Kommentar

Maassens Ablösung ist das Ergebnis einer Kampagne

Die Versetzung von Verfassungsschutzchef Maassen ins Innenministerium mag für diesen formal ein Aufstieg sein. Und für die Regierungskoalition eine Erleichterung. Doch der Schaden liegt woanders.

Marc Felix Serrao, Berlin
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Die Ablösung des deutschen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maassen ist nach dem politisch-medialen Trommelfeuer der vergangenen Wochen keine Überraschung. Von den Grünen bis zur FDP, von den linksalternativen Medien bis zur bürgerlichen Presse stimmten die veröffentlichten Meinungen weitgehend überein: Der Mann ist in diesem Amt nicht zu halten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte sich vor dem Treffen mit den Parteichefs Horst Seehofer (CSU) und Andrea Nahles (SPD) an diesem Dienstag keine bessere Unterstützung wünschen können.

Dass der 55-jährige Jurist nun Staatssekretär im Bundesinnenministerium werden soll, wird man in Berlin als weichen Fall (und formalen Aufstieg) darstellen. In Wahrheit geht es darum, dass Ressortchef Seehofer wenige Wochen vor der bayrischen Landtagswahl sein Gesicht wahren kann; er hatte sich zuletzt als einziges Regierungsmitglied vor Maassen gestellt. Die grosse Koalition wendet mit der Versetzung eine weitere Regierungskrise ab. Aber sie verliert an einem zentralen Posten einen der wenigen Spitzenbeamten mit Mut zur eigenen Haltung.

Ein Querkopf, dem eine ungeschickte Äusserung zum Verhängnis wird: Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen. (Clemens Bilan / EPA)

Ein Querkopf, dem eine ungeschickte Äusserung zum Verhängnis wird: Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen. (Clemens Bilan / EPA)

Die Kanzlerin musste nur zuschauen

Merkels Umfeld hat früh wissen lassen, was es von dem Mann hält. Den Anfang machte Regierungssprecher Steffen Seibert, als er sich vor eineinhalb Wochen weigerte, Maassen in Merkels Namen das Vertrauen auszusprechen. Der Behördenchef habe «eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe», sagte Seibert. Übersetzt hiess das so viel wie: Er ist zum Abschuss freigegeben. Wer auch immer sich nun aus der Deckung wagte, und das waren viele, konnte sich des Wohlwollens der Kanzlerin gewiss sein. Vor einer Woche brachte Merkel ihre Geringschätzung dann selbst zum Ausdruck. Die Koalition werde «an der Frage eines Präsidenten einer nachgeordneten Behörde nicht zerbrechen», sagte sie. Despektierlicher geht es kaum.

Maassen hat Fehler gemacht, ohne Frage. Als er via «Bild» erklärte, das berüchtigte «Antifa Zeckenbiss»-Video aus Chemnitz, auf dem Migranten angegriffen und beschimpft werden, sei womöglich eine «Falschinformation», gab es zu Recht kritische Reaktionen. Wie kam er zu dieser Einschätzung? Warum hat er sie ausgerechnet über ein Boulevardblatt verbreitet? Maassen musste zurückrudern. Er habe zum Ausdruck bringen wollen, dass es unzulässig sei, aus diesem einen Filmchen aus dubioser Quelle die Erkenntnis abzuleiten, es habe in der sächsischen Stadt Hetzjagden auf Menschen gegeben, sagte Maassen fünf Tage später im Bundestag. Damit hatte und hat er recht.

Doch Maassens Korrektur kam zu spät. All jene, denen der Asyl-Hardliner schon immer ein Dorn im Auge war, konnten ihn nun tagelang als rechten Verschwörungstheoretiker und AfD-Sympathisanten verunglimpfen.

237 Gespräche, davon 5 mit der AfD

Der Vorwurf hatte in der Luft gelegen, seitdem eine selbsternannte «Aussteigerin» der Partei Anfang August in einem Buch von angeblichen Beratungsgesprächen zwischen dem Verfassungsschutzpräsidenten und der früheren AfD-Chefin Frauke Petry berichtet hatte. Maassens Gegner übernahmen diese These so euphorisch wie unkritisch. Sie hatten zwar nur eine Quelle, aber die klang knackig. Und sie passte zum Ruf des Geheimdienstchefs: Maassen stand einer Beobachtung der AfD bis zuletzt skeptisch gegenüber.

Auf die Idee, dass sich der Verfassungsschutzpräsident aus einem freiheitlichen Staatsverständnis heraus dagegen wehren könnte, dass sein Dienst voreilig als Waffe gegen eine neue und unliebsame politische Kraft missbraucht wird, kam keiner der Kritiker. Auch die Information, dass Maassen seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 insgesamt 237 Gespräche mit Politikern geführt hat, von denen nur fünf der AfD angehörten, wurde zu spät publik, um die öffentliche Meinung noch zu korrigieren. Stattdessen wurde alles zusammengetragen, was irgendwie ins negative Bild passte. Parlamentarier gaben anonym zum Besten, dass Maassen die Kanzlerin angeblich nur «die da drüben» (also im Kanzleramt) oder «die Dame» nannte. Selbst Passagen aus Maassens 1997 erschienener Dissertation, «Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht», wurden als Nachweis dafür ausgegraben, dass hier schon lange einer im Verborgenen an seiner eigenen, restriktiven Zuwanderungspolitik arbeite.

Unter den Profis war Maassens Ruf exzellent

Schaut man sich die echten und vermeintlichen Fehlleistungen aus der Distanz an, muss man sagen: Maassens Ablösung ist das Ergebnis einer Kampagne. Der Mann hat in einer aufgepeitschten Situation ein unglückliches Statement abgegeben. Mehr nicht. All diejenigen, die meinen, sie hätten mit ihrem Rücktrittsgebrüll etwas für die Sicherheit des Landes getan, irren. Maassen hatte sich seit seinem Amtsantritt in Sicherheitskreisen einen exzellenten Ruf erarbeitet. Der Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 etwa, Andrew Parker, lobte die Zusammenarbeit mit seinem deutschen Kollegen erst in diesem Jahr bei einer gemeinsamen Tagung in Berlin in den höchsten Tönen. Zuletzt warnte der frühere Chef des deutschen Auslandsnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, davor, Maassen abzulösen. Die meisten Angehörigen der Sicherheitsbehörden stünden hinter dem Mann und bewunderten seinen Mut zur eigenen Meinung, so Schindler. Und weiter: «Ganz viele, die bereits heute ihren Dienst mit der Faust in der Tasche verrichten, würden dadurch noch mehr frustriert.»

Hans-Georg Maassen war einer der Ersten, die den politischen Betrieb der Bundesrepublik vor den Folgen der unkontrollierten Masseneinwanderung gewarnt haben. Das bleibt sein Verdienst, auch wenn lange niemand auf ihn hören wollte, die Kanzlerin vorneweg. Laut einem Bericht der «Welt» hält Merkel es seit Jahren nicht für nötig, an der wöchentlichen Sitzung zur Sicherheitslage mit den Chefs ihrer Geheimdienste im Kanzleramt persönlich teilzunehmen. Vielleicht überlegt sie es sich ja jetzt noch einmal. Den Mann, der ihr am deutlichsten widersprochen hätte, ist sie los.