wenn ihr nicht ausreichend reformiert.
Aber hat sich die Kommission wirklich überlegt, was es bedeuten würde, wenn 2025 nicht eingehalten wird? In diesem Fall dürfte es gewaltige Unruhen in Serbien und Montenegro geben, es könnte daraus sogar ein Flächenbrand entstehen – ein gefundenes Fressen für den Strategen Wladimir Putin.