Bei der Reform der SNCF spricht vieles für ein hartes Kräftemessen zwischen den Eisenbahnern und der Regierung. Es ist zu hoffen, dass die Regierung dabei die Oberhand behält und nicht von ihren Plänen abweicht.
Rund ein Jahr nach seiner Wahl steht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor seiner bisher grössten Machtprobe. Die Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF und mehrere Gewerkschaften drohen damit, den Bahnverkehr wochenlang lahmzulegen – und haben bereits damit begonnen. Der Grund ist die geplante Reform der hochverschuldeten SNCF. Dabei geht es unter anderem um das Schlachten einer französischen heiligen Kuh. So sollen Privilegien des teuren «Eisenbahner-Statuts» abgeschafft werden, wenn auch nur für neu eingestellte SNCF-Mitarbeiter. Bei den Streiks werden böse Erinnerungen wach an 1995, als «cheminots» (Eisenbahner) das Land wochenlang lahmlegten und Premierminister Alain Juppé schliesslich geplante Reformen zurückzog.
Auch dieses Mal spricht vieles für ein hartes Kräftemessen zwischen den Bähnlern und der Regierung. Es ist zu hoffen, dass Letztere die Oberhand behält. Der Ausgang der Kraftprobe hat einen grossen Einfluss auf weitere wichtige Reformen.
Die Lage der SNCF ist desolat, wie ein im Februar erschienener Expertenbericht des ehemaligen Air-France-Chefs Jean-Cyril Spinetta zeigt. Dieser weist darauf hin, dass die Transformation des französischen Eisenbahnsystems aufgrund der Öffnung des Bahnverkehrs in der EU unumgänglich ist. Will die Bahngesellschaft für den zunehmenden Wettbewerb gewappnet sein, muss sie sich verändern. Ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit einer Reform sind die Schulden in Höhe von rund 50 Milliarden Euro, die die SNCF aufgetürmt hat – und die ständig weiter steigen.
Die Pläne der französischen Regierung gehen indessen weniger weit als die Forderungen des Spinetta-Berichts. Im Fokus steht das «Eisenbahner-Statut», über das die meisten SNCF-Mitarbeiter verfügen. Dessen Vorrechte sind in der derzeitigen Form unhaltbar und unfair gegenüber Berufstätigen anderer Branchen. Hier ist zunächst der lebenslange Kündigungsschutz der Eisenbahner zu nennen. Hinzu kommen leicht erreichbare zusätzliche Ferientage, so dass Eisenbahner auf 50 freie Tage pro Jahr kommen können. Wie die Wirtschaftszeitung «Les Echos» ausführt, konnten Lokomotivführer bis zum Jahr 2016 mit schon 50 Jahren in Rente gehen, andere Eisenbahner mit ebenfalls sehr frühen 55.
Seit 2017 wird das Rentenalter für die SNCF-Mitarbeiter schrittweise erhöht, bis 2024 soll es auf 52 Jahre für die Lokomotivführer und 57 Jahre für die anderen Mitarbeiter steigen – auch das ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung noch sehr früh. Weitere Privilegien haben die Eisenbahner bei der Berechnung ihrer Renten. Diesen Sonderstatus sollen nun die neuen Bähnler mit der Reform verlieren.
Vor dem Hintergrund, dass die Privilegien der bisherigen Mitarbeiter geschützt werden sollen, ist die Wut der Gewerkschafter noch weniger nachvollziehbar. Die öffentliche Meinung über die Vorgänge ist derweil gespalten: Bei einer am Sonntag publizierten Ifop-Umfrage gaben 46 Prozent der Befragten an, sie hielten den Streik bei der SNCF für gerechtfertigt, während 53 Prozent dies nicht so sahen.
Dies ändert nichts daran, dass Frankreich dringend modernisiert werden muss. Das Land leidet unter einem jahrzehntelang angesammelten Reformstau, der die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft behindert, Investoren abschreckt und für hohe Arbeitslosenzahlen sorgt. Macron wurde vor rund einem Jahr mit einer Reformagenda gewählt, und einige Erfolge hat er bereits erzielt, beispielsweise beim Arbeitsrecht. Die kommenden Wochen werden wichtige Hinweise darauf geben, ob Frankreich – wie von Skeptikern gemunkelt – unreformierbar bleibt oder ob sich das Land tatsächlich wandeln kann.