Kommentar

Erdogan schadet den Auslandtürken

Der türkische Präsident Erdogan kümmert sich intensiv um die im Ausland lebenden Landsleute. Seine Fürsorge dient jedoch primär der kulturellen Entfremdung von deren neuen Heimatländern – und schadet dem wirtschaftlichen und sozialen Vorankommen der Auslandtürken.

Peter Rásonyi
Drucken
Dass Erdogan in Deutschland zuerst mit Landsleuten zusammenkam, ist kein Nebenaspekt seiner Reise. (Bild: Clemens Bilan / EPA)

Dass Erdogan in Deutschland zuerst mit Landsleuten zusammenkam, ist kein Nebenaspekt seiner Reise. (Bild: Clemens Bilan / EPA)

Als der türkische Präsident Erdogan am Donnerstag in Berlin gelandet war, eilte er als Erstes in das Nobelhotel Adlon beim Brandenburger Tor. Dort begrüsste er ausgewählte Mitglieder der türkischen Gemeinde in Deutschland, bevor am Freitag das offizielle Programm des Staatsempfangs mit militärischen Ehren und Begegnungen mit Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier beginnen wird.

Dass Erdogan in Deutschland zuerst mit Landsleuten zusammenkam, ist kein Nebenaspekt seiner Reise. Ausgewanderte Türken und deren Nachfahren betrachtet der türkische Staatschef als seine eigenen Landsleute und keineswegs als Deutsche, Briten oder Franzosen, selbst wenn sie nicht einmal über einen türkischen Pass verfügen. Die Pflege der Beziehung zu den Millionen als Gastarbeiter nach Europa ausgewanderten Türken und ihren Kindern gehört zu den Konstanten von Erdogans Aussenpolitik.

Dafür investiert er viel: Die über lokale Vereine von der türkischen Religionsbehörde gesteuerten und finanzierten Moscheen sollen das Seelenheil der Ausgewanderten mit der Heimat verknüpfen. Im Jahr 2010 gründete Erdogan eigens ein Ministerium für Auslandtürken, das die Verbindungen zu den im Ausland lebenden Landsleuten pflegt, etwa durch organisierte Reisen in die Türkei sowie durch Informationsangebote.

Über Moscheen, Vereine, Internetforen und die Sendungen des staatlichen türkischen Fernsehens wird gezielt politisch und kulturell Einfluss genommen auf die im Ausland lebenden türkischstämmigen Bürger. Während die Pflege der kulturellen Bande zur Heimat der Vorväter bereichernd wirken kann, kann eine starke Bindung an das Ursprungsland gleichzeitig die Integration in die neue Heimat behindern. Genau das ist das Ziel von Erdogans Aussenpolitik. Die Auslandtürken sollen sich nicht mit ihrem neuen Zuhause identifizieren, sondern mit dem Land und der Kultur ihrer Eltern und Grosseltern. Diese Haltung treibt gezielt einen Keil zwischen die türkischen Bürger in Europa und die Gesellschaft, in der sie leben.

Die Folgen dieser von Erdogan gewollten und aktiv betriebenen Entfremdung sind gravierend – in erster Linie für die im Ausland lebenden Türken selbst. Keine Bevölkerungsgruppe in Deutschland ist wirtschaftlich und sozial so schlecht gestellt wie die türkischstämmige. Dass Menschen mit Migrationshintergrund bei sozialen Indikatoren wie Armut, Einkommen, Ausbildung, sozialem Aufstieg im Durchschnitt schlechter abschneiden als Bürger mit deutschen Wurzeln, ist normal. Sie hatten im Durchschnitt schwierigere Ausgangsbedingungen, um wirtschaftlich voranzukommen. Bei den Türken sind die Unterschiede allerdings extrem – obschon die meisten schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder dort geboren wurden.

