Kommentar

Wer Schulden macht, soll dafür zahlen

Die Aussicht auf steigende Zinsen sorgt für Unruhe an den Finanzmärkten. Doch Panikmache ist fehl am Platz, denn die Ursachen der Turbulenzen sind positiver Art.

Thomas Fuster
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Ob die Turbulenzen an den Märkten anhalten, ist ungewiss. (Bild: Richard Drew / AP)

Ob die Turbulenzen an den Märkten anhalten, ist ungewiss. (Bild: Richard Drew / AP)

Was steil in die Höhe schiesst, muss irgendwann auch wieder fallen. Hält man sich an diese einfache Weisheit, die nicht allein für die Geldwirtschaft gilt, kommt der jüngste Kurssturz an den globalen Finanzmärkten kaum überraschend. Zwar wusste niemand, zu welchem Zeitpunkt eine solche Korrektur stattfinden würde. Dass sie eines Tages kommen musste, war aber offenkundig. So kletterten die Börsenkurse in den Vereinigten Staaten seit Anfang 2016 ohne nennenswerten Rückschlag auf immer neue Höchststände. Allein im vergangenen Jahr betrug das Kursplus satte 25 Prozent. Selbst wenn sich die Kursrückgänge in den kommenden Tagen auf gegen 15 Prozent erhöhen sollten, stünde man noch immer auf dem Kursniveau des vergangenen Herbstes. Ein Crash wäre das noch keinesfalls.

Panikmache ist daher fehl am Platz. Für eine gewisse Gelassenheit spricht auch der Um­stand, dass die Ursachen des Kursrückgangs durchaus positiver Natur sind. Erstmals seit geraumer Zeit erfreuen sich die grossen Wirtschaftsräume nämlich eines synchronen Aufschwungs. In den USA führen die robuste Konjunktur und die tiefe Arbeitslosenquote dazu, dass die Löhne in verstärktem Mass anziehen. Und im Euro-Raum nährt die breit abgestützte Erholung die Hoffnung, dass endlich auch die Europäische Zentralbank (EZB) aus ihrer ultraexpansiven Geldpolitik wird aussteigen können. Beide Entwicklungen sind seit Jahren herbeigesehnt worden. Beide Trends führen aber auch zu steigenden Zinsen, was die Turbulenzen am Finanzmarkt erklärt.

Nach dem Kurszerfall in den USA steht am Freitagmittag auch der deutsche DAX deutlich im Minus. Um 13 Uhr waren es minus 1,7 Prozent. Beim Schweizer SMI waren es zur selben Zeit minus 0,8 Prozent (9. Februar). (Bild: Staff / Remote / Reuters)
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Am Donnerstag beobachten die Börsenmakler an der Wall Street eine neuerliche Baisse. Der Dow-Jones-Index verlor weitere 1000 Punkte, und ging mit einem Minus von 4,15 Prozent aus dem Handel (8. Februar). (Bild: Richard Drew / AP)
Dieser New Yorker Händler mag nicht nicht mehr hinschauen (8. Februar). (Bild: Brendan Mcdermid / Reuters)
In Tokyo schliesst der Nikkei-Index (links) nach dem Sturz des Dow-Jones-Index (rechts) am folgenden Tag ebenfalls mit einem Minus (9. Februar). (Bild: Franck Robinchon / EPA)
Gedämpfte Stimmung auch bei den Börsenhändlern in Nantong im Osten Chinas (8. Februar). (Bild: Chinatopix / AP)
Am Mittwoch hat nach den Turbulenzen vom Beginn der Woche eine deutliche Erholung an den US-Börsen eingesetzt. Zu Beginn des Tages war allerdings die Hektik an der Wall Street wie am Vorabend gross (6. Februar). (Bild: Imago)
Die anfängliche Aufregung legt sich aber bald wieder. Kurz nach Handelsbeginn drehen die US-Indizes wieder ins Plus und bewegen sich anschliessend um die Nulllinie (6. Februar). (Bild: Imago)
Tags zuvor herrschte Panik an der Wall Street. Ein Händler blickt am Montag (5.2.) mit Sorge auf die Bildschirme, wo die Kurse fallen und fallen. (AP Photo / Richard Drew)
Der Kurssturz an den US-Börsen zieht die Aktienmärkte rund um den Globus in die Tiefe. Der Dow Jones Industrial ist an der Wall Street am Montag zeitweise um knapp 1600 Zähler abgesackt und damit um so viele Punkte wie nie zuvor an einem einzelnen Handelstag. (Bild: Richard Drew / AP)
An einem Bildschirm in der New York Stock Exchange (NYSE) sind am Montag die Nachrichten über den Absturz des Dow-Jones-Indexes zu sehen. (Bild: Richard Drew / AP Photo)
Entsetzt blickt ein Händler an der New York Stock Exchange auf den Kurszerfall. (Bild: Imago)
Die bisherigen Jahresgewinne lösten sich schnell in Luft auf, ebenso wie die seit Anfang Dezember erzielten Gewinne. Hektik breitet sich an der Wall Street aus. (Bild: Richard Drew / AP)
Die Ausverkaufsstimmung steckte am Dienstag auch die Märkte in Asien an, wenngleich die Verluste bis zum Handelsschluss wieder etwas eingedämmt wurden. Bild: Investoren beobachten die Bildschirme mit den Kursen in Taipei, Taiwan. (Bild: David Chang / EPA)
Als Ursache für den Kurssturz an den Börsen rund um den Globus gelten Sorgen vor einer schnelleren Anhebung der Zinsen in den Vereinigten Staaten. Das würde Anleihen gegenüber Aktien wieder attraktiver machen und viele Investoren aus Aktien treiben. Bild: Auch der Hang Seng Index in Hong Kong verliert an Fahrt. (Bild: Alex Hofford / EPA-EFE)
In Japan sackte der Nikkei-Index für 225 führende Werte bis zum Handelsschluss um 4,73 Prozent auf 21'610,24 Punkte ab. Dies nach einem zwischenzeitlichen Minus von über 7 Prozent. Das Bild zeigt einen Screen in Tokio. (Bild: Koji Sasahara / AP)
Eine elektronische Tafel zeigt in Tokio weltweit Aktien-Indizes im Minus. Spannend dürfte es am Nachmittag werden, wenn in New York der Handel wieder beginnt. (Bild: Franck Robichon / EPA)
Auch der indische Aktienmarkt wird mit Argusaugen beobachtet, wie hier in Mumbai. (Bild: Rafiq Maqbool / AP)
In Australien erlebte die Börse zum Auftakt ebenfalls einen Kurssturz. Der S&P/ASX200-Index verbuchte ein Minus von 165,1 Punkten oder 2,74 Prozent. Keine Aktie war im Plus, sagte ein Marktanalytiker. Er beschrieb die Lage an der Börse in Sydney als «echtes Blutbad». (Bild: EPA)
Der deutsche Leitindex Dax konnte am Dienstagmorgen höhere Verluste rasch eindämmen. Zuletzt stand er noch 1,83 Prozent tiefer bei 12 455,33 Punkten. Ein für möglich gehaltenes Absinken unter die Marke von 12'000 Punkten blieb aus. (Bild: Staff / Remote / Reuters)
Der Swiss-Market-Index SMI verlor bis 10 Uhr 30 1,6%. (Bild: Moritz Hager / Reuters)

