Kommentar

Nein, die Mission in Syrien ist nicht erfüllt

Donald Trump will seine Truppen aus Syrien abziehen. Welchen Nutzen das für die USA haben soll, ist völlig rätselhaft. Freuen dürfen sich der türkische Präsident Erdogan, das syrische Asad-Regime, Russland und die Iraner.

Daniel Steinvorth
Drucken
Amerikas Präsident Donald Trump ist offensichtlich nun kein Freund der Kurden mehr. (Bild: Evan Vucci / AP Photo)

Amerikas Präsident Donald Trump ist offensichtlich nun kein Freund der Kurden mehr. (Bild: Evan Vucci / AP Photo)

Es ist noch gar nicht lange her, da pries Donald Trump die Kurden als ein «grossartiges Volk», als «grossartige Kämpfer». «Sie haben mit uns gekämpft, sie sind mit uns gestorben», schwärmte er auf einer Pressekonferenz Ende September in New York. Der Präsident hatte schon frühzeitig begriffen, dass er die Kurden brauchte, um bei den Amerikanern ein Wahlversprechen einzulösen. Nur mithilfe der effizienten kurdischen Bodentruppen würde er die schlimmste Terrorgruppe überhaupt, den IS, in Syrien und im Irak besiegen können, so oder so ähnlich musste es ihm jemand eingeflüstert haben. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf hatte sich Trump als «grossen Fan der Kurden» bezeichnet.

Spätestens seit dem 19. Dezember ist jedoch klar, dass Trump die Kurden genauso im Stich lassen würde wie so viele Präsidenten und Politiker vor ihm. Seine Entscheidung, alle amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen, bedeutet genau das: Auf einen besonderen Schutz der USA können sich die syrischen Kurden – genauer gesagt: die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die im Kampf gegen den IS den vielleicht höchsten Blutzoll zahlten – wohl nicht mehr verlassen. Da der IS besiegt sei, twitterte Trump am Mittwoch, gebe es für Amerika keinen Grund mehr, in Syrien zu bleiben. Mission erfüllt, soll das heissen.

Was das für die Kurden, die im Norden und Osten Syriens ein selbstverwaltetes Gebiet ausgerufen haben, bedeutet, kann sich jeder ausmalen: Den Expansionsgelüsten des türkischen Präsidenten Erdogan in Nordsyrien steht mit dem amerikanischen Truppenabzug kein Nato-Soldat mehr im Weg. Ein langer Kampf zwischen der türkischen Armee, ihren islamistischen Verbündeten und den YPG sowie deren Verbündeten ist programmiert. Der kurze Feldzug um die kurdische Enklave Afrin vom Januar wäre nur ein lauer Vorgeschmack gewesen angesichts des zu erwartenden Blutbads und neuer Flüchtlingswellen.

Die noch rund 2000 Mann starken amerikanischen Truppen sollen aus Syrien abgezogen werden, lässt Präsident Donald Trump am Donnerstag (20. 12.) per Twitter verkünden. Das Bild zeigt Soldaten des 3. Bataillons des 7. Marine-Regiments im September 2018 bei einem Einsatz im syrischen Kampfgebiet. (Bild: U.S. Marine Corps by Cpl. Gabino Perez / via AP)
9 Bilder
Heftiger Rauch entwickelt sich an der Grenze zwischen Syrien und Israel, wo Geschosse einschlagen (23. Juli 2018). Trump ist der Meinung, die Terrorguerilla Islamischer Staat (IS) sei besiegt, womit der einzige Grund für die amerikanische Präsenz dahingefallen sei. (Bild: Ronen Zvulun / Reuters)
Ein US-amerikanischer Panzersoldat bei der Stadt Manbij im Norden Syriens (4. April 2018). Ein sofortiger Truppenabzug würde eine totale Kehrtwendung in der amerikanischen Syrien-Politik bedeuten, was zu Trumps Regierungsstil passen könnte. (Bild: Hussein Malla / AP)
Ein ziviler Helfer bringt ein verletztes Kind in Sicherheit (Hamoria, Damaskus, 6. Januar 2018). Das Weisse Haus lässt am Donnerstag (20. 12.) mitteilen, die USA seien bereit, auf allen Ebenen wieder aktiv zu werden, falls amerikanische Interessen auf dem Spiel stünden. Der Kampf gegen radikale islamistische Terroristen müsse an allen Fronten weitergehen. (Bild: Bassam Khabieh / Reuters)
Amerikanische Soldaten halten an der Grenze beim nordsyrischen Manbij eine Stellung (4. April 2018). Die Präsenz der Amerikaner dient nicht nur der Bekämpfung des IS, sondern auch der Eindämmung der iranischen Expansion. (Bild: Hussein Malla / AP)
Syrien im März 2018; dieses Kind ist in der Ortschaft Beit Sawa nach einer anstrengenden Flucht in einem Koffer eingeschlafen. Der geplante Truppenabzug aus Syrien trägt Trump scharfe Kritik ein, auch aus den eigenen Reihen. Viele Beobachter machen geltend, der IS sei keineswegs besiegt. (Bild: Omar Sanadiki / Reuters)
Im April 2018 nimmt dieses US-Militärfahrzeug die Grenze bei Manbij unter die Lupe. Damals erklärte die amerikanische Regierung, man wolle in Syrien bleiben, weil der IS längst noch nicht besiegt sei. (Bild: Hussein Malla / AP)
Blick auf zerstörte Bauten in der Stadt Homs (18. September 2018). Die USA sind seit 2014 an der Spitze eines Bündnisses in Syrien im Einsatz, um den IS zu bekämpfen. (Bild: Marko Djurica / Reuters)
Amerikanische Militärs bewachen die Grenze bei Manbij. Die USA führen in Syrien Luftangriffe gegen die Extremisten aus, Soldaten am Boden unterstützen zudem die Kurdenmiliz YPG. (Bild: U.S. Army photo by Spc. Zoe Garbarino / via AP) Zum Artikel und zu den weiteren Bildstrecken

Die noch rund 2000 Mann starken amerikanischen Truppen sollen aus Syrien abgezogen werden, lässt Präsident Donald Trump am Donnerstag (20. 12.) per Twitter verkünden. Das Bild zeigt Soldaten des 3. Bataillons des 7. Marine-Regiments im September 2018 bei einem Einsatz im syrischen Kampfgebiet. (Bild: U.S. Marine Corps by Cpl. Gabino Perez / via AP)

Vor allem dürfte der Kampf gegen den IS, der bis anhin noch viele Kurden bindet, mit einer neuen türkischen Militäroffensive zum Erliegen kommen. Anders als Trump behauptet, ist der Islamische Staat ja keineswegs besiegt. Er hält noch immer ein Rückzugsgebiet im Euphrattal, im Osten Syriens. Auf einige Tausende schätzen das Pentagon und das amerikanische Aussenministerium die Zahl der dort verbliebenen Extremisten. Ziehen sich die kurdischen Kämpfer wieder in den Norden zurück, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der IS neue Kräfte sammelt oder sich ein anderes Terrornetzwerk in der Wüste bildet.

Man kann sich den Kopf darüber zerbrechen, was Trump zu seiner Entscheidung bewogen hat, welche so offenkundig den Anti-Terror-Kampf gefährdet, die kurdischen Verbündeten ins offene Messer laufen lässt und obendrein noch den Iranern freies Feld in Syrien überlässt. Hatte nicht eben erst Trumps Sicherheitsberater John Bolton verkündet, die USA markierten so lange militärische Präsenz, bis das Mullah-Regime seine eigenen Einheiten zurückziehe? Gibt Washington seine Stützpunkte auf, dürfen sich Syriens Präsident Bashar al-Asad und seine Unterstützer in Moskau und Teheran freuen. Ihre wichtigste Forderung nach einem Rückzug der USA aus Syrien wäre erfüllt. Nur, was hat Trump davon? Welche Gegenleistung erbringt Erdogan?

In Wahrheit lässt sich kein echter politischer Nutzen erkennen ausser vielleicht dem, dass Trump seinen Anhängern die Illusion eines eingelösten Wahlversprechens verkaufen kann; dass er, der Friedensstifter, Amerika aus einem komplizierten und teuren Konflikt befreit. Dafür ist Trump offenkundig bereit, viel verbrannte Erde zurückzulassen.

Weitere Themen