Horst Seehofer und Angela Merkel begrüßen sich am Dienstag zu Beginn der CDU/CSU-Fraktionssitzung im Bundestag.

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Von einer Achse der Willigen ist keine Rede mehr. Es ist eine Achse der Böswilligen, eine Achse der Willkür, des Wahnsinns, des Chaos und der Hysterie, die sich in Deutschland gestaltet hat und von dort aus ihre Verlängerung nach Österreich und in andere Teile Europas sucht. Was in Berlin diskutiert wird und als Einigung zwischen CDU und CSU herhalten muss, baut auf einer Fiktion auf und überträgt die Last auf andere, auch auf Österreich, zulasten der europäischen Idee und der Vernunft.

Fiktion der Nichteinreise

CDU und CSU haben sich darauf verständigt, an der Grenze zu Österreich "Transitzentren" einzurichten, aus denen abgefangene Asylwerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden. Die Zurückweisung erfolgt "auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise". Der Flüchtling ist also faktisch eingereist, wird in einem Lager zur Überprüfung angehalten, die deutsche Regierung tut aber so, als wäre er gar nicht da. Eine Regierung, die einen derart verhatschten Kompromiss zur Grundlage ihrer weiteren Zusammenarbeit nimmt, kann doch gar nicht halten, die hat schon aufgegeben.

Diese Regierung geht von der Fiktion aus, dass ihre derzeitige Zusammensetzung halten wird. Das glaubt kein Mensch mehr. Innenminister Horst Seehofer hat Kanzlerin Angela Merkel nicht nur das totale Misstrauen ausgesprochen, er hat seine Verachtung für sie offen ausgesprochen. Sich selbst hat er der Lächerlichkeit preisgegeben, als er erst seinen Rücktritt in den Raum gestellt, dann aber zu toben begonnen hat, als dieser in Erwägung gezogen wurde.

Fiktion der Anhaltezentren in Nordafrika

Was Österreich betrifft, geht die Union in Berlin ebenfalls von einer Fiktion aus, nämlich von der Annahme eines Abkommens, das es gar nicht gibt. Das scheint in Europa gerade groß in Mode zu sein: Beim EU-Gipfel vergangene Woche einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf Anhaltezentren in afrikanischen Staaten – eine Fiktion. Bisher hat sich kein einziger Staat bereiterklärt, solche Zentren einzurichten.

Die Österreicher schütteln erst einmal die Fäuste. Wieder werden Routen geschlossen. Als Antwort auf die Schließung der Nordroute Richtung Bayern schließen wir die Südroute Richtung Slowenien und vielleicht auch Richtung Italien. Der österreichischen Regierung mag das ganze Theater gar nicht so unrecht sein. Schön, wenn einen die Deutschen in ihrer Verzweiflung einmal brauchen. Und so übel ist das nicht: Einigen Regierungsmitgliedern bereitet es offenbar ein wohliges Vergnügen, wenn Polizei und Militär an der Grenze aufmarschieren, das haben wir in Spielfeld in Feldherrenart schon geübt.

Fiktionaler Irrwitz

Die Bedrohung ist nicht ernst, aber gerade gut genug, um tatsächlich ein wenig mit dem Säbel rasseln zu können. Wir befestigen wieder die Übergänge, bald auch jene zu den Bayern. Das wollen wir doch sehen, ob uns die die Flüchtlinge zurückschicken. Dieser gemeinsame Feind, der Deutsche, der Slowene, der Italiener, der Flüchtling, das lässt sich politisch doch gut verpacken und verkaufen.

Apropos Flüchtlinge. Um die sollte es hier auch gehen. Dass das Menschen sind, die Schutz vor Verfolgung suchen, ist im strategischen Ränkespiel komplett verschüttet und einem fiktionalen Irrwitz geopfert worden. Die EU ist in relativ kurzer Zeit zu einer Karikatur verkommen, die uns nicht gefallen kann. Nationale und persönliche Egoismen sind offenbar stärker als die europäische Vision. (Michael Völker, 3.7.2018)