Nach dem Kurszerfall in den USA steht am Freitagmittag auch der deutsche DAX deutlich im Minus. Um 13 Uhr waren es minus 1,7 Prozent. Beim Schweizer SMI waren es zur selben Zeit minus 0,8 Prozent (9. Februar). (Bild: Staff / Remote / Reuters)

Das Kernproblem ist: Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise haben sich die Investoren daran gewöhnt, dass das Geld zu extrem tiefen Zinsen oder sogar zum Gratistarif abgerufen werden kann. Und sie ha­ben es verinnerlicht, dass die Notenbanken ihre Geldschleusen jedes Mal noch ein bisschen weiter öffnen, wenn sich irgendwo ein Problem für die Finanzmärkte abzeichnet. Die Fortführung solcher Marktverzerrungen wird aber von Jahr zu Jahr teurer. Irgendwann müssen die Zinsen, vor allem jene am Anleihemarkt, wieder das Risiko des jeweiligen Schuldners spiegeln. Der wachsende Lohn- und Inflations­druck in den USA und die anziehende Konjunktur im Euro-Raum lassen diesen Zeitpunkt nun näher rücken. Mit der Sorglosigkeit am Finanzmarkt ist es daher vorerst vorbei.

Niemand weiss, ob die Entwöhnung vom Billiggeld gelingen wird. Die Notenbanken betreten mit diesem Unterfangen unbekanntes Terrain. Offenkundig ist nur, dass die Fallhöhe beträchtlich ist. So haben Anleger, Privathaushalte, Unternehmen und Staaten die tiefen Zinsen nicht zuletzt dafür genutzt, sich günstig zu verschulden. Laut Zahlen des Institute for International Finance machen die weltweiten Schulden mit 217 Billionen Dollar bereits 325 Prozent der Wirtschafts­kraft aus. Eine Finanzkrise, der ein massives Schuldenproblem zugrunde lag, wurde also durch das Auftürmen von noch mehr Schulden zu bekämpfen versucht. Und dieser Turm droht ins Wanken zu geraten, sollten die Zinsen in Zukunft markant steigen.

Der Druck auf die Notenbanken ist entsprechend gross. Verschuldete Staaten und Investoren drängen die Währungshüter dazu, die Normalisierung der Geldpolitik hintanzustellen und auf Zinserhöhungen zu verzichten. Allzu gross ist der Wunsch, das Schuldenproblem elegant aus dem Weg zu inflationieren. Geben die Zentralbanken diesem Druck nach, untergraben sie aber nicht nur ihre Glaubwürdigkeit. Sie sorgen auch dafür, dass sie keinerlei zins­politischen Spielraum haben werden, wenn die nächste Rezession ansteht. Die Notenbanken dürfen sich daher durch die jüngsten Unruhen nicht von ihrer Normalisierungspolitik abbringen lassen. Zinsrisiken müssen wieder von den Schuldnern getragen werden, Börsenturbulenzen hin oder her.

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