Kommentar

In Syrien braucht es dicke rote Linien

Vor einem Jahr hat Präsident Trump mit einem Militärschlag Vergeltung für ein Massaker des Asad-Regimes geübt. Doch zu einer kohärenten Syrien-Politik haben die USA nie gefunden. Dabei wäre es wichtiger denn je, Asad klare Grenzen aufzuzeigen.

Andreas Rüesch
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Die russische Führung deckt seit Beginn des Bürgerkriegs die Verbrechen des Asad-Regimes. (Bild: Omar Sanadiki / Reuters)

Die russische Führung deckt seit Beginn des Bürgerkriegs die Verbrechen des Asad-Regimes. (Bild: Omar Sanadiki / Reuters)

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Giftgas-Angriff von Khan Sheikhun mit rund 90 Todesopfern hat das syrische Regime allem Anschein nach erneut Chemiewaffen gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt. Nur 20 Kilometer vom Palast des syrischen Präsidenten Asad entfernt starben am Wochenende in einem von Rebellen kontrollierten Vorort der Hauptstadt Dutzende von Einwohnern eines qualvollen Todes. Indizien sprechen dafür, dass die Angreifer Chlorgas oder allenfalls ein Gemisch dieses Kampfstoffs mit einem Nervengift verwendeten.

Genauere Aufschlüsse könnte eine Untersuchung durch eine Expertengruppe der Uno und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen ergeben. Doch dazu wird es kaum kommen, da Russland im vergangenen November die Auflösung dieser Untersuchungsmission durchgesetzt hat. Die russische Führung, die seit Beginn des Bürgerkriegs die Verbrechen des Asad-Regimes deckt und mit ihrer Militärhilfe in erheblichem Ausmass erst ermöglicht, macht sich einmal mehr mitschuldig am Massenmord in Syrien.

Ein Militärschlag ist noch keine Strategie

Die Tragödie vom Wochenende entlarvt aber nicht nur den russischen Zynismus, sondern auch die Heuchelei des Westens. Dass die Europäer nun an den Uno-Sicherheitsrat appellieren, dasselbe Gremium, das Russland mithilfe seines Vetorechts zu einem zahnlosen Tiger degradiert hat, wirkt unbeholfen. Nur eine Demonstration robuster Macht könnte Asad davon abhalten, die eigene Bevölkerung abzuschlachten – doch der Wille dazu fehlt weitgehend.

Vor einem Jahr ordnete der amerikanische Präsident Trump als Vergeltung für das Massaker von Khan Sheikhun einen Luftangriff auf eine syrische Militärbasis an. Die Aktion wurde von Kritikern als ungerechtfertigt dargestellt, aber sie erreichte ein nicht unbedeutendes Ziel: Die Angriffe der syrischen Truppen mit dem Nervengift Sarin hörten schlagartig auf, wenigstens einige Menschenleben konnten dadurch gerettet werden. Doch ein einzelner Militärschlag ist kein Ersatz für eine durchdachte Strategie. Letzteres hat Trump stets vermissen lassen.

Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt

Ein Beispiel dafür ist seine Ankündigung von letzter Woche, das amerikanische Militärkontingent im Nordosten des Bürgerkriegslandes schon sehr bald abzuziehen. Damit drohen die Amerikaner in der Syrien-Frage den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit zu verspielen. Nicht nur riskieren sie, Einfluss auf die weiteren Entwicklungen in der strategisch wichtigen Region zu verlieren. Sie brüskieren auch ihre kurdischen Verbündeten, die in den vergangenen vier Jahren unter enormem Blutzoll gegen die Terrormiliz IS kämpften, deren «Kalifat» zum Einsturz brachten und damit dem Westen die Kohlen aus dem Feuer holten.

Ein hastiger Abzug der USA hiesse, die Kurdenmilizen und die Bevölkerung in deren Einflussgebiet der Rache des Asad-Regimes auszuliefern. Überzeugender wäre es, wenn Amerika eine dicke rote Linie zöge und den kurdisch beherrschten Nordosten zu einer Schutzzone erklären würde, in der ein Wiederaufbau beginnen könnte und deren Grenzen Washington notfalls verteidigen würde – jedenfalls so lange, wie Asad an der Macht bleibt.

Doch Trump schwebt etwas anderes vor. Nicht nur kündigt er den Rückzug im Voraus an und erlaubt Asad, sich damit sicherer denn je zu fühlen. Er signalisiert auch, dass ihm Syrien herzlich egal ist – «nun sollen sich die anderen Leute darum kümmern», sagte er. Die anderen Leute? Gibt es etwa eine wundersame Weltregierung, die zu Hilfe kommt? In der Realität bedeutet dies, Asad und seinen Komplizen in Moskau und Teheran freie Hand zu geben. Wie sich diese Bande um Syrien «kümmert», lässt sich in den mit Giftgasopfern gefüllten Spitälern von Ost-Ghuta besichtigen.

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