Der türkische Präsident Recep Erdogan stattet Deutschland einen Staatsbesuch ab. Während seine Anhänger jubeln, bedauern Kritiker den autokratischen Kurs seiner Politik. Kanzlerin Angela Merkel versucht, die gröbsten Wogen zu glätten. Bild: Nach seiner Landung in Berlin wird Erdogan am Donnerstag (28.9.) in die City chauffiert. (Bild: Clemens Bilan / EPA)
31 Bilder
Die Ditib-Grossmoschee inKöln-Ehrenfeld wird am Samstagnachmittag (29.9.) im Beisein des türkischen Präsidenten Erdogan offiziell eröffnet. Die Moschee hat rund 30 Millionen Euro gekostet. (Bild: Guido Schiefer / EPD)
Erdogan hat die Zentralmoschee in seiner Rede als Symbol für die Zugehörigkeit der in Deutschland lebenden Türken zur deutschen Gesellschaft bezeichnet. An der Eröffnung nahm jedoch kein deutscher Politiker teil. (Bild: Guido Schiefer / Imago)
Diese sichtlich radikalen Erdogan-Anhänger versammeln sich am Samstag (29.9.) an der Ditib Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. (Bild: C. Hardt / Imago)
Einen Gegenpol zur Moschee-Eröffnung veranstalten Erdogan-Kritiker am Samstag (29.9.) auf der Deutzer Werft in Köln. Die Aktivisten machen Stimmung gegen den Besuch des türkischen Staatspräsidenten im Rahmen der offiziellen Einweihung der neuen Zentralmoschee. (Bild: Imago)
Einer der Höhepunkte des Staatsbesuchs von Erdogan ist die Eröffnung der neuen Zentralmoschee in Köln am Samstag (29.9.). Eine grosse Feier auf öffentlichem Grund hat die Stadt aus Sicherheitsgründen abgesagt. Diese Muslime haben sich bereits Stunden vor der verkleinerten Zeremonie vor der Moschee eingefunden und machen Propaganda für Erdogan. (Bild: Thilo Schmülgen / Reuters)
Eine junge Erdogan-Supporterin zeigt bei der Zentralmoschee in Köln den Gruss der Muslimbruderschaft. Auch Erdogan selbst hat (laut deutschen Medien) bei der Fahrt zu Schloss Bellevue am Freitag (28.9.) den Gruss dieser extremen Bruderschaft gezeigt. (Bild: Martin Meissner / AP)
Spezialeinheiten sichern das Gelände der neuen Zentralmoschee in Köln ab (29,9,). Das fünfgeschossige Bauwerk gilt als grösste Moschee Europas; sie hat eine 35 Meter hohe Kuppel und zwei Minarette von je 55 Metern Höhe. Insgesamt finden gegen1'200 Gläubige im imposanten Gotteshaus Platz. (Bild: Martin Meissner / AP)
Gegner von Erdogan machen in der Umgebung der Moschee auf ihre Anliegen aufmerksam (29.9.). Wer keine Erlaubnis hat, darf nicht zur Moschee vordringen. Die Eröffnungszeremonie findet nur mit geladenen Gästen statt, alle anderen werden an Absperrstellen abgewiesen. (Bild: Ralph Orlowski / Reuters)
Die neue Zentralmoschee des Vereins Ditib in Köln (Bild). Diese Visite ist als Machtdemonstration zu verstehen, der Verein Ditib ist dem staatlichen türkischen Religionsamt unterstellt und nimmt für sich in Anspruch, die in Deutschland lebenden türkischen und türkischstämmigen Muslime zu vertreten. (Bild: Thilo Schmülgen / Reuters)
In der Nacht von Freitag (28.9.) kommt es bei der Siegessäule in Berlin zu einer grossen Kundgebung gegen Erdogan und dessen Politik. Unter den Teilnehmern befinden sich Oppositionelle aller Art, daneben auch zahlreiche Vertreter der kurdischen Minderheit und deren Organisationen. (Bild: Omer Messinger / EPA)
Der türkische Präsident Erdogan legt bei der «Neue Wache» in Berlin einen Kranz nieder; das Blumengebinde zeigt das türkische Staatswappen. Der Ort dient offiziell als «Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft». (Bild: Markus Schreiber / AP)
In Berlin organisiert ein Komitee mit dem Namen «Erdogan Not Welcome» mehrere Grossdemonstrationen. Erwartet wurden bis zu 10'000 Teilnehmer – anwesend waren aber rund 5000. Auch für Samstag wird zu Kundgebungen aufgerufen – Erdogan soll dann in Köln der Einweihung der neuen Moschee beiwohnen. (Bild: Christian Mang / Reuters)
Am Freitagabend (28.9.) gibt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) auf Schloss Bellevue ein Galadinner. Während sich Kanzlerin Merkel abgemeldet hat, erscheint der oppositionelle Politiker der Grünen, Cem Özdemir (2.v.l.), zum Bankett; er begrüsst Erdogan (M.) und dessen Frau Emine (r.). (Bild: Filip Singer / EPA)
Anti-Erdogan-Kundgebung am Freitag (28.9.) in Berlin. Seit der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zwar leicht normalisiert, doch gibt es in der Türkei nach wie vor viele politische Gefangene, darunter auch Journalisten, was im Westen scharf kritisiert wird. (Bild: Omer Messinger / EPA)
