Die Geschichte wiederholt sich eben doch. Die neuesten Krawallszenen in den Nobelvierteln von Paris erinnern an frühere Volksrevolten auf dem Kopfsteinpflaster der französischen Hauptstadt. Ein neuer sozialer Fieberschub hat die revolutionäre Nation wieder einmal ergriffen, und überall wird der Kopf des Wahlmonarchen, Präsident Emmanuel Macron, gefordert: "Macron, démission" wurde auch in der Nacht auf Sonntag auf zahllose Pariser Hauswände gesprayt.

Ist Macron schuld, gar schuldig? Seine Steuererhöhung bei Benzin und Diesel, die am Ursprung des ganzen Aufstandes steht, lässt sich ökologisch rechtfertigen. Ebenso die Senkung der Vermögenssteuer, die Macron schon 2017 den Ruf eines "Präsidenten der Reichen" eingebracht hat: Diese Maßnahme soll die Investitionsbereitschaft im Land erhöhen und die massive Arbeitslosigkeit bekämpfen.

Macron erhält Quittung

All diese Schritte sind aber nur gerechtfertigt, wenn sie der Bevölkerung ausreichend erklärt werden und fiskalpolitisch gerecht sind. Auch die Geringverdiener im Land hätten deshalb von einer Steuersenkung profitieren müssen. Die Ökosteuer trifft aber gerade die ärmere Landbevölkerung, die für den Arbeitsweg auf das Auto angewiesen ist.

Die Quittung erhält Macron nun von allen Seiten: Rechte Gelbwesten mobilisieren gegen die Steuererhöhung, linke gegen die Privilegien der Eliten. Das führt, wie es am Wochenende eingetreten ist, zu einem für den Mitte-Politiker Macron gefährlichen Schulterschluss.

Ultrarechte und Ultralinke gingen in Paris vereint zur Sache. Auch die Wut der friedlicheren Aktivisten unter den Gelbwesten konzentriert sich auf den Präsidenten. In Wahrheit hat sie viel tiefer gehende Gründe. Frankreich leidet stärker als andere Länder unter einer exzessiven Steuer- und Abgabenlast – 46 Prozent -, zugleich aber auch an einer massiven sozialen Ungleichheit zwischen den Pariser Eliten und der Provinz.

Es ist letztlich dieser doppelte Missstand, der die Bewegung der Gelbwesten befeuert. Entsprechend widersprüchlich sind ihre Forderungen nach weniger Steuern und mehr Sozialhilfe. Das kennt man von der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und anderen populistischen, zum Teil gar kleinbürgerlichen Strömungen. Der Bauch rebelliert hier gegen den Kopf.

Wie weiter?

Die Gelbwesten sind nicht nur eine Reaktion auf französische Verhältnisse, sondern auf einen sozialpolitischen Missstand in ganz Europa, im ganzen Westen. Hört man genau hin, beklagen sich die Gelbwesten sowohl über die exorbitanten Saläre der Topmanager als auch über den Umstand, dass sie trotz harter Arbeit kaum mehr verdienen als Sozialhilfebezieher. Wie schwer es ist, in den komplexen und globalisierten Gesellschaften Antworten zu finden, zeigt Macrons Absturz in den Umfragen.

Wie weiter? Beide Seiten bleiben vorerst unbeugsam. Selbst wenn Macron den Gelbwesten-Protest auszusitzen vermag, wird ihn dieser politisch weiter schwächen. Es ist nicht sicher, ob er das Land dann wirklich noch reformieren kann.

Aber in einem hat Frankreichs Präsident recht: Die Gewaltexzesse von Paris sind für einen Rechtsstaat nicht akzeptabel. Von den destruktiven Ultras aus allen Ecken müssen sich die Gelbwesten schleunigst distanzieren. Sonst artet die Lage aus – und dann werden die Proteste nur Verlierer zurücklassen. (Stefan Brändle, 2.12.2018)