Weltkriegs-Gedenken in Frankreich:Die Kolonien waren nicht nur ein Nebenschauplatz der Kämpfe

Weltkriegs-Gedenken in Frankreich: Mitglieder der Republikanischen Garde in Straßburg bei einer Feier zum Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren.

Mitglieder der Republikanischen Garde in Straßburg bei einer Feier zum Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren.

(Foto: AFP)

Frankreich ist es gelungen, festzuhalten an der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg - und die Heldensaga in eine Friedenserzählung umzuschreiben. Unter Macron stellt es sich endlich auch der Kolonialgeschichte.

Kommentar von Nadia Pantel, Frankreich

Wenn man in diesen Wochen durch französische Zeitschriften blättert, dann erscheinen 100 Jahre wie eine kurze Zeit. 1918 endete der Erste Weltkrieg, doch er dominiert das kulturelle Leben im Land, als hätten die Soldaten erst gestern die Waffen niedergelegt. Das überrascht nur dann, wenn man den deutschen Umgang mit der Geschichte als Standard setzt.

Der Nationalsozialismus bleibt für die Nachfahren der Täter bis heute Mahnung, Schande - und Zentrum des historischen Selbstverständnisses. Frankreich gewichtet das 20. Jahrhundert anders. Dort ist der Erste Weltkrieg nicht der Vorbote des Zweiten, er ist "La Grande Guerre", der große Krieg.

In keinem französischen Dorf fehlt das Mahnmal für die Söhne, Väter und Brüder, die im Kampf gegen Deutschland ihr Leben ließen. Die Schlachtfelder im Osten Frankreichs sind zu Wallfahrtsorten der Trauer und des Grauens geworden. Man kann durch nachgebaute Schützengräben robben und durchlöcherte Helme der Gefallenen betrachten.

Die Tatsache, dass der Krieg auf französischem Boden geführt wurde, erklärt nur zum Teil die Bedeutung, die La Grande Guerre heute beigemessen wird. Frankreich hält die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg auch deshalb lebendig, weil seine Soldaten als siegreiche Helden aus ihm hervorgingen.

Der Zweite Weltkrieg taugte nur so lange als Erzählung nationalen Mutes, wie die Franzosen sich selber glauben konnten, sie alle hätten im Widerstand gegen die Nazis gekämpft. Dieser Mythos fand spätestens 1995 mit Staatspräsident Jacques Chiracs klaren Worten zur französischen Mitschuld an der Schoah sein Ende. Der Poilu hingegen, der Frontkämpfer der Grande Guerre, ist das Symbol des starken, guten Vaterlandes, das sich für Freiheit und Demokratie einsetzt.

Paris und Berlin gestehen gemeinsam ein, wie sinnlos das Sterben war

Doch schon vor dem Treffen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier stand an diesem ersten November-Sonntag in Straßburg fest: Hier kommen nicht das siegreiche Opfer und der besiegte Täter zusammen. Frankreich ist es gelungen, an der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg festzuhalten und gleichzeitig die Heldensaga in eine Friedenserzählung umzuschreiben.

Diese Sinnverschiebung mag hundert Jahre nach Ende des Krieges klein erscheinen, doch das ist sie nicht. Über Jahrzehnte wurde der nationale Stolz an den Gräbern der Gefallenen aufgerichtet. Heute gesteht Paris gemeinsam mit Berlin ein, wie sinnlos dieses Sterben war. Die Helden werden geopfert, um einen nachhaltigen Frieden zu ermöglichen. Dass die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland heute selbstverständlich erscheint: Das ist ein Grund zum Feiern.

Eine beschämend späte Verbeugung vor Frankreichs schwarzen Soldaten

Im besten Fall ist diese Versöhnung auch ein Punkt des Aufbruchs. Frankreich und Deutschland könnten nun den Kreis der Versöhnten erweitern. Die Grande Guerre wurde zum Weltkrieg, weil die Europäer ihr Machtstreben auf Afrika, Asien und den Nahen Osten ausgeweitet hatten. Die Kolonien waren nicht nur ein Nebenschauplatz der Kämpfe, ihre Bewohner wurden zwangsrekrutiert oder unter falschen Versprechungen für die Armeen der Besatzer angeworben.

Allein in der französischen Force Noire kämpften 200 000 Männer aus 17 afrikanischen Staaten an Somme und Marne. 1926 errichtete Paris seine Große Moschee zum Dank an die 70 000 Muslime, die im Ersten Weltkrieg für Frankreich gefallen waren. Dass der Islam heute zu Frankreich gehört ist nicht nur ein Ergebnis der Einwanderung; es ist auch eine Folge der Opfer, die Muslime für Frankreich erbracht haben.

Frankreich beginnt, sich mit seiner Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen

Zu den Gedenkterminen, die Frankreichs Präsident in der kommenden Woche abarbeitet, gehört auch ein Treffen mit dem Präsidenten von Mali. Die beiden werden ein Denkmal für Frankreichs schwarze Soldaten besuchen. Es ist eine dringend nötige und beschämend späte Verbeugung. Das Denkmal wurde 1924 zum ersten Mal errichtet, dann von den Nazis demontiert und erst 2013 wieder aufgebaut. Seitdem fand kein französischer Politiker die Zeit, es offiziell einzuweihen.

Unter Macron zeigt Frankreich nun endlich erste Anzeichen, sich offensiver mit seiner Kolonialgeschichte auseinandersetzen zu wollen. Es ist eine späte und zaghafte Auseinandersetzung, doch je länger sie aufgeschoben wird, desto unglaubwürdiger werden die großen Friedensgesten.

In Europa leben heute Millionen Menschen aus ehemaligen Kolonien, über die gesprochen wird, als seien sie unerwünschte Fremde. Viel zu oft wird verschwiegen, dass die Geschichte europäischer Gewalt auch ihre Geschichte ist. Die Entfremdung, die viele junge Muslime von ihrer französischen Heimat trennt, fußt auch in dem Gefühl, dass Paris die Leiden und Leistungen ihrer Vorfahren ignoriert. Europas Politiker können nur gewinnen, wenn sie denen, die sie früher unterdrückten, heute einen zentralen Platz in den nationalen Erzählungen einräumen.

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