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Verlierer-Murks in Berlin

«Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?» Diese rheinländisch-schnoddrige Auslegung von Machiavelli wird Konrad Adenauer zugeschrieben, dem Gründerkanzler der Bundesrepublik. Der gescheiterte SPD-Chef Martin Schulz hält sich daran. Nach der Pleite in der Bundestagswahl im September sagte er: «In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.» Erst wollte er doch, als Aussenminister, in der grossen Koalition, die er im Herbst ausgeschlossen hatte. Am Freitag schon wollte er nicht mehr: eine Volte zu viel, in der Partei rumort es.

Kanzlerin Angela Merkel ist nicht besser. Im Oktober sagte sie: «Es ist offenkundig, dass die SPD auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig ist. Wir sollten deshalb keine weiteren Gedanken darauf verschwenden.» Egal, Hauptsache, sie bleibt einstweilen Kanzlerin, wenngleich mehr denn je zuvor von sozialdemokratischen Gnaden.

SPD kriegt Schlüsselposten

Egal auch, ob mit oder ohne Schulz, der die Parteiführung an die lautstarke Andrea Nahles abgibt und in der politischen Versenkung verschwindet: Die drei Wahlverliererparteien CDU, CSU und SPD wursteln zusammen weiter. Es sei denn, die gut 460 000 SPD-Mitglieder eröffnen dem Land eine Chance auf Frischluftzufuhr und sagen in der bevorstehenden Urabstimmung Nein. Just um dieser erheblichen Gefahr zu begegnen, musste Schulz seine Karrierepläne aufgeben.

Was Deutschland bevorsteht, ist weitgehend sozialdemokratisch geprägte Politik. Zum einen muss Merkel, um in Amt und Würden zu bleiben – was der Kompass ihres Handelns ist –, der SPD entgegenkommen. Die Sozialdemokraten, die in der Wahl nur jämmerliche 20,4% geholt hatten, konnten die Union dazu nötigen, ihnen die Schlüsselressorts Äusseres und Finanzen zu übertragen.

Der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble war im Vorgängerkabinett sozusagen die letzte Hemmschwelle, nun wird es in Sachen Umverteilung kein Halten mehr geben (nach Merkels dritter Kanzlerschaft liegt die Steuerquote viel höher als am Ende der rot-grünen Schröder-Ära). Als künftiger Finanzminister wird Olaf Scholz gehandelt, der Regierungschef des Bundeslands Hamburg.

Zum anderen wird Merkel die Verbeugung nach links auch deshalb nicht so schwergefallen sein, weil sie ihre Partei ohnehin schon weit in diese Richtung manövriert hat. Das raubt zwar der SPD die Luft zum Atmen, hat dafür aber rechts den Platz für die AfD überhaupt erst eröffnet. Nun folgt quasi die erste SPD-Regierung unter CDU-Kanzlerschaft. Warum befragt die CDU ihre Mitglieder nicht?

Nachdem nun der Euro-Turbo Schulz hat kapitulieren müssen, besteht immerhin die Chance, dass Deutschland unter einem anderen Aussenminister doch nicht mit Vollgas und auf Kosten der eigenen Steuerzahler in eine Transferunion nach Emmanuel Macrons Vorstellungen hineingesteuert wird – immerhin.

Ob die neue GroKo der profillosen Union und der zerstrittenen Sozialdemokratie an der Basis helfen wird? Landtagswahlen werden es zeigen, dieses Jahr in Schleswig-Holstein, Bayern (eine Schicksalswahl für die CSU) und Hessen, nächstes Jahr in Bremen, Sachsen, Brandenburg und Thüringen.

Spätestens 2021 wird’s bunt

Sollte das Kabinett Merkel IV, das nun mit der Affäre Schulz noch vor der Amtseinführung einen Fehlstart hingelegt hat (und vielleicht am 4. März vom SPD-Fussvolk ante festum gekippt wird), vier Jahre überdauern, könnte im Herbst 2021 das Ende des bundesrepublikanischen «Zweiparteiensystems plus» besiegelt werden: falls dann Union und SPD, beide jetzt schon verbraucht, addiert unter 50% der Stimmen bzw. der Bundestagsmandate fallen. Das ist umso mehr möglich, als unrealistisch wirkt, dass die deutsche Wirtschaft bis dahin munter ein Boomjahr ans andere reihen kann.

Die in Deutschland so viel beschworene Stabilität bezieht sich in erster Linie auf das Bundeskanzleramt. Bei der SPD folgen nun personelle Neuerungen, die Union dagegen, besonders die CDU, ist erstarrt. Nach ihrer nächsten Vereidigung, die sich Kanzlerin Merkel anscheinend buchstäblich um jeden Preis ersehnt, sollte sie sich an Adenauers unwürdiges Ende erinnern. Der «Alte», von dem seinerzeit alle genug hatten, musste 1963 schier aus dem Amt getragen werden.