Kommentar

Der einsame französische EU-Idealist

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in Strassburg eine fulminante Europarede gehalten. Doch solange er die kleineren Mitgliedstaaten ignoriert, wird er die EU-Reform kaum voranbringen.

Peter Rásonyi
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Grosse Gesten, fragwürdiger Inhalt: Macron spricht vor dem europäischen Parlament in Strassburg. (Bild: Vincent Kessler / Reuters)

Grosse Gesten, fragwürdiger Inhalt: Macron spricht vor dem europäischen Parlament in Strassburg. (Bild: Vincent Kessler / Reuters)

Was für ein fulminanter Auftritt des jungen französischen Präsidenten Macron. Eingedenk der überaus zähen und uninspirierten Regierungsbildung in Deutschland dürfte mancher deutsche Bürger am Dienstag nicht ohne einen Anflug von Neid über den Rhein nach Strassburg geblickt haben. Was er dort zu sehen bekam, war so ziemlich das Gegenteil der Berliner Verhältnisse: glänzende Rhetorik, jugendlicher Elan, unerschütterlicher moralischer Führungsanspruch und ein Feuerwerk von Visionen für ein besseres Europa. Macron scheute sich nicht vor dramatischen Vergleichen. So tobe ein Bürgerkrieg in Europa, meinte er mit Blick auf die populären Regime «illiberaler» Autokraten in Osteuropa und den regen Zuspruch euroskeptischer Protestparteien in verschiedenen Mitgliedsländern. Er wolle nicht zu einer Generation von Schlafwandlern gehören, erklärte Macron in Anspielung auf die europäischen Verhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg, sondern die hart erkämpfte europäische Souveränität verteidigen.

Europäische Souveränität? Man nimmt staunend wahr, wie flüssig dieser wohlklingende Begriff dem französischen Präsidenten über die Lippen geht. Man fragt sich: Ist die EU nicht eine Union souveräner Mitgliedsstaaten, deren Bürger sich in der Regel selbst als der Souverän wahrnehmen? Und ist die Sorge um den schleichenden Verlust der nationalen Souveränität an eine anonyme Bürokratie in Brüssel nicht die wichtigste Quelle, an der sich aufstrebende Protestparteien laben? Wenn Macron für die europäische Souveränität kämpfen will, dann wird dies von vielen Bürgern in Polen, Ungarn, Italien und anderen Ländern nicht als Kampf für sie, sondern als Kampf gegen sie wahrgenommen. Doch das scheint der französische Präsident gar nicht wahrzunehmen.

Im Anblick solch unreflektierter Arroganz erstaunt nicht, dass Macrons Reformprogramm für die EU trotz aller persönlichen Dynamik und Eleganz des Hoffnungsträgers bisher nirgendwohin geführt hat. Euro-Finanzminister, Euro-Budget, Eurobonds, europäische Einlagenversicherung – Macron traute sich diese neuen europäischen Umverteilungsinstrumente in Strassburg nur noch am Rande anzudeuten. Wohl dürfte er am kommenden Donnerstag bei seinem nächsten Besuch in Berlin darauf zurückkommen. Aber längst ist klargeworden, dass die in Paris und Brüssel erhoffte deutsch-französische EU-Reformachse gehörig knarzen dürfte, sollte sie dann einmal anlaufen.

Oberflächlich betrachtet, mag Macron das Pech gehabt haben, dass es mit der deutschen Regierungsbildung nicht wunschgemäss geklappt hat. Statt des flammenden früheren EU-Parlaments-Präsidenten Martin Schulz sitzt nun der nüchterne Hamburger Sozialdemokrat Olaf Scholz als Vizekanzler im Berliner Kabinett. Der neue Finanzminister steht trotz SPD-Parteibuch dem europapolitischen Realitätssinn seines Amtsvorgängers Schäuble von der CDU näher als dem ungebremsten EU-Idealismus des gescheiterten SPD-Vorsitzenden Schulz. Zwar steht die EU-Reform noch immer an erster Stelle im noch von Schulz verhandelten deutschen Koalitionsvertrag, aber tatsächlich hat die Vertiefung der europäischen Integration nicht die oberste Priorität in der deutschen Politik. Unter anderem an diesem Missverständnis war Martin Schulz gescheitert. Das haben Merkel und Scholz verstanden.

Aber nicht nur in Deutschland, in vielen Ländern Europas wird Macrons EU-Integrations-Euphorie nicht geteilt. Die Sorge um die nationale Souveränität und Identität hat vielerorts an Bedeutung gewonnen. Demokratie wird nicht nur in Paris, Berlin und Brüssel, sondern auch in Warschau, Budapest und Rom definiert. Will sich die EU weiterentwickeln, muss sie diese Vielfalt respektieren.