Die Aussicht auf steigende Zinsen sorgt für Unruhe an den Finanzmärkten. Doch Panikmache ist fehl am Platz, denn die Ursachen der Turbulenzen sind positiver Art.
Was steil in die Höhe schiesst, muss irgendwann auch wieder fallen. Hält man sich an diese einfache Weisheit, die nicht allein für die Geldwirtschaft gilt, kommt der jüngste Kurssturz an den globalen Finanzmärkten kaum überraschend. Zwar wusste niemand, zu welchem Zeitpunkt eine solche Korrektur stattfinden würde. Dass sie eines Tages kommen musste, war aber offenkundig. So kletterten die Börsenkurse in den Vereinigten Staaten seit Anfang 2016 ohne nennenswerten Rückschlag auf immer neue Höchststände. Allein im vergangenen Jahr betrug das Kursplus satte 25 Prozent. Selbst wenn sich die Kursrückgänge in den kommenden Tagen auf gegen 15 Prozent erhöhen sollten, stünde man noch immer auf dem Kursniveau des vergangenen Herbstes. Ein Crash wäre das noch keinesfalls.
Panikmache ist daher fehl am Platz. Für eine gewisse Gelassenheit spricht auch der Umstand, dass die Ursachen des Kursrückgangs durchaus positiver Natur sind. Erstmals seit geraumer Zeit erfreuen sich die grossen Wirtschaftsräume nämlich eines synchronen Aufschwungs. In den USA führen die robuste Konjunktur und die tiefe Arbeitslosenquote dazu, dass die Löhne in verstärktem Mass anziehen. Und im Euro-Raum nährt die breit abgestützte Erholung die Hoffnung, dass endlich auch die Europäische Zentralbank (EZB) aus ihrer ultraexpansiven Geldpolitik wird aussteigen können. Beide Entwicklungen sind seit Jahren herbeigesehnt worden. Beide Trends führen aber auch zu steigenden Zinsen, was die Turbulenzen am Finanzmarkt erklärt.
Das Kernproblem ist: Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise haben sich die Investoren daran gewöhnt, dass das Geld zu extrem tiefen Zinsen oder sogar zum Gratistarif abgerufen werden kann. Und sie haben es verinnerlicht, dass die Notenbanken ihre Geldschleusen jedes Mal noch ein bisschen weiter öffnen, wenn sich irgendwo ein Problem für die Finanzmärkte abzeichnet. Die Fortführung solcher Marktverzerrungen wird aber von Jahr zu Jahr teurer. Irgendwann müssen die Zinsen, vor allem jene am Anleihemarkt, wieder das Risiko des jeweiligen Schuldners spiegeln. Der wachsende Lohn- und Inflationsdruck in den USA und die anziehende Konjunktur im Euro-Raum lassen diesen Zeitpunkt nun näher rücken. Mit der Sorglosigkeit am Finanzmarkt ist es daher vorerst vorbei.
Niemand weiss, ob die Entwöhnung vom Billiggeld gelingen wird. Die Notenbanken betreten mit diesem Unterfangen unbekanntes Terrain. Offenkundig ist nur, dass die Fallhöhe beträchtlich ist. So haben Anleger, Privathaushalte, Unternehmen und Staaten die tiefen Zinsen nicht zuletzt dafür genutzt, sich günstig zu verschulden. Laut Zahlen des Institute for International Finance machen die weltweiten Schulden mit 217 Billionen Dollar bereits 325 Prozent der Wirtschaftskraft aus. Eine Finanzkrise, der ein massives Schuldenproblem zugrunde lag, wurde also durch das Auftürmen von noch mehr Schulden zu bekämpfen versucht. Und dieser Turm droht ins Wanken zu geraten, sollten die Zinsen in Zukunft markant steigen.
Der Druck auf die Notenbanken ist entsprechend gross. Verschuldete Staaten und Investoren drängen die Währungshüter dazu, die Normalisierung der Geldpolitik hintanzustellen und auf Zinserhöhungen zu verzichten. Allzu gross ist der Wunsch, das Schuldenproblem elegant aus dem Weg zu inflationieren. Geben die Zentralbanken diesem Druck nach, untergraben sie aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit. Sie sorgen auch dafür, dass sie keinerlei zinspolitischen Spielraum haben werden, wenn die nächste Rezession ansteht. Die Notenbanken dürfen sich daher durch die jüngsten Unruhen nicht von ihrer Normalisierungspolitik abbringen lassen. Zinsrisiken müssen wieder von den Schuldnern getragen werden, Börsenturbulenzen hin oder her.
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