Kommentar

Labour setzt May unter Druck

Mit seinem Vorstoss für eine Zollunion mit der EU bringt Labour-Chef Corbyn Premierministerin May in Zugzwang. Denn sein Vorschlag hat in Brüssel im Vergleich zu den Vorstellungen der Regierungschefin sehr viel mehr Realisierungschancen.

Beat Bumbacher
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Mit dem Vorschlag einer Zollunion hat Labour-Chef Jeremy Corbyn seine bisherige Haltung zum Brexit in einem wesentlichen Punkt revidiert. (Bild: Will Oliver / EPA)

Mit dem Vorschlag einer Zollunion hat Labour-Chef Jeremy Corbyn seine bisherige Haltung zum Brexit in einem wesentlichen Punkt revidiert. (Bild: Will Oliver / EPA)

Grossbritannien erlebt diese Woche eine eigentliche Redeschlacht zum Thema Brexit. Den ersten rhetorischen Pflock hat Labour-Chef Jeremy Corbyn eingeschlagen, der Premierministerin Theresa May mit dem Entscheid seiner Partei für eine Zollunion mit der EU in Bedrängnis bringen will. Denn damit wirbt er ziemlich unverhohlen um Rebellen im Lager der Tories. Wenn May am Freitag ans Rednerpult tritt, muss sie ihre Vorstellungen von einem massgeschneiderten Freihandelsabkommen mit der EU verteidigen, die in Brüssel auf Ablehnung stossen, weil man sie dort als Rosinenpickerei empfindet.

Mit Corbyns Vorstoss hat die britische Oppositionspartei ihre Haltung zum Brexit in einem wichtigen Punkt revidiert. Ihr Parteiführer selber war in seiner bisherigen politischen Laufbahn nie ein EU-Befürworter gewesen. Brüssel repräsentierte für Corbyn vielmehr das aus ideologischen Gründen abzulehnende «neoliberale» Wirtschaftsmodell. Im Abstimmungskampf hatte er sich nur halbherzig gegen den Brexit gestellt und anschliessend für sich und seine Partei das Ergebnis des Referendums akzeptiert. Seinen jetzigen, vom proeuropäischen Parteiflügel beeinflussten Vorschlag begründet er damit, dass eine Zollunion die britische Wirtschaft vor besonders negativen Folgen des EU-Austritts bewahren würde. Ein weiterer Vorteil wäre, dass sich in Irland die Errichtung einer «harten» EU-Aussengrenze mit Grenzkontrollen erübrigte.

Allerdings decken Abkommen über eine Zollunion, wie sie die EU etwa mit der Türkei geschlossen hat, ausschliesslich Industriegüter und nicht Dienstleistungen ab – doch es sind gerade Letztere, welche den Hauptteil der britischen Exporte ausmachen. Ausserdem würde der Abschluss von Freihandelsabkommen mit anderen Staaten – wie sie die Regierung May nach dem EU-Austritt anstrebt – durch eine Zollunion verunmöglicht, und damit würde einer der Kernpunkte der Zukunftshoffnungen der Brexit-Befürworter hinfällig.

In taktischer Hinsicht kann sich Labour von diesem Schachzug aber einiges erhoffen. Denn damit steigen die Chancen, der Regierung May eine Abstimmungsniederlage beizubringen: dann nämlich, wenn genügend proeuropäische Abgeordnete der Konservativen zusammen mit Labour im Parlament für eine Vorlage stimmen, welche eine Zollunion mit der EU verlangt. Angesichts der äusserst knappen Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus und Mays ohnehin labiler Position wäre dies ein womöglich fataler Vorgang für die Regierungschefin. Eine andere Möglichkeit wäre, dass dereinst ein finales Brexit-Abkommen keine Mehrheit im Unterhaus fände, wenn Labour und Teile der Tory-Fraktion dem Vertrag die Zustimmung verweigerten. Was dann folgen würde, ist freilich ungewiss.

Das alles dürfte denjenigen Abgeordneten der Tories zu denken geben, die einen «weichen» Brexit bevorzugen. Denn mit ihren Stimmen für eine Zollunion könnten sie nicht nur zum Sturz von Theresa May beitragen, sondern auch dazu, anschliessend einen Vertreter des kompromisslosen Brexit-Lagers der eigenen Partei in die Downing Street zu befördern. Oder aber sie machen ungewollt den Weg frei für Neuwahlen und Jeremy Corbyn als Premierminister. Am Freitag muss Theresa May jetzt diejenigen zu überzeugen versuchen, die ihren Brexit-Plan eines einzigartigen Freihandelsabkommens – anders als Labours Plan einer Zollunion – für eine reine Wunschvorstellung halten.