Kommentar

Der unselige Geist des Migrationspakts

Gegen den von der Uno vorbereiteten Global Compact for Migration formiert sich in einigen europäischen Ländern Widerstand von rechts. Die Kritik ist zwar oft unsachlich, aber nicht überraschend: Der Geist des Migrationspakts provoziert.

Peter Rásonyi
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Migranten auf dem Weg zur mexikanisch-amerikanischen Grenze bei Sásabe. (Bild: Gregory Bull / EPA)

Migranten auf dem Weg zur mexikanisch-amerikanischen Grenze bei Sásabe. (Bild: Gregory Bull / EPA)

Österreich hat sich diese Woche spektakulär zurückgezogen. In der Schweiz formiert sich Widerstand, auch in Deutschland, wo die AfD eine Kampagne lanciert hat. Der Global Compact for Migration, der in den letzten zwei Jahren weit weg von den Augen der Öffentlichkeit in den diskreten Büros von Uno-Palästen und Aussenministerien ausgeheckt worden ist, erhält plötzlich doch noch ein wenig Aufmerksamkeit. Trotz der aufkeimenden Kritik besteht kein Zweifel: Das 34 Seiten starke Dokument wird Anfang Dezember an einer Uno-Konferenz in Marrakesch von den Aussenministern von gegen 190 Ländern unterzeichnet werden; bis jetzt sieht es danach aus, dass nur wenige aus der weltweiten Staatengemeinschaft ausscheren. Dennoch ist eine Auseinandersetzung mit der im deutschen Sprachraum «Migrationspakt» genannten Vereinbarung legitim.

Dabei kann es nicht um Polemik und falsche Behauptungen gehen, wie sie zum Beispiel auf der Website der Bundestagspartei AfD zu lesen sind. «Der Migrationspakt ist ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge», heisst es dort etwa. Oder: «Er ermöglicht allen künftigen Migranten den Zugang zum Sozialsystem, zu dessen Erbringung sie nichts beigetragen haben.» Solche Behauptungen sind Unsinn. Was auch immer in der Uno-Vereinbarung steht, es ist explizit nicht rechtlich bindend. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich also zu nichts, was sie nicht freiwillig selbst auf ihrem Hoheitsgebiet durch nationale Entscheide beschliessen wollen.

Ein Meilenstein - aber zu welchem Ziel?

Mit diesem Argument schmettern die Autoren und Befürworter der Vereinbarung jegliche Kritik ab, frei nach dem Motto: Kostet's nichts, so schadet's nichts. Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn es stellt sich schon die Frage, was eigentlich der Zweck dieser angeblich so harmlosen Übung ist. Warum, abgesehen von der Beschäftigungs- und Reisegelegenheit für Beamte und Aussenpolitiker, wird ein dicker Papiertiger geschaffen, wenn dieser doch zu gar nichts verpflichtet? Die Antwort wird im Dokument selbst angedeutet: Man vollziehe diesen historischen Schritt, heisst es dort, im vollen Bewusstsein, dass diese globale Vereinbarung «ein Meilenstein ist, aber noch nicht das Ende unserer Bemühungen». Der «Compact» hat also im Moment keine rechtliche Bindungskraft, aber er soll durchaus eine Wirkung haben und auf ein Ziel hinführen.

Und was ist dieses Ziel? Das ganze Dokument atmet den Geist einer politischen Rehabilitierung der Migration, die als historische Tatsache und als Quelle von Prosperität, Innovation und nachhaltiger Entwicklung in einer globalisierten Welt dargestellt wird. Migranten erscheinen in der Vereinbarung überwiegend als Opfer von Umständen, obschon es hier gar nicht um Flüchtlinge geht, für welche die unbestrittenen Bestimmungen der Flüchtlingskonvention gelten. Der Migrationspakt soll sicherstellen, dass diese «Opfer» auf dem Weg in ihre Zielländer sicher sind, dass ihre Grundrechte garantiert sind und dass die Integration in den Zielländern erleichtert wird. Das sind alles respektable humane Anliegen. Und es ist auch richtig, dass Migration grosse wirtschaftliche Bedeutung hat.

Die Ignoranz der Eliten

Die Autoren des Dokuments übersehen allerdings, dass die Bereitschaft, die Migration als Tatsache hinzunehmen, im gegenwärtigen politischen Klima in Europa und den USA keineswegs eine unbestrittene Grundhaltung ist. Die Kontrolle oder gar Ablehnung der Einwanderung, die Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Migration sind Anliegen, die von starken Wählerschichten getragen werden. Sie haben politischen Parteien wie der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich, der SVP in der Schweiz oder auch Präsident Trump in den USA zum politischen Aufstieg verholfen. Es ist der unselige ignorante Geist hinter dem Migrationspakt, der ihn politisch brisant macht. Dass das den Autoren nicht aufgefallen ist, bestätigt nur wieder das oft hervorgebrachte Argument der Abgehobenheit der Eliten – und stärkt dieselben politischen Protestbewegungen.