Türkei-Wahl in Deutschland :
Niederschmetternd

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Erdogan-Anhänger feiern das Ergebnis der vorgezogenen Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei auf dem Kurfürstendamm
Die Erdogan-Begeisterung unter Türken in Deutschland ist eine Bankrotterklärung. Aber so ist Einwanderung: Die Gründungsideen der Bundesrepublik stehen auf dem Spiel. Ein Kommentar.

Auch wenn nur jeder zweite Wahlberechtigte in Deutschland zur Wahl gegangen ist: Die Zustimmung für Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-nationalistische AKP unter den Türken in Deutschland ist niederschmetternd. Sie ist noch weit größer als in der Türkei selbst; in Gegenden wie Essen, Düsseldorf oder Stuttgart erreichte die Regierungspartei sogar mehr als eine Zweidrittel-Mehrheit. In keinem der dreizehn Wahllokale in Deutschland sammelte Erdogan weniger als die absolute Mehrheit. Sympathie und Sehnsucht, die darin zum Ausdruck kommen, stehen im diametralen Gegensatz zu den Motiven, Zielen und Hoffnungen, die mit dem Wort Integration verbunden sind. Man muss es so hart sagen: Es ist eine Bankrotterklärung.

Aber wie es so ist in Deutschland, sofort wird die Beschwichtigungsmaschine angeworfen. Den Vogel schoss dabei die Türkische Gemeinde in Deutschland ab, indem sie nicht etwa in der Türkei, in Indoktrination und bei den Wählern den Grund für die Diktaturliebe suchte, sondern – wie üblich – im bösen Deutschland: Deutsche Politiker müssten nach ihrem eigenen Anteil an dem Phänomen fragen, dass eine seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Gruppe im Staatschef eines anderen Landes ihren Anführer sehe, ließ der Gemeindevorsitzende Gökay Sofuoglu verlauten. Wie soll man das verstehen? Dass deutsche Parteien ein paar kleine Diktatoren bereitstellen sollten, damit türkische Einwanderer sich endlich heimisch fühlen können? Oder dass Deutschland ein Tauschgeschäft vorschlägt: Wir verzichten auf das lästige Gerede über Integration, Loyalität, Sprachkenntnisse, Leitkultur und Verfassungstreue, dafür wählt ihr dann bitte liberale Politiker in der Türkei?

Diese Wahl wird sicherlich nicht dazu beitragen, dass der bisherige Weg der deutschen Einwanderungspolitik mit weniger Sarkasmus begleitet wird. Wenn Hunderttausende Ausländer und Einwanderer mit der liberalen und säkularen Demokratie fremdeln, liegt das nicht daran, dass sie vor Jahren als „Gastarbeiter“ in einer Gesellschaft landeten, die sich noch nicht als Einwanderungsgesellschaft verstehen wollte. Es liegt auch nicht daran, dass hier, wie Cem Özdemir meint, „ein bisschen“ Ablehnung und Protest im Spiel ist, „ähnlich wie es die AfD macht“. Es ist einfach so, wie es ist, wenn Deutschland zum Einwanderungsland wird: Die Gründungsideen der Bundesrepublik stehen auf dem Spiel.