Hans-Georg Maaßen hat einen Punkt gefunden, nach dem Politikbeobachter in Berlin und München lange vergeblich gesucht haben: den Scham- und Schmerzpunkt von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Mit seiner Rede vor Amtskollegen aus anderen EU-Staaten hat der ehemalige Verfassungsschutzchef selbst Seehofer keine andere Wahl mehr gelassen, als ihn in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Maaßens Redemanuskript enthalte "inakzeptable Formulierungen", sagte Seehofer. Er sei menschlich enttäuscht von Maaßen. Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes fabulierte von einer Kampagne gegen sich selbst und von "linksradikalen Kräften in der SPD". Den Ton eines rechten Verschwörungstheoretikers hatte er schon in seinen umstrittenen Interviewpassagen mit der Bild angeschlagen. Maaßen zeigt sich uneinsichtig bis zuletzt.

Der Schaden, den er damit anrichtet, geht über die persönliche Kränkung seines Dienstherrn Seehofer hinaus. Inzwischen geht es um Politik – und zwar die Politisierung einer Sphäre, in der Parteienstreit aus gutem Grund wenig Platz hat: die Sicherheitsarchitektur Deutschlands.

Der letzte Kompromiss im Streit um den Verfassungsschutzchef – Abberufung von der Spitze des Amts, neuer Job als Sonderberater beim Innenminister, aber ohne Beförderung – hatte in der Union viele Fürsprecher. Diese Argumente waren dafür aus CDU und CSU zu hören: Einige wenige fanden Maaßens Äußerungen zu Chemnitz nicht besonders skandalös. Andere stimmten zumindest dem ersten Teil seiner Aussagen zu, nämlich der Kritik an der Verwendung des Wortes "Hetzjagd". Die meisten jedoch sahen das so: Maaßen hatte einen Fehler begangen – und sich dafür vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem Innenausschuss glaubwürdig entschuldigt.

Diese Unterstützung für Maaßen hatte strategische Gründe: Man wollte unbedingt vermeiden, dass sich die Union und die Sicherheitsbehörden weiter voneinander entfremden. Nach Empfinden einiger Abgeordneter ist das zwischen CDU, CSU und der Bundeswehr bereits der Fall. Man hätte Maaßen für einen solchen Fehltritt nicht ohne Schaden im Ansehen bei denjenigen, die für Deutschlands Sicherheit arbeiteten, rausschmeißen können, hieß es damals. Deshalb war Maaßens Entschuldigung der Union so wichtig. Ohne sie wäre der polarisierende Maaßen auch für viele Unionsleute kaum mehr vertretbar gewesen. Auch wenn etwa Teile der Opposition keine Reue aus Maaßens Auftritt heraushören konnten.

Die AfD frohlockt

Diese Brücke zur parlamentarischen und politischen Mitte hat Maaßen nun selbst wieder eingerissen. Mit seinem Redemanuskript hat er sich selbst für konservative Kreise in der Union untragbar gemacht. Er hat gewissermaßen darum gebeten, rausgeworfen zu werden. 

Man könne jetzt beinahe darauf warten, dass Maaßen in neurechten Kreisen aufschlage, ist in der Union mit einigem Zynismus zu hören. In seinem Redemanuskript liebäugelt er mit einer Karriere in der Politik. Geht man davon aus, dass ein Geheimdienstler weiß, seine Worte in ihrer Wirkung zu wägen, dürfte das durchaus als Drohung zu verstehen sein.

Eine Karriere in den Unionsparteien hat selbst seine ehemalige Schutzmacht Seehofer in der Pressekonferenz zu Maaßens Rauswurf mehr oder weniger deutlich ausgeschlossen. Die AfD dagegen frohlockt. Maaßen habe den Mut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen, sagte Parteichef Jörg Meuthen: "Er würde gut in eine demokratische Rechtsstaatspartei wie die AfD passen." Die Rechte hat in Maaßen einen Märtyrer gefunden, einen vermeintlich Aufrechten, der für seine Überzeugungen einstehe.

Und hier wird es gefährlich. Denn Sicherheit entsteht auch durch Vertrauen in Fakten und in Institutionen. Maaßen hat bewiesen, dass er sich um beides nicht allzu sehr schert. Er genießt unter Rechten große Autorität. Wenn er will, kann er so an strategischer Stelle großen Schaden an Staat und Demokratie anrichten. Denn wenn einer wie Maaßen Fakten in Zweifel zieht oder von Linksradikalen in der SPD spricht, hat das ein anderes Gewicht als wenn es die Hinterbänkler der AfD tun.

Die Farce um den ehemals obersten Verfassungsschützer ist aber ebenso eine Blamage für Seehofer selbst. Als Innenminister hatte er instinktlos gehandelt und Maaßen einen Posten in seinem Haus angeboten. Maaßens neuerliche Verbalausfälle beschädigen damit auch Seehofer, der so lange an ihn glaubte. Auch wenn er am Ende konsequent war und Maaßen in den Ruhestand schickte.