Kommentar

Geschacher um EZB-Nachfolge: Deutschland scheut die Verantwortung

Die EZB wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet. Bleibt ausgerechnet dem Chef dieser Bundesbank wieder die Tür zur EZB verschlossen? Mit ihrer zögerlichen Haltung riskiert Kanzlerin Merkel jedenfalls, dass Deutschland zuletzt mit leeren Händen dasteht.

Christoph Eisenring, Berlin
Drucken
Bundeskanzlerin Angela Merkel zaudert bei der EZB-Nachfolge. (Bild: Christina Rizk / EPA)

Bundeskanzlerin Angela Merkel zaudert bei der EZB-Nachfolge. (Bild: Christina Rizk / EPA)

Abwarten, abwägen und reagieren, erst wenn es unbedingt nötig ist: Die deutsche Kanzlerin Merkel ist selten jemand, der mutig voranschreitet und Pflöcke einschlägt. So dauerte es Monate, bis sie auf die europapolitischen Avancen von Frankreichs Präsident Macron reagierte. Und dabei konterte sie nicht mit einem eigenen Entwurf, sondern beschränkte sich darauf, dessen hochtrabende Pläne zu temperieren. Doch jetzt wäre für einmal Selbstbewusstsein, ja aktives Lobbying gefragt, und zwar für einen Mann, dem Merkel in der Finanzkrise als engstem Wirtschaftsberater voll vertrauen konnte: Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank. Weidmann stünde als Chef für die Europäische Zentralbank (EZB) zur Verfügung, so ihn die deutsche Regierung als Kandidat auf ihren Schild höbe.

Für Schlagzeilen sorgten jüngst jedoch «hochrangige Regierungskreise», die streuten, Merkel sei mittlerweile mehr an einem deutschen EU-Kommissions-Präsidenten interessiert als an der EZB-Spitze. Da hat man ein Déjà-vu: Hatte nicht schon Weidmanns Vorgänger, Axel Weber, wegen mangelnder Unterstützung aus Berlin die Segel für eine Kandidatur gestrichen? Stattdessen machte damals der Italiener Mario Draghi das Rennen, dessen Amtszeit im Oktober 2019 enden wird.

Deutschlands Wirtschaft macht 30 Prozent der Euro-Zone aus, doch das Land stellte seit Gründung der EZB 1998 nie deren Chef. Nachdem die Niederlande, Frankreich und Italien an der Reihe waren, könnte kaum jemand Deutschland einen Anspruch streitig machen. Die EZB mit ihrem klaren Mandat der Preisstabilität wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet. Da kann es doch nicht sein, dass ausgerechnet dem Chef dieser Bundesbank stets die Tür zur EZB verschlossen bleibt. Und die gegenüber Weidmann besonders kritischen Italiener müssen ihn gewiss nicht daran erinnern, dass es an der EZB-Spitze nicht darum geht, Politik für den «deutschen Sparer» zu machen, sondern die Preise in der Euro-Zone stabil zu halten.

Weidmann hat mit seiner Haltung beste Voraussetzungen, diesem Ziel bestmöglich zu dienen. Er ist keineswegs ein weltfremder Eiferer. So lehnt er nicht generell den Kauf von Staatsanleihen durch die Notenbank ab, aber er sieht ihn für besonders schwierige Situationen reserviert. Es ist jedenfalls ungesund, wenn, wie jetzt, die EZB grösste Gläubigerin der Staaten ist. Dass die EZB Staatsanleihen einzelner Länder kauft, nur um deren Risikoprämien zu senken, ist für ihn mit der Unabhängigkeit der EZB unvereinbar. Damit untergrübe man den Reformelan dieser Staaten. Und der Bundesbankchef würde sich auch dagegen wehren, dass Länder Altlasten aus ihren Bankensystemen via eine europäische Einlagenversicherung einfach auf den Rest der Euro-Zone abwälzten.

Deutschland hat somit einen Kandidaten mit Rückgrat. Aber gewiss, ein deutscher EU-Kommissions-Präsident wäre «pflegeleichter», da Berlin auf ihn wohl mehr Einfluss hätte als auf den Präsidenten der EZB, die unabhängig ist. Doch gerade in Krisensituationen ist die Geldpolitik matchentscheidend, weil sie viel rascher reagieren kann als die Finanzpolitik. Die jüngsten Indiskretionen helfen einer möglichen Kandidatur Weidmanns gewiss nicht. Es kann sogar passieren, dass Deutschland am Ende ganz mit leeren Händen dasteht. Da müsste sich Merkel selbst an der Nase nehmen. Noch ist es zum Umsteuern nicht ganz zu spät. Wie hatte Merkel am Höhepunkt der Krise einmal gesagt? «Der Euro ist unser Schicksal.» Die Kanzlerin sollte wissen, was sie an Weidmann hat. Die Geldpolitik wäre bei ihm in guten Händen.