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Jetzt ist die Eigeninitiative der Europäer vonnöten

Amerikas schwindende Kraft als Ordnungsmacht wird vom konstruktiven Handeln anderer Staaten noch nicht ausgeglichen.

Helmut L. Müller

Glücklich ist die Welt gewesen, als die bipolare Ära des Ost-West-Konflikts so glimpflich zu Ende gegangen ist. Aber sicherer, stabiler scheint das multipolare System, das stattdessen heraufgezogen ist, nicht zu sein. So endet das alljährliche Expertentreffen der Münchner Sicherheitskonferenz mit einer ernüchternden Erkenntnis: Es herrscht globale Unordnung.

Es gibt kein Mächtekonzert. Die großen Mächte begegnen einander mit massivem Misstrauen. Russland steht im Verdacht, sich in den Wahlprozess in den USA eingemischt zu haben. China weckt den Argwohn Amerikas, dass es noch immer seine schützende Hand über Nordkorea hält. Die Rüstungsspirale dreht sich. Angst vor einem Atomkonflikt geht um.

Zugleich erodiert die globale Macht. Die Großen können das globale Geschehen nicht mehr diktieren. Regionalmächte steigen auf. China verliert womöglich seinen Einfluss auf Nordkorea. Russland vermag die Iraner in Syrien nicht zu bremsen. Die USA sind dort im Streit mit dem NATO-Partner Türkei. Amerikas Alliierter Saudi-Arabien handelt ebenfalls auf eigene Faust. Israels Premier Benjamin Netanjahu droht Teheran auf der Münchner Konferenz offen mit Krieg, wenn sich die Iraner dauerhaft militärisch an der syrisch-israelischen Grenze festsetzen sollten.

Der Rückzug der USA aus der Weltpolitik hinterlässt ein Machtvakuum, das andere Staaten ausfüllen wollen. Weder in Nahost noch in Afghanistan können die Amerikaner eine Konfliktlösung erzwingen. In Syrien spielt Moskau eine Schlüsselrolle. Am Hindukusch geht es nicht ohne China, den Protektor der Pakistaner. Vor allem China kann expandieren, weil es anders als der zerstrittene Westen eine geostrategische Idee hat. Nach der Analyse des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel ist es dabei, sein System zu globalisieren, das nicht auf Freiheit, Demokratie und individuellen Menschenrechten beruht.

Den Europäern dämmert, dass sie in der Außen- und Sicherheitspolitik eigenständiger und einiger auftreten müssen. Aber gerade jetzt will mit Großbritannien ein besonders starker Akteur die EU verlassen. Im Nebel bleibt, wie die Kooperation nach dem Brexit funktionieren soll. Die EU-Staaten müssen anfangen, Rüstungsprojekte gemeinsam zu planen, statt sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Waffensysteme zu verzetteln. Wie die EU mit Verteidigungskomponente eine Konkurrenz mit der NATO vermeiden will, ist keineswegs klar. Eine "weltpolitikfähige" EU, wie Kommissionschef Jean-Claude Juncker meint? Das ist vorerst Rhetorik, weit weg von der Realität.

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