Kommentar

Extremisten bekämpft man nicht mit Extremismus

Die bürgerliche Gesellschaft in Deutschland kann es nicht dulden, dass sich ein gewaltbereiter Mob auf den Strassen austobt. Doch sie muss bei ihrem Kampf Mass halten. Der Freistaat Sachsen wird nicht von «Nazis» bevölkert. Wer so daherredet, befeuert die Spaltung des Landes.

Marc Felix Serrao
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Rechtsextremisten in den Strassen von Chemnitz am 26. August. (Bild: Filip Singer / EPA)

Rechtsextremisten in den Strassen von Chemnitz am 26. August. (Bild: Filip Singer / EPA)

Gewalt ist sprachlos, aber sie nährt sich von der Sprache. Auch der rechtsextreme Mob, der in Chemnitz fremdländisch aussehende Menschen durch die Strassen gejagt hat, hat sich im Recht gewähnt, nachdem er sprachlich aufgepeitscht worden war. Die «Bürgerbewegung Pro Chemnitz» hatte am Sonntag zur Demo aufgerufen. Es sei «lange genug an den Stammtischen geredet» worden, und nun sei ein Bürger für seine Zivilcourage ermordet worden, hiess es in der Facebook-Einladung, die von Tausenden geteilt wurde. Darunter sah man das Bild einer brennenden Kerze, die dem «couragierten Helfer» gewidmet war, der «sein Leben verlor, als er eine Frau schützen wollte».

Die Geschichte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Es gibt nach Angaben der sächsischen Polizei keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der tödlichen Messerstecherei vom Wochenende eine Belästigung vorausgegangen ist. Das teilten die Beamten noch am Sonntagnachmittag mit. Zu spät. Die selbsternannten Rächer waren da schon in Kampfbereitschaft. Kurz darauf sah man auf wackligen Handyvideos, wie sie «Wir sind das Volk» brüllend Menschen durch die Stadt hetzten.

Die Grenze zur Barbarei

Eine bürgerliche Gesellschaft darf solche Exzesse nicht dulden. Wer meint, auf Menschenjagd gehen zu können, stellt sich ins Abseits. Wer Fremde aufgrund ihrer Hautfarbe bedroht und schlägt, verteidigt nicht die Heimat oder Frauen oder wen oder was auch immer. Er überschreitet die Grenze zur Barbarei. Solchen Leuten darf man kein Verständnis entgegenbringen, und man darf ihr Tun nicht rechtfertigen. Man muss sie ächten. Es ist erfreulich, dass sich Menschen fast aller politischen Strömungen – und nicht nur linksgerichtete Demonstranten, wie es in manchen Berichten hiess – den Rechtsextremisten in Chemnitz an diesem Montag entgegengestellt haben. Jeder, der dies auf friedliche Weise tut, verdient Unterstützung. Und jeder, der dabei Mass hält.

Ein Teil der deutschen Öffentlichkeit hat auf die Ereignisse in Chemnitz aber auf eine Weise reagiert, die selbst extrem ist. So steht für viele linke Politiker und Publizisten fest, dass in Chemnitz «Nazis» unterwegs waren. Und nicht nur dort. Der Freistaat Sachsen wird von ihnen als Hort von Nazis dargestellt. Als Begründung heisst es, dass die Gewalt der Extremisten von vielen Bürgern dort stillschweigend geduldet werde. Andere verweisen auf die AfD, die in Sachsen bei der Bundestagswahl mit 27 Prozent das stärkste Ergebnis aller Parteien erzielt hat.

Beides ist zutreffend, aber es ist keine Legitimation dafür, eine ganze Region zu diffamieren. Was ist mit den Gegendemonstranten? Was ist mit den drei Vierteln der sächsischen Wähler, die der AfD nicht ihre Stimme gegeben haben? Und ist es zulässig, aus der rechten Partei eine Wiedergängerin der Nationalsozialisten zu machen? Die AfD-Führung pflegt eine schrille, oftmals dumpfe Sprache, und sie zeigt eine erstaunliche Toleranz gegenüber den vielen Wirrköpfen in der Partei. Es kann gut sein, dass sie sich weiter radikalisiert. Aber sie ist – noch – nicht extremistisch. Die Gewalt von Chemnitz hat sie verurteilt.

«Nazi» ist nicht steigerungsfähig

Der Begriff «Nazi» ist im Deutschen nicht steigerungsfähig. Er markiert das Ende jedweder Gemeinschaft. Denn was soll man mit einem Nazi noch besprechen? Er gehört bekämpft, und das mit allen Mitteln. Das ist die Lehre der Geschichte. Wer die Sachsen als Nazis und als Nazi-Kollaborateure beschimpft, drückt damit aus, dass er sie nicht nur als Mitbürger aufgegeben hat, sondern am liebsten wegsperren würde. Ein Journalist träumte bereits davon, dass sich die Menschen des Freistaats «einfach einmauern».

Dies ist nicht die Sprache von wehrhaften Demokraten, sondern von Hysterikern. Sie relativiert nicht nur auf schwer erträgliche Weise die Verbrechen der Nationalsozialisten, sie sorgt im Zweifelsfall auch dafür, dass sich die Moderaten unter den Angegriffenen radikalisieren. Diese Gefahr gilt es zu bannen. Die demokratische Mitte der Gesellschaft muss sich die Fähigkeit zu differenzieren bewahren. Die Gewalttäter gilt es zu ächten. Alle anderen gilt es zu überzeugen.

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