Kommentar

Roberts Wintermärchen

Der Parteichef der Grünen, Robert Habeck, hat seinen Abschied von Twitter und Facebook verkündet – nachdem er erstmals so etwas wie Gegenwind kennengelernt hatte. Seine Begründung wirft Fragen auf. Kann man einem Politiker, den die sozialen Netzwerke nach eigenem Bekunden so aggressiv machen, dass er sie meiden muss wie ein Trinker die Flasche, Verantwortung übertragen?

Marc Felix Serrao, Berlin
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Schlaflos wegen Twitter: Grünen-Chef Robert Habeck. (Bild: EPA / Clemens Bilan)

Schlaflos wegen Twitter: Grünen-Chef Robert Habeck. (Bild: EPA / Clemens Bilan)

Robert Habeck ist einer der interessantesten Politiker Deutschlands. Das liegt nicht nur, aber vor allem an seinem fortwährenden Versuch, ein anderer, irgendwie authentischer Politiker zu sein. An diesem Montag hat der 49-jährige Grünen-Chef etwas verkündet, was auf den ersten Blick perfekt in dieses Bild passt: «Bye-bye, Twitter und Facebook», lautet die Überschrift zu einem Text, mit dem Habeck seinen Abschied aus den sozialen Netzwerken verkündet hat. Die Lektüre lohnt sich. Sie sagt viel aus über den Mann, von dem manche meinen, er habe das Zeug dazu, dereinst ins Kanzleramt einzuziehen.

Habeck beginnt mit der Feststellung, dass der Jahresanfang «in digitaler Hinsicht doppelt daneben» gewesen sei. Da sei, erstens, der Hackerangriff gewesen, bei dem auch privateste Daten seiner Familie veröffentlicht worden seien. Und da sei, zweitens, ein Fehler gewesen, den er nicht zum ersten Mal begangen habe. Dieser Fehler habe ihn die ganze Nacht beschäftigt.

Gefängnis Thüringen?

Der Grünen-Chef meint ein Video, das er schon im November für seine Parteifreunde in Thüringen und deren anstehenden Landtagswahlkampf aufgezeichnet hatte und das an diesem Sonntag im Netz veröffentlicht wurde. Die Wahl am 27. Oktober sei extrem wichtig, und zwar für ganz Deutschland, erklärt Habeck. «Kommt nach Thüringen», ruft er seinen Anhängern zu. Er werde da sein und seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock auch. Dann folgt der Satz, um den es geht: «Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird.»

Die Reaktionen folgten rasch. «In welchem Gefängnis habe ich die letzten Jahrzehnte gelebt?», spottete Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Der Kommentar des Thüringers war noch vergleichsweise freundlich. Viele Nutzer schmähten Habecks Appell als Paradebeispiel für eine vor allem im Westen Deutschlands beheimatete links-grüne Arroganz, die den Osten als demokratischen Kindergarten begreife, den man erst auf den richtigen, also ökologischen und multikulturellen Weg bringen müsse. Andere erinnerten Habeck daran, dass seine Partei seit 2014 in Thüringen mitregiert.

Das erste Rückzugsmanöver folgte noch am selben Abend. Man habe Habecks Video wieder entfernt, teilte der thüringische Landesverband der Grünen via Twitter mit – weil ihn viele falsch verstanden hätten. In Wahrheit rede niemand den Freistaat schlecht, «auch Robert tut’s nicht». Das Bundesland solle einfach «noch grüner und ökologischer» werden.

«Sorry dafür!»

Der Schuss ging, wenig überraschend, nach hinten los. Zum einen hatte Habeck nichts dergleichen gesagt. Zum anderen war es noch nie eine gute Idee, das Publikum dafür verantwortlich zu machen, wenn eine Botschaft nicht ankommt; das gilt erst recht für politische Botschaften. Irgendwann in seiner schlaflosen Nacht muss auch Habeck zu dieser Erkenntnis gelangt sein. Per Tweet und Abschiedsschreiben nahm er die Verantwortung auf sich und gab zu, dass das Video so klang, als würde er Thüringen absprechen, demokratisch zu sein. Das tue er «natürlich null». Dafür sei er zu oft dort gewesen und zudem überzeugt, dass der Freistaat einen erfolgreichen Weg eingeschlagen habe. Er hätte nicht «wird», sondern «bleibt» sagen müssen, schreibt Habeck. Das kleine Wort sei ein Fehler gewesen. Und das, wie gesagt, zum zweiten Mal.

Auch vor der bayrischen Landtagswahl im Oktober hatte Habeck dazu aufgerufen, den Freistaat, nun ja, zu befreien: «Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern», schrieb er. Und weiter: «Eine Alleinherrschaft wird beendet. Demokratie atmet wieder auf.» Auch damals ruderte der Parteichef rasch zurück: Er habe da gerade dieses Video gepostet, «zwischen zwei gehetzten Terminen schnell aufgenommen», «lasch formuliert» und «im Wahlkampffieber». Die Kritik nehme er an und sage «sorry dafür!»

Screenshot: Twitter

Screenshot: Twitter

Screenshot: Twitter

Screenshot: Twitter

Und nun der Ausstieg. Er, Habeck, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Twitter auf ihn abfärbe. In den Videos habe er sich unbewusst auf die polemische Art des Kurznachrichtendienstes eingestellt. Twitter sei aggressiv wie kein anderes Medium, nirgendwo gebe es so viel Böswilligkeit und Hetze. Das färbe offenbar ab. Er habe sich dabei ertappt, wie er nach Talkshows oder Parteitagen «gierig» nachgeschaut habe, wie er auf Twitter angekommen sei. Das wolle er nicht mehr. Er wolle wieder fokussiert und «auf die lange Distanz geeicht» sein. Von Facebook verabschiede er sich wegen des Hackerangriffs; der Datendiebstahl sei massgeblich über dieses Netzwerk erfolgt. «Bye-bye», ist Habecks letztes Wort.

Es ist leicht, diese Entscheidung mit Häme zu kommentieren. Viele Reaktionen fielen entsprechend aus. Von der AfD bis zur SPD verspotteten twitternde Politiker den Grünen-Chef als gefühliges Leichtgewicht. Dass sie sein Urteil über das Medium damit bestätigten, dürfte den wenigsten bewusst gewesen sein.

Habeck hat in vielem recht

In Wahrheit ist vieles zutreffend, was Habeck schreibt. Twitter ist ein garstiges Medium. Die Reflexe, die der Grünen-Chef beschreibt und bei sich selbst beobachtet hat, dürften niemandem, der den Dienst benutzt, fremd sein: die Freude über Zustimmung, der Ärger über unfairen Widerspruch. Und der Impuls, Kritikern schnell und in gleicher Tonlage zu antworten. Twitter reizt tatsächlich wie kein zweites Medium zur Zuspitzung, und es animiert zur Lagerbildung. Die Reduktion politischer Inhalte auf sogenannte Social-Media-Kacheln – knackige Statements, die binnen Sekunden konsumiert und weiterverbreitet werden – ist nur eine Konsequenz. Eine andere ist die Tendenz mancher Politiker (und Journalisten), sich selbst auf eine Art Kachel-Format zu reduzieren. Die SPD etwa wäre gut beraten, Habecks Social-Media-Flucht nicht allzu hämisch zu kommentieren. Sie hat mit Karl Lauterbach und Ralf Stegner zwei twitternde Spitzengenossen in ihren Reihen, über deren schrille Kommentare und Manieren im Netzwerk selbst viele Parteifreunde nur noch den Kopf schütteln.

Hat Habeck also recht? Muss, wer einen anderen Stil in der politischen Auseinandersetzung herbeisehnt, die sozialen Netzwerke verlassen? Es gibt Beispiele für Politiker, die nicht twittern und dennoch beliebt und einflussreich sind. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zum Beispiel oder Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Beides mögen ältere Herren sein, deren Karrieren schon im analogen Zeitalter Fahrt aufgenommen haben. Aber das erklärt nicht, weshalb sie heute beliebter sind denn je. Oder ist es vielleicht gerade der Verzicht auf die Möglichkeit, zu allem und jedem immer gleich den eigenen Senf dazuzugeben, der einem inmitten des Geschnatters den Ruf der Seriosität einbringt?

Links-grüne Klischee-Kanonen

Der Grünen-Chef mag diese Hoffnung hegen. Doch sein Vorgehen überzeugt nicht. Habeck sagt nicht aus grundsätzlichen Erwägungen Adieu; das wäre eine Position der Stärke. Er zieht sich zurück, weil er mit Kritik, der ersten ernsthaften Kritik in seiner jungen Karriere, offenkundig nicht umgehen kann. Der Verweis auf das Reiz-Reaktions-Schema von Twitter klingt zunächst überzeugend, ist in Wahrheit aber vorgeschoben. Ja, das Netzwerk kann einen zu polemischen Zuspitzungen verleiten – wenn man gerade vor dem Rechner oder am Handy eine Gemeinheit über sich gelesen hat und den Drang verspürt, zu reagieren. Die Videos, in denen der Grünen-Chef seine Partei zum Befreier Bayerns und Thüringens erklärt, hat er aber nicht in einer solchen Affekt-Situation aufzeichnen lassen. Einmal steht er sehr entspannt im Freien, ein andermal sieht man im Hintergrund den Bundesparteitag der Grünen in Leipzig – eine Veranstaltung, bei der dem Mann nichts als Zuneigung zuteilwurde.

Der Politiker Habeck hat ein paar richtige Gedanken geäussert, über die es sich zu diskutieren lohnt. Sie haben aber nichts mit der Lage zu tun, in die sich der Mann selbst und ohne Not hineinmanövriert hat. Die Überheblichkeit, die in seinen Video-Botschaften steckt, entspricht einer Überzeugung, die in links-grünen Kreisen sehr viele Menschen teilen und die jedes Mal die Klischee-Kanonen zündet, wenn im vermeintlich durch und durch rechtsradikalen Osten oder im angeblich reaktionär-provinziellen Bayern etwas geschieht, was den eigenen Vorstellungen widerspricht.

Schliesslich fragt man sich, ob jemand, den ein paar Tweets nach eigenem Bekunden so aggressiv machen, dass er das ganze Medium meiden muss wie ein Trinker die Flasche, politische Verantwortung tragen sollte. Habeck mag nicht allein sein mit seinem Problem. Sehr viele Leute twittern täglich Dinge, die ihrem Ruf schaden. Doch es geht natürlich auch anders. Es gibt Nutzer, die sich selten oder gar nicht blamieren, darunter sind Politiker aller Parteien. Sie bleiben sachlich, auch wenn ihr Gegenüber poltert und flucht. Sie bitten um Belege, wenn ihnen jemand haltlose Vorwürfe macht. Und wenn gar nichts mehr hilft, blockieren sie die Störenfriede oder schalten sie auf «stumm». Die Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, Blödsinn und Derbheiten zu verbreiten. Sie verpflichtet niemanden, zuzuhören und mitzumachen.

Wenn es Habeck ernst ist mit seinen Idealen, dann kehrt er nach einer Pause zurück ins Netz. Andernfalls wird es schwerfallen, den Mann und seinen Kampf für einen anderen Politikstil ernst zu nehmen.