Kommentar

Macron lässt neue Bähnler nicht mehr ins Paradies – zu Recht

Bei der Reform der SNCF spricht vieles für ein hartes Kräftemessen zwischen den Eisenbahnern und der Regierung. Es ist zu hoffen, dass die Regierung dabei die Oberhand behält und nicht von ihren Plänen abweicht.

Michael Ferber
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Ein Pendler steckt in der Tür eines Regionalzuges TER fest. (Bild: Etienne Laurent / EPA)

Ein Pendler steckt in der Tür eines Regionalzuges TER fest. (Bild: Etienne Laurent / EPA)

Rund ein Jahr nach seiner Wahl steht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor seiner bisher grössten Machtprobe. Die Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF und mehrere Gewerkschaften drohen damit, den Bahnverkehr wochenlang lahmzulegen – und haben bereits damit begonnen. Der Grund ist die geplante Reform der hochverschuldeten SNCF. Dabei geht es unter anderem um das Schlachten einer französischen heiligen Kuh. So sollen Privilegien des teuren «Eisenbahner-Statuts» abgeschafft werden, wenn auch nur für neu eingestellte SNCF-Mitarbeiter. Bei den Streiks werden böse Erinnerungen wach an 1995, als «cheminots» (Eisenbahner) das Land wochenlang lahmlegten und Premierminister Alain Juppé schliesslich geplante Reformen zurückzog.

In Frankreich legen die Gewerkschaften mit einem Streik seit dem 3. April den öffentlichen Verkehr lahm. – Mitarbeiter der Bahn befestigen im Bahnhof von Nantes ein Protestbanner. (Bild: Stephane Mahe / Reuters)
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Die Eisenbahner gehen gegen die von Emmanuel Macron geplante Reform der hochverschuldeten Staatsbahnen SNCF auf die Barrikaden, wie hier in Lyon. Mit den Reformen soll der hochverschuldete Staatsbetrieb SNCF auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet werden. (Bild: Emmanuel Foudrot / Reuters)
Auch in Paris gehen die Bahnangestellten auf die Strasse (3.4). Mit der Ende Februar angekündigten Reform sollen teure Privilegien für Mitarbeiter abgeschafft werden. Neue Eisenbahner kommen nicht mehr in den Genuss des Eisenbahner-Statuts und erhalten normale Arbeitsverträge. (Bild: Etienne Laurent / EPA)
Die Menschen drängen sich in die wenigen fahrenden Züge. – Ein Ende der mächtigen Streikwelle ist noch nicht absehbar. (Bild: Etienne Laurent / EPA)
Bis Ende Juni soll der sogenannte «Kampf der Schiene» der Gewerkschaften der Eisenbahner dauern. Die Angestellten wollen an zwei von fünf Tagen streiken. Das Bild zeigt gestrandete Passagiere am Dienstagmorgen in der Pariser Gare de Lyon. (Bild: François Mori / AP)
Kein Zug in Sicht auf dem Bahnhof Saint Charles in Marseille. Der Streik der Eisenbahner legt seit Dienstag, 3. April, weite Teile des Zugverkehrs des Landes lahm. (Bild: Claude Paris / AP)
Viele Passagiere sind gestrandet, wie hier in Paris Saint-Lazare. Die französischen Staatsbahnen SNCF sind in den Ausstand getreten. (Bild: Thibault Camus / AP)
Wer nicht mehr weiter weiss, kann sich an Bahnassistenten wenden, wie hier in Marseille (3.4.). (Bild: Claude Paris / AP)
An der Gare du Nord in Paris werden die Bahnreisenden an Monitoren über den Streik informiert (3.4.) (Bild: Etienne Laurent / EPA)
Im Fernverkehr fährt im Schnitt nur jeder achte Zug, im Regionalverkehr nur jeder fünfte. Zugverbindungen vom Dienstag in die Schweiz, nach Spanien und Italien wurden komplett gestrichen. Das Bild zeigt Pendler am Bahnhof Saint-Lazare in Paris (3.4.) (Bild: Benoit Tessier / Reuters)
Gewerkschafter der SNCF versammeln sich an der Gare Lille Flandres für eine Kundgebung (3.4.) (Bild: Pascal Rossignol / Reuters)
Auch auf Flughäfen wird gestreikt, wie hier in Nizza. Elf Gewerkschaften der französischen Fluggesellschaft Air France fordern eine allgemeine Lohnerhöhung von 6 Prozent. Die Unternehmensleitung hatte 1 Prozent vorgeschlagen (3.4.). (Bild: Eric Gaillard / Reuters)
Eine Passagierin vertreibt sich die Zeit mit einem Nickerchen (Nizza, 3.4.). (Bild: Eric Gaillard / Reuters)
Nach Angaben des staatlichen Bahnbetreibers dürften nur 12 Prozent der geplanten TGV-Hochgeschwindigkeitszüge fahren, also nur jeder achte TGV. Im Bahnhof Saint Charles in Marseille warten mehrere TGV's auf den nächsten Einsatz (3.4.). (Bild: Claude Paris / AP)
In der Gare du Lyon in Paris nehmen Passagiere die Abkürzung über ein nicht befahrenes Gleis (3.4.). (Bild: François Mori / AP)
Einer wagt schwer bepackt einen Sprung über die Gleise (3.4.). (Bild: François Mori / AP)
Die Müllabfuhr startet heute ebenfalls einen Streik. Die Mitarbeiter fordern einen nationalen öffentlichen Dienst für Abfälle. Die Beschäftigten wollen damit einen öffentlichen Status erhalten, der es ihnen unter anderem ermöglicht, früher in Rente zu gehen. Das Bild zeigt Fontenay-sous-Bois bei Paris (3.4.). (Bild: Charles Platiau / Reuters)

