Kommentar

Beim Brexit hilft London auch das Militär nicht weiter

In den Brexit-Verhandlungen droht Grossbritannien mit den Folgen eines Scheiterns, muss aber zugleich die eigene Bevölkerung beruhigen. Die Taktik funktioniert schlecht.

Benjamin Triebe, London
Drucken
Brexit-Minister Dominic Raab erklärte am Donnerstag auf Nachfrage, die Regierung plane keinen Militäreinsatz. (Bild: François Lenoir / Reuters)

Brexit-Minister Dominic Raab erklärte am Donnerstag auf Nachfrage, die Regierung plane keinen Militäreinsatz. (Bild: François Lenoir / Reuters)

Wenn der Brexit hässlich wird, rückt dann die britische Armee aus? Keine Sorge, es geht nicht darum, ob London die EU mit Waffengewalt zu Zugeständnissen in den Verhandlungen zwingt – obgleich diese Option sicher noch ihren Weg in die englische Boulevardpresse finden wird. Nein, es geht um die Frage, ob britische Soldaten im eigenen Land Nahrungsmittel verteilen müssen, wenn Grossbritannien Ende März 2019 ungeordnet, also ohne ein Anschlussabkommen, die EU verlässt. Werden in diesem No-Deal-Szenario Lebensmittelproduktion, Logistik und Lieferketten zusammenbrechen, und wird die Versorgung der Bevölkerung nur mithilfe der Armee aufrechtzuerhalten sein?

Das wurde in den vergangenen Wochen auf der Insel ernsthaft diskutiert. Brexit-Minister Dominic Raab erklärte am Donnerstag auf Nachfrage, die Regierung plane keinen Militäreinsatz. Es schien, als müsste er sich bei der Antwort ein Lächeln verkneifen. Das wäre verständlich, denn ein Brexit, bei dem Grossbritannien und die EU über Nacht fast alle Verbindungen kappen, hätte zwar gravierende Folgen – aber der Weltuntergang dürfte zu vermeiden sein. Trotzdem ist ein Lächeln unangebracht. Dafür steht zu viel auf dem Spiel, und die merkwürdige Debatte ist obendrein den miserablen Verhandlungskünsten der Regierung geschuldet.

Dass die Gespräche zwischen London und Brüssel nur sehr langsam vorankommen, ist nicht neu. Neu ist die in den vergangenen Wochen gewachsene Besorgnis, sie könnten tatsächlich scheitern und zu einem «harten» EU-Austritt führen – ohne Übergangsperiode, ohne bevorzugte Beziehungen Grossbritanniens zur EU, ohne privilegierten Marktzugang des Finanzsektors, dafür mit allen Zöllen, aller Bürokratie und allen Kosten. Handelsminister Liam Fox veranschlagte die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns unlängst auf 60 zu 40.

Diese Schätzung gehört zur Londoner Verhandlungstaktik, genau wie die Warnungen, wie schädlich ein «harter» Brexit wäre. Die Regierung möchte Brüssel zeigen, was beide Seiten verlieren können, wenn man sich nicht einigt. Aber je lauter sie den Schrecken eines No-Deal über den Kanal ruft, umso hellhöriger werden auch die Briten. So entsteht etwa eine Diskussion über einen Militäreinsatz. Diese Drohkulisse funktioniert schlecht, wenn die Regierung zugleich der eigenen Bevölkerung versichern muss, der Brexit werde glimpflich ablaufen. Das wird Brüssel interessiert zur Kenntnis nehmen.

Auf der argumentativen Gratwanderung zwischen heimischen und europäischen Adressaten macht die britische Regierung keine gute Figur. Ein Kommentator meinte, Raab habe am Donnerstag bei der Vorstellung der ersten No-Deal-Wegleitungen für britische Bürger und Unternehmen so weltfremd geklungen wie ein Steward beim Verlesen der Sicherheitshinweise im Flugzeug. Beim Absturz in den Ozean aus zehn Kilometern Höhe lässt sich der Luftdruck der Schwimmweste mit dem kleinen Röhrchen justieren.

Grossbritannien trifft auch mit seinen im Juli entschärften Vorschlägen in Brüssel auf wenig Gegenliebe. Das einzig Verlässliche an den Brexit-Gesprächen ist bis jetzt das Verschieben der Fristen. Im Oktober steht ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU an, der als entscheidendes Zusammentreffen aufgebaut wurde – etwa so lange, bis klar war, dass es der ebenso charakterisierte Gipfel im vergangenen Juni nicht sein konnte. Nun hiess es bereits von der EU, auch im November könne noch verhandelt werden. Wahrscheinlich wird alles auf einen Showdown kurz vor dem Brexit im März hinauslaufen – mit oder ohne Armee.

Sie können Benjamin Triebe, Wirtschaftskorrespondent für das Vereinigte Königreich und Irland, auf Twitter folgen.