Kommentar

Wer AfD-Politiker als «Nazis» beschimpft, sät Gewalt

Der Anschlag auf den Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz zeugt von einem neuen, besorgniserregenden Niveau der Gewaltbereitschaft in Deutschland. Alle politischen Lager sind aufgerufen, gegenzusteuern: mit uneingeschränkter Solidarität für die Opfer von Übergriffen und mit sprachlicher Abrüstung.

Marc Felix Serrao, Berlin
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Der am Dienstag durch einen Anschlag schwer verletzte AfD-Politiker Frank Magnitz (Bild Michael Kappeler/dpa)

Der am Dienstag durch einen Anschlag schwer verletzte AfD-Politiker Frank Magnitz (Bild Michael Kappeler/dpa)

Noch ist nicht bekannt, wer den Bremer AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz ins Krankenhaus geprügelt hat. Die Polizei geht von einem politischen Motiv aus, sicher ist das aber nicht. So oder so ist die Tat ein Tiefpunkt in der jüngeren Entwicklung Deutschlands. Seit Jahren müssen Volksvertreter aller Parteien mit Beleidigungen, Drohungen, abgefackelten Autos oder Farbbeutel-Attacken fertigwerden. Immer wieder kommt es auch zu körperlichen Angriffen. Für Aufsehen sorgten zuletzt die Messerattacken auf die Kommunalpolitiker Henriette Reker und Andreas Hollstein.

Aber dass ein Bundestagsabgeordneter derart schwer verletzt wird, das hat man lange nicht erlebt. Die Attacke zeugt von einem besorgniserregenden Niveau der Gewaltbereitschaft. Laut einer Analyse des «Faktenfinders» der «Tagesschau» ist die AfD von allen Bundestagsparteien am stärksten von Angriffen betroffen. Alle politischen Lager sind aufgerufen, innezuhalten und gegenzusteuern.

Gewalt nützt niemandem

Die erste Massnahme wäre Solidarität mit den Opfern. Solidarität bedeutet unbedingten Zusammenhalt. Viele Kommentatoren liessen nichts dergleichen erkennen. Ein Beispiel ist ein Artikel der «Frankfurter Rundschau». Da heisst es: «Wer glaubt, Rassisten liessen sich mit Kanthölzern vertreiben, schadet den Rechten nicht, sondern macht sie nur stärker.» Der Autor schafft es nicht, die Gewalt abzulehnen, ohne eine strategische Begründung anzuhängen. Dass die AfD vom Anschlag profitieren könnte, ist seine eigentliche Sorge, nicht der Mensch, der schwer verletzt im Krankenhaus liegt.

Eine solche Argumentation steht auf wackligen Füssen. «Mag sein, dass ein Angriff auf die AfD ihr erst mal nutzt», kann ein gewaltbereiter Gegner der Partei erwidern – um dann sein eigenes Aber anzuhängen. Das kann von ertrinkenden Menschen im Mittelmeer oder rechtsextremer Gewalt gegen Migranten handeln. Trägt die AfD in solch einem Weltbild die Verantwortung, dann ist es nicht mehr weit zum Baseballschläger. Der Nutzen, den die AfD durch Angriffe auf Leib und Leben angeblich hat, wird dann mit dem vermeintlichen Nutzen abgeglichen, den die Gesellschaft durch die Vernichtung dieser Partei hätte. Faustschläge, bewaffnete Angriffe und letztlich auch der Tod von Menschen könnten in einer solchen Rechnung, je nach Schweregrad der ideologischen Verbohrtheit, legitim erscheinen. Politische Gewalt ist entweder absolut tabu, oder sie ist es schnell nicht mehr.

Gefährliche Nazi-Vergleiche

Die zweite Massnahme baut auf der ersten auf: sprachliche Abrüstung. Es ist richtig, dass die AfD für die Verrohung der politischen Kultur massgeblich verantwortlich ist. Das Gerede vieler ihrer Anhänger von der «DDR light» oder «Merkels Goldstücken» ist schwer erträglich. Aber viele Kritiker der Partei sind nicht besser. Sie mögen Übergriffe ablehnen. Aber die Begriffe, die sie verwenden, sind der Schlüssel, der anderen das Tor zur Gewalt aufschliesst. Allen voran der inzwischen fast allgegenwärtige «Nazi». In einem grossen Teil der deutschen Öffentlichkeit ist es üblich geworden, AfD-Mitglieder so zu titulieren. «Nazis raus, aber mit den Methoden unseres Rechtsstaates!», twitterte der Grünen-Politiker Cem Özdemir‏ als Kommentar zum Angriff auf Frank Magnitz.

Der Vergleich mag hanebüchen und geschichtsblind sein, aber er steigert das Selbstwertgefühl der Sprecher. Wer meint, gegen Nazis zu kämpfen, und sei es durch einen Tweet oder ein T-Shirt, kann sich in einer Reihe mit den Geschwistern Scholl oder den Männern des 20. Juli wähnen. Das fühlt sich sicher gut an. Aber in Wahrheit schützen solch maximale Schmähwörter die offene Gesellschaft nicht, sie schaden ihr. Denn für all jene, die ohnehin überlegen, ob das Elend im Mittelmeer nicht Gewalt gegen rechte Politiker rechtfertige, stellen sie eine weitere Rechtfertigung dar, um loszuschlagen: gegen wen, wenn nicht gegen Nazis?

Deutschland droht keine Wiederauflage der Weimarer Verhältnisse, wie sie manche Kommentatoren seit Monaten beschwören. Noch nicht. Doch zwischen einer funktionierenden Demokratie und der Schwelle zum Totalitarismus warten viele Stufen des Niedergangs. Verbale