In Frankreich legen die Gewerkschaften mit einem Streik seit dem 3. April den öffentlichen Verkehr lahm. – Mitarbeiter der Bahn befestigen im Bahnhof von Nantes ein Protestbanner. (Bild: Stephane Mahe / Reuters)

Auch dieses Mal spricht vieles für ein hartes Kräftemessen zwischen den Bähnlern und der Regierung. Es ist zu hoffen, dass Letztere die Oberhand behält. Der Ausgang der Kraftprobe hat einen grossen Einfluss auf weitere wichtige Reformen.

Die Lage der SNCF ist desolat, wie ein im Februar erschienener Expertenbericht des ehemaligen Air-France-Chefs Jean-Cyril Spinetta zeigt. Dieser weist darauf hin, dass die Transformation des französischen Eisenbahnsystems aufgrund der Öffnung des Bahnverkehrs in der EU unumgänglich ist. Will die Bahngesellschaft für den zunehmenden Wettbewerb gewappnet sein, muss sie sich verändern. Ein deutliches Zeichen für die Notwendigkeit einer Reform sind die Schulden in Höhe von rund 50 Milliarden Euro, die die SNCF aufgetürmt hat – und die ständig weiter steigen.

Die Pläne der französischen Regierung gehen indessen weniger weit als die Forderungen des Spinetta-Berichts. Im Fokus steht das «Eisenbahner-Statut», über das die meisten SNCF-Mitarbeiter verfügen. Dessen Vorrechte sind in der derzeitigen Form unhaltbar und unfair gegenüber Berufstätigen anderer Branchen. Hier ist zunächst der lebenslange Kündigungsschutz der Eisenbahner zu nennen. Hinzu kommen leicht erreichbare zusätzliche Ferientage, so dass Eisenbahner auf 50 freie Tage pro Jahr kommen können. Wie die Wirtschaftszeitung «Les Echos» ausführt, konnten Lokomotivführer bis zum Jahr 2016 mit schon 50 Jahren in Rente gehen, andere Eisenbahner mit ebenfalls sehr frühen 55.

Seit 2017 wird das Rentenalter für die SNCF-Mitarbeiter schrittweise erhöht, bis 2024 soll es auf 52 Jahre für die Lokomotivführer und 57 Jahre für die anderen Mitarbeiter steigen – auch das ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung noch sehr früh. Weitere Privilegien haben die Eisenbahner bei der Berechnung ihrer Renten. Diesen Sonderstatus sollen nun die neuen Bähnler mit der Reform verlieren.

Vor dem Hintergrund, dass die Privilegien der bisherigen Mitarbeiter geschützt werden sollen, ist die Wut der Gewerkschafter noch weniger nachvollziehbar. Die öffentliche Meinung über die Vorgänge ist derweil gespalten: Bei einer am Sonntag publizierten Ifop-Umfrage gaben 46 Prozent der Befragten an, sie hielten den Streik bei der SNCF für gerechtfertigt, während 53 Prozent dies nicht so sahen.

Dies ändert nichts daran, dass Frankreich dringend modernisiert werden muss. Das Land leidet unter einem jahrzehntelang angesammelten Reformstau, der die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft behindert, Investoren abschreckt und für hohe Arbeitslosenzahlen sorgt. Macron wurde vor rund einem Jahr mit einer Reformagenda gewählt, und einige Erfolge hat er bereits erzielt, beispielsweise beim Arbeitsrecht. Die kommenden Wochen werden wichtige Hinweise darauf geben, ob Frankreich – wie von Skeptikern gemunkelt – unreformierbar bleibt oder ob sich das Land tatsächlich wandeln kann.

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