Eine wahre Fake News – Seite 1

Einen Tag dauerte die Trauer um Arkadi Babtschenko. Viele Nachrufe wurden veröffentlicht, noch mehr vermutlich geschrieben, aber publiziert werden sie nun nicht mehr. Denn schon am Mittwochabend stand der tot geglaubte russische Journalist bei einer Pressekonferenz in Kiew vor seinen Kolleginnen und Kollegen und sagte, dass der Mord an ihm eine Inszenierung war. Nicht einmal seine Frau habe das gewusst. Babtschenko entschuldigte sich bei ihr für die "Hölle", die sie durchmachen musste. Dem ukrainischen Geheimdienst SBU dankte er dafür, noch am Leben zu sein.

Angeblich diente diese Inszenierung dazu, einen geplanten Mord an dem Journalisten zu verhindern und den dafür Verantwortlichen zu überführen. Ein ukrainischer Staatsbürger sei festgenommen worden, sagte der Leiter des SBU, Wasil Gritsak, bei der Pressekonferenz. Der verhaftete Mann sei vom russischen Geheimdienst angeworben worden. Er habe einen ukrainischen Kriegsveteranen mit dem Mord an Babtschenko beauftragt. Außerdem habe der mutmaßliche Täter versucht, für russisches Geld 300 Maschinenpistolen, Hunderte Kilo Sprengstoff, Munition und Minen zu kaufen und in der Ukraine an einem geheimen Ort zu lagern. Mehr noch: Der Planer des Anschlags habe vorgehabt, weitere 30 Menschen in der Ukraine ermorden zu lassen.

Journalisten und Politiker überall auf der Welt dürften sich jetzt die Augen reiben und fragen, was davon nun stimmt. Bis jetzt wurde nicht besonders überzeugend dargelegt, warum es unbedingt notwendig war, den Mord wie in einem schlechten Agentenfilm zu inszenieren. Der ukrainische Abgeordnete Anton Geraschtschenko schrieb auf Facebook, man habe damit die ganze Befehlskette bis zu den russischen Geheimdiensten nachverfolgen können. Außerdem berief er sich auf den britischen Krimiautor Arthur Conan Doyle. Dessen Figur Sherlock Holmes habe die "Inszenierung des eigenen Todes genutzt, um effektiv komplizierte und verwickelte Fälle zu ermitteln", so Geraschtschenko.

Babtschenko selbst sagte auf der Pressekonferenz, er habe vor einem Monat vom ukrainischen Geheimdienst erfahren, dass ein Mord an ihm in Vorbereitung sei. Der mutmaßliche Täter habe Babtschenkos Passdaten gehabt sowie ein altes Passfoto, das gemacht worden sei, als Babtschenko mit 25 Jahren seinen Pass in Russland bekommen habe. Das sei als Beweis dafür gewertet worden, dass die Informationen womöglich von russischen Behörden oder russischen Geheimdiensten kamen. "Mir wurde vorgeschlagen, an dieser Sonderoperation teilzunehmen", sagte Babtschenko. "Und es gibt hier keine Alternativen, keine anderen Varianten", deshalb habe er zugestimmt. Die ukrainischen Geheimdienstler hätten "wie Büffel geackert" und mehrere Terroranschläge in der Ukraine verhindert.

Sind noch 30 weitere Personen in Gefahr?

Die Nachricht, dass Babtschenko nicht ermordet wurde, hat für große Erleichterung, aber auch für Irritation gesorgt. Einige Fragen sind bislang unbeantwortet. Warum etwa brauchte der mutmaßliche Attentäter unbedingt ein 16 Jahre altes Passbild des Journalisten, gibt es von ihm doch genug aktuelle Bilder im Netz. Und wer sind die anderen 30 Personen, die in der Ukraine ermordet werden sollten? Sind sie weiterhin in Gefahr?

Der ukrainische Geheimdienst sollte so schnell wie möglich harte Beweise für seine Version veröffentlichen. Sonst könnte die ganze Operation der Glaubwürdigkeit der Ukraine und Babtschenko selbst nachhaltig schaden.