Der Besuch Erdogans in Berlin mobilisiert viele Menschen, die den türkischen Präsidenten kritisieren. Die Gruppe, welche den Prostest organisiert hat, nennt sich denn auch «Erdogan Not Welcome». (Bild: Hannibal Hanschke / Reuters)
Am Freitag (28.9.) kommt es zum offiziellen Handschlag der beiden Staatschefs Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan. Erdogan gibt sich im Rahmen des Staatsbesuches weitgehend konziliant, anders als noch bei früheren Besuchen. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)
Kanzlerin Merkel und Staatspräsident Erdogan nehmen sich Zeit für klärende Gespräche. Merkel signalisiert damit, dass es Probleme in den deutsch-türkischen Beziehungen gibt, man aber miteinander im Gespräch bleiben sollte. (Bild: Murat Cetinmuhurdar / Presidential Press Office/Handout via Reuters)
Nach den Arbeitsgesprächen treten Merkel und Erdogan in Berlin vor die Presse (28.9.). Dabei kommt es zu Misstönen: Der in der Türkei unter Anklage stehende Journalist Can Dündar will zunächst auch an der Konferenz auftreten und Erdogan unbequeme Fragen stellen, verzichtet dann aber unter Druck darauf. (Bild: Clemens Bilan / EPA)
Can Dündar, der frühere Chefredaktor der türkischen Zeitung «Cumhuriyet», gibt in Berlin eine eigene Pressekonferenz. Erdogan hat offenbar gedroht, er werde der Medienkonferenz mit Angela Merkel fernbleiben, sollte Dündar auch im Saal anwesend sein. (Bild: Clemens Bilan / EPA)
Dennoch verläuft die Pressekonferenz von Merkel und Erdogan nicht ganz reibungslos. Ein Demonstrant erscheint mit einem Shirt, auf dem Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei gefordert wird. Der Mann wird vom Sicherheitspersonal weggebracht (28.9.). (Bild: Michael Sohn / AP)
Diese Demonstrantinnen zeigen Fotos von Medienschaffenden, die in der Türkei in Haft sind. Sie erhalten Unterstützung von «Reporter ohne Grenzen». (Bild: Markus Heine / EPA)
Am Freitag (28.9.) wird Erdogan (2.v.r.) vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (r.) auf Schloss Bellevue empfangen. Links ist Steinmeiers Ehefrau Elke Büdenbender, neben ihr steht die türkische First Lady Emine Erdogan. (Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)
Erdogan (Mitte) und dessen Ehefrau Emine Erdogan (l.) schreiben sich ins Gästebuch von Frank-Walter Steinmeier auf Schloss Bellevue ein (28.9.). (Bild: Arne Immanuel Bänsch / dpa via AP)
Vor Schloss Bellevue haben sich Gegner der Politik von Erdogan zu einer Demonstration versammelt. Unter anderem kritisiert die Gesellschaft für bedrohte Völker den türkischen Einsatz im syrischen Afrin, der auch mit Waffen aus Deutschland geführt worden sei. (Bild: Markus Heine / EPA
Eine Ehrengarde der deutschen Bundeswehr postiert sich am Eingang zu Schloss Bellevue, wo Gastgeber Steinmeier (l.) den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und seine Delegation willkommen heisst. (Bild: Felipe Trueba / EPA)
Nuray Erdem, die Partnerin des oppositionellen Eren Erdem, der in der Türkei im Gefängnis einsitzt, nimmt in Berlin an einer Demonstration gegen den Staatsbesuch Erdogans teil (27.9.). Die Manifestation steht unter dem Motto «Für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei» und fordert ausdrücklich die Freilassung politisch Inhaftierter wie Erdem. (Bild: Imago)
Erdogan und seine Frau Emine beim Verlassen der Präsidentenmaschine auf dem Flughafen Berlin-Tegel (27. 9.). Im Gegensatz zu den häufigeren Arbeitsbesuchen umfasst ein Staatsbesuch unter anderem einen Empfang mit militärischen Ehren sowie ein Bankett beim Bundespräsidenten, also bei Frank-Walter Steinmeier. (Bild: Kayhan Ozer / Presidential Press Office / Handout via Reuters)
Doch auch die Gegner von Staatschef Erdogan haben mobil gemacht und erscheinen in Berlin mit Transparenten und schwarzen Luftballonen. Diese Gruppe wirft Erdogan vor, er missachte demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. (Bild: Christian Mang / Reuters)
Vor dem Hotel wird eine Strasse abgesperrt. Die Polizei ist mit einem grossen Aufgebot im Einsatz. Insgesamt sollen während des Staatsbesuchs bis zu 4200 Polizisten eingesetzt werden, denn die Spannungen zwischen den beiden Staaten sind derzeit gross – kürzlich hat Erdogan den Deutschen «Nazipraktiken» und Rassismus vorgeworfen.(Bild: Omer Messinger / EPA)
Erdogan spricht mit seiner Politik vor allem nationalistisch gestimmte Türken und Deutschtürken an. Der Supporter in der Mitte zeigt das Zeichen der «Grauen Wölfe» – diese gelten als Ultranationalisten und Rechtsextreme. (Bild: Paul Zinken / DPA via AP) Zum Artikel Zu den weiteren Bildstrecken

