Kommentar

Im kontinentalen Kulturkampf ist westliche Selbstbescheidung eine Tugend

Sozialer Wandel verläuft in Osteuropa nicht im Gleichschritt mit dem Westen. Die Rede von der europäischen Wertegemeinschaft hat nur einen Sinn, wenn regionale Besonderheiten respektiert werden. Modernisierung ist kein west-östlicher Werte-Transfer.

Andreas Ernst
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Zwei Frauen küssen sich unter der Regenbogenflagge während der Gay Pride in Bukarest. (Bild: AP Photo / Vadim Ghirda)

Zwei Frauen küssen sich unter der Regenbogenflagge während der Gay Pride in Bukarest. (Bild: AP Photo / Vadim Ghirda)

In Rumänien ist das Referendum gegen die gleichgeschlechtliche Ehe am Quorum gescheitert. Das Resultat ist eine Niederlage für die orthodoxe Kirche und die sozialdemokratische Regierung. Man liess nichts unversucht, senkte die notwendige Teilnahme von 50 Prozent auf 30 Prozent und gab den Bürgern nicht einen, sondern zwei Tage Zeit, um abzustimmen. Vergeblich. Die Blamage der Traditionalisten ist umgekehrt kein Sieg für die Anhänger der Homo-Ehe. Das rumänische Zivilgesetzbuch sieht sie nicht vor, und dabei wird es vorläufig bleiben.

Es war die «Koalition für die Familie», ein Verbund konservativer und religiöser Vereine, welche die Ehe als «Bund zwischen Mann und Frau» in der Verfassung festschreiben wollte. Damit sollte die Position verstärkt werden, hinter der die Kirche ihre Vorstellungen vom richtigen Leben verteidigt. Sie tat dies andernorts erfolgreicher. Eine ähnliche Koalition verbot 2013 in Kroatien die Homo-Ehe. In der Slowakei dagegen scheiterte derselbe Vorstoss 2015 an schwacher Wahlbeteiligung.

Es greift zu kurz, die zähe Verteidigung der klassischen Ehe – die in Orthodoxie und Katholizismus ein Sakrament ist – mit der Religiosität der osteuropäischen Gesellschaften zu erklären. Sie hängt vielmehr mit dem Einfluss der Kirche zusammen. Das ist nicht dasselbe. Gerade in südosteuropäischen Ländern wie Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina oder Albanien ist die gelebte Frömmigkeit nicht grösser als in westlichen Ländern. Doch der gesellschaftspolitische Einfluss der Kirchen ist sehr viel stärker. Die Kirchen sind Hauptakteure der nationalen und kulturellen Identität. Dazu gehört in patriarchalischen Gesellschaften auch ein gerüttelt Mass Homophobie.

Den Schlüsselsatz zum rumänischen Referendum formulierte Liviu Dragnea: «Es ist an der Zeit, darüber zu entscheiden, wie wir in unserem Land leben wollen!» Es ist, so glaubt der mächtige Chef der Sozialdemokraten, ein kontinentaler Kulturkampf im Gang. In diesem internationalen Kräftemessen, müssen «wir» (Rumänen, Ungarn, Polen) uns wehren gegen die Zumutungen eines säkularen, liberalen Westens: Homo-Ehe, Multikulturalismus, Immigration drohen unsere Gesellschaften nach westlichem Vorbild zu formen. Es wäre schnell erzählt, wie dieser Diskurs dem Machterhalt von autoritären Figuren wie Dragnea, Orban oder in Polen Kaczynski dient. Sie brauchen äussere Feinde, um im Innern zu dominieren. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass der Westen diesen Handschuh nicht aufheben sollte.

Mit kulturimperialistischer Arroganz sind die alten EU-Staaten in den späten 1990er Jahren davon ausgegangen, mit Marktwirtschaft und Demokratie auch ein bestimmtes Menschenbild zu exportieren. Das Ende der Geschichte schien erreicht, und es blieb dem Weltgeist nur noch, die liberalen Werte auch im Osten zu verankern. Das hat nicht geklappt – und es klappt auch im Westen nicht mehr. Die Geschichte mit ihrer offenen Zukunft ist zurück. Gewiss, «anything goes» ist keine Option. Es gilt in der EU der acquis communautaire, und Brüssel muss ihn überwachen. Aber das lässt immer noch viel Raum für gesellschaftspolitische Wertentscheidungen. Und diese sollen die Osteuropäer für sich treffen können. In ihren nationalen Öffentlichkeiten (die auch globalisiert sind), findet der wirklich harte Kulturkampf statt. Dadurch – und nicht dank einem aufgedrängten Werte-Transfer – verändern sich Menschen und ihre Gesellschaften.