"Immer gefährlich für die Regierung, mit Fakten zu spielen"

Die Inszenierung von Babtschenkos Tod wurde von Reportern ohne Grenzen bereits kritisiert. Christophe Deloire, Generalsekretär der internationalen Dachorganisation, bezeichnete das Vorgehen als "einen neuen Schritt im Informationskrieg". Es sei "immer gefährlich für die Regierung, mit Fakten zu spielen, insbesondere wenn sie Journalisten für ihre Fakegeschichten nutzen", schrieb Deloire.

Tatsächlich wurde der Fall sofort von russischen Propagandisten genutzt, um zu demonstrieren, dass dieser und andere Vorwürfe gegen Russland gefälscht seien. Auf Twitter verglich die Chefin des staatlichen Fernsehsenders Russia Today, Margarita Simonjan, den Fall mit dem versuchten Mord an dem ehemaligen russischen Agenten Sergej Skripal in Großbritannien. "Früher wurden Menschen für eine geopolitische Provokation wirklich getötet. Manchmal Dutzende von Menschen. Jetzt ist alles einfacher und netter. Es reicht, irgendeinen Skripal-Babtschenko für ein paar Tage zu verstecken."

Bequemes Beispiel für Fake News

Dem russischen Staat wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, in Verbrechen involviert gewesen zu sein – sei es der Fall Skripal, Morde an russischen Regierungsgegnern oder aber der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine. Jedes Mal, wenn dem russischen Staat solche Vorwürfe gemacht werden, heißt es aus Moskau, dass die Beweise gefälscht sind. Die spektakuläre Inszenierung von Babtschenkos Tod dürfte für die russischen Regierung ein bequemes Beispiel dafür werden, alle Anschuldigungen als Fake News abzutun. Alleine deshalb wäre es wünschenswert, Babtschenko und der ukrainische Geheimdienst würden ab jetzt so transparent wie möglich handeln.

Noch am Dienstag war niemand auf die Idee gekommen, die Nachricht von Babtschenkos Tod anzuzweifeln. Denn er ist ein kompromissloser Journalist, der die russische Regierung immer wieder direkt und laut kritisiert. Mit Reportagen und Meinungsstücken wurde er in den vergangenen Jahren bekannt, die er in seinem Blog und sozialen Netzwerken veröffentlichte. Diese Texte, manchmal sehr kurz und kontrovers, spalten die russische Öffentlichkeit.

Oft entscheidet sich Babtschenko für die bewusste Provokation. So zum Beispiel Ende 2016, als ein Flugzeug mit dem bekannten russischen Armeechor an Bord auf dem Weg aus Sotschi nach Syrien abstürzte. Damals schrieb der Journalist, er habe kein Mitleid mit den Opfern. Denn er habe kein Verständnis für Musiker, die im zerbombten Syrien Konzerte geben wollten, um die russische Propaganda zu unterstützen. In der Folge wurde Babtschenko in Russland offen angefeindet. Politiker wie der Parlamentsabgeordnete Witali Milonow riefen dazu auf, Babtschenko die russische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Daraufhin beschloss er, Russland zu verlassen.

Babtschenko steht nun unter besonderem Schutz

Seit dem vergangenen Jahr lebt Babtschenko nun in der Ukraine und arbeitet für den krimtatarischen Fernsehsender ATR. Nach der Inszenierung seines Todes sollen er und sein Familie Bodyguards vom ukrainischen Staat erhalten. Er, der selbst als Soldat für die russische Armee in den beiden Kriegen kämpfte und den Kriegsalltag als hässlich, dreckig und vor allem absolut unnötig und absurd darstellte, steht nun unter besonderem Schutz der Ukraine.

Und das nicht zu Unrecht, denn es gab in den vergangenen zwei Jahren durchaus auch echte Morde an russischen Staatsbürgern: etwa an dem investigativen Journalisten Pawel Scheremet und dem ehemaligen Duma-Abgeordneten Denis Woronenkow. Außerdem gab es zwei Anschläge auf den tschetschenischen Kämpfer Adam Osmajew, bei dem auch seine Frau Amina Okueva getötet wurde. Alle diese Morde sind bis heute nicht aufgeklärt.