Der türkische Präsident Recep Erdogan stattet Deutschland einen Staatsbesuch ab. Während seine Anhänger jubeln, bedauern Kritiker den autokratischen Kurs seiner Politik. Kanzlerin Angela Merkel versucht, die gröbsten Wogen zu glätten. Bild: Nach seiner Landung in Berlin wird Erdogan am Donnerstag (28.9.) in die City chauffiert. (Bild: Clemens Bilan / EPA)

Gemäss dem Datenreport des Statistischen Bundesamts und der Bundeszentrale für politische Bildung ist das Armutsrisiko von in Deutschland lebenden Türken mehr als 50 Prozent höher als bei allen Menschen mit Migrationshintergrund. Auch noch die Türken in der zweiten oder dritten Generation weisen die geringsten Einkommen, eine 30 Prozent tiefere Abiturientenquote und eine 60 Prozent tiefere Akademikerquote aus als alle Bürger mit Migrationshintergrund.

Zu behaupten, dies sei alles auf Rassismus und fehlende Aufnahmebereitschaft in Deutschland zurückzuführen, greift zu kurz. Warum sind dann etwa Osteuropäer oder Spätaussiedler viel erfolgreicher? Das beste Mittel für sozialen Aufstieg ist die Anpassung und Integration in die bestehenden Ausbildungssysteme und den Arbeitsmarkt. Wer stattdessen mehr an den Sitten und Gebräuchen eines fernen Herkunftslandes hängt, ist rasch einmal im selbst verschuldeten Nachteil.

Weitere Themen