Donald Trump will seine Truppen aus Syrien abziehen. Welchen Nutzen das für die USA haben soll, ist völlig rätselhaft. Freuen dürfen sich der türkische Präsident Erdogan, das syrische Asad-Regime, Russland und die Iraner.
Es ist noch gar nicht lange her, da pries Donald Trump die Kurden als ein «grossartiges Volk», als «grossartige Kämpfer». «Sie haben mit uns gekämpft, sie sind mit uns gestorben», schwärmte er auf einer Pressekonferenz Ende September in New York. Der Präsident hatte schon frühzeitig begriffen, dass er die Kurden brauchte, um bei den Amerikanern ein Wahlversprechen einzulösen. Nur mithilfe der effizienten kurdischen Bodentruppen würde er die schlimmste Terrorgruppe überhaupt, den IS, in Syrien und im Irak besiegen können, so oder so ähnlich musste es ihm jemand eingeflüstert haben. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf hatte sich Trump als «grossen Fan der Kurden» bezeichnet.
Spätestens seit dem 19. Dezember ist jedoch klar, dass Trump die Kurden genauso im Stich lassen würde wie so viele Präsidenten und Politiker vor ihm. Seine Entscheidung, alle amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen, bedeutet genau das: Auf einen besonderen Schutz der USA können sich die syrischen Kurden – genauer gesagt: die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die im Kampf gegen den IS den vielleicht höchsten Blutzoll zahlten – wohl nicht mehr verlassen. Da der IS besiegt sei, twitterte Trump am Mittwoch, gebe es für Amerika keinen Grund mehr, in Syrien zu bleiben. Mission erfüllt, soll das heissen.
We have defeated ISIS in Syria, my only reason for being there during the Trump Presidency.
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 19. Dezember 2018
Was das für die Kurden, die im Norden und Osten Syriens ein selbstverwaltetes Gebiet ausgerufen haben, bedeutet, kann sich jeder ausmalen: Den Expansionsgelüsten des türkischen Präsidenten Erdogan in Nordsyrien steht mit dem amerikanischen Truppenabzug kein Nato-Soldat mehr im Weg. Ein langer Kampf zwischen der türkischen Armee, ihren islamistischen Verbündeten und den YPG sowie deren Verbündeten ist programmiert. Der kurze Feldzug um die kurdische Enklave Afrin vom Januar wäre nur ein lauer Vorgeschmack gewesen angesichts des zu erwartenden Blutbads und neuer Flüchtlingswellen.
Vor allem dürfte der Kampf gegen den IS, der bis anhin noch viele Kurden bindet, mit einer neuen türkischen Militäroffensive zum Erliegen kommen. Anders als Trump behauptet, ist der Islamische Staat ja keineswegs besiegt. Er hält noch immer ein Rückzugsgebiet im Euphrattal, im Osten Syriens. Auf einige Tausende schätzen das Pentagon und das amerikanische Aussenministerium die Zahl der dort verbliebenen Extremisten. Ziehen sich die kurdischen Kämpfer wieder in den Norden zurück, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der IS neue Kräfte sammelt oder sich ein anderes Terrornetzwerk in der Wüste bildet.
Man kann sich den Kopf darüber zerbrechen, was Trump zu seiner Entscheidung bewogen hat, welche so offenkundig den Anti-Terror-Kampf gefährdet, die kurdischen Verbündeten ins offene Messer laufen lässt und obendrein noch den Iranern freies Feld in Syrien überlässt. Hatte nicht eben erst Trumps Sicherheitsberater John Bolton verkündet, die USA markierten so lange militärische Präsenz, bis das Mullah-Regime seine eigenen Einheiten zurückziehe? Gibt Washington seine Stützpunkte auf, dürfen sich Syriens Präsident Bashar al-Asad und seine Unterstützer in Moskau und Teheran freuen. Ihre wichtigste Forderung nach einem Rückzug der USA aus Syrien wäre erfüllt. Nur, was hat Trump davon? Welche Gegenleistung erbringt Erdogan?
In Wahrheit lässt sich kein echter politischer Nutzen erkennen ausser vielleicht dem, dass Trump seinen Anhängern die Illusion eines eingelösten Wahlversprechens verkaufen kann; dass er, der Friedensstifter, Amerika aus einem komplizierten und teuren Konflikt befreit. Dafür ist Trump offenkundig bereit, viel verbrannte Erde zurückzulassen.