Kommentar

Die Beitrittsverhandlungen der EU mit Mazedonien und Albanien sind ein Sieg strategischer Vernunft

Wenn die EU nicht einmal vor ihrer Haustür als wirksame Ordnungsmacht auftritt – wo denn sonst?

Andreas Ernst
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Eines Tages EU-Bürger? Paar in Skopje mit Blick auf den Vardar und den Mazedonien-Platz (Foto: REUTERS / Marko Djuric)

Eines Tages EU-Bürger? Paar in Skopje mit Blick auf den Vardar und den Mazedonien-Platz (Foto: REUTERS / Marko Djuric)

Die Sitzung verlief kontrovers und stürmisch, doch am Schluss gaben die französischen und niederländischen Bedenkenträger nach. Die EU-Minister der Mitgliedsstaaten entschieden, dass Mazedonien und Albanien 2019 Beitrittsgespräche mit Brüssel beginnen –vorausgesetzt, die Fortschritte im Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit gehen weiter. Das ist ein Sieg strategischer Vernunft und ein selten gewordener Moment, in dem die EU als Einheit glaubwürdig auftritt.

Seit dem Ende der Jugoslawienkriege gibt es einen Deal zwischen den Staaten der Region und der EU: Sie alle, so heisst es seit zwanzig Jahren, seien im Prinzip willkommene Mitglieder. Willkommen, wenn sie den Rechtsstaat stärken, die Regierungsmacht demokratisch legitimieren, ihre Wirtschaft liberalisieren und gutnachbarschaftliche Beziehungen pflegen. Die Wege Albaniens und Mazedoniens in diese Richtung waren nicht gradlinig, und es gab immer wieder Rückschritte. Aber aufs Ganze gesehen, sind die Fortschritte unübersehbar. Zwei Beispiele. Rechtsstaat: Albanien überprüft alle seine Richter auf kompromittierende Beziehungen und Abhängigkeiten und stellt ihnen danach einen Persilschein aus. Damit wird richterliche Spreu vom Weizen getrennt. Gute Nachbarschaft: Mazedonien hat sich bereit erklärt, den Landesnamen in Nordmazedonien zu ändern. Mit der schmerzhaften Konzession soll dem Nachbarn die Angst genommen werden, Mazedonien beanspruche eine gleichnamige griechische Provinz. Natürlich gibt es über diese Beispiele hinaus in beiden Ländern noch viel zu tun. Aber es geht schliesslich um den Beginn jahrelanger Verhandlungen, nicht um den unmittelbaren Eintritt in die EU.

Fadenscheinige Franzosen

Das macht die französische Argumentation fadenscheinig. Präsident Macron hatte in einem flamboyanten Auftritt erklärt, die EU müsse sich selbst erst reformieren, bevor sie erweitert werden könne. Das leuchtet spontan ein. Aber auch auf dem Balkan weiss man, wie ungewiss diese Erneuerung und wie unklar die künftige Gestalt der EU ist. Aus der Sicht Tiranas und Skopjes ist Macrons Strategie nichts als Verzögerungstaktik. Das Bremsen der Niederländer hatte einen andern Grund. Den Haag muss den Entscheid vor das Parlament bringen, und die Regierung fürchtet zu Recht, damit scheitern zu können. Es ist nicht nur in den Niederlanden wenig populär, arme Verwandte zu Tisch zu bitten. Und zweifellos würden Mazedonien und Albanien Nettobezüger im EU-Budget sein. Scharfes Kalkül in Ehren, aber die niederländische Milchmädchenrechnung geht nicht auf.

Geopolitische Aufgabe

Das Abrutschenlassen dieser Region käme den reichen Norden viel teurer zu stehen als ihre Anbindung. Albanien und Mazedonien sind strategisch wichtig, weil sie schwache Staaten sind, die sich gegenseitig destabilisieren können. Ein Viertel der Bürger Mazedoniens sind Albaner. Ihre Loyalität zum Staat ist an Voraussetzungen gebunden: Minderheitenrechte, Gleichbehandlung, kulturelle Autonomie. Das sind Kriterien, die Mazedonien nur im Zug einer Annäherung an die EU und mit deren Hilfe erfüllen kann. Umgekehrt ist der grossalbanische Nationalismus keineswegs tot. Er schläft nicht einmal besonders tief. Dass sich Albanien nicht die Vereinigung aller Albaner auf die Fahne geschrieben hat, verdankt sich der Hoffnung, dass alle Albaner dereinst EU-Bürger sein werden. Diese Aussicht darf nicht verbaut werden. Heute wird die EU als geopolitischer Akteur fast weltweit herausgefordert und oft überfordert. Welche Schmach, wäre sie unfähig, vor dem eigenen Haus als Ordnungsmacht aufzutreten.

Mazedonien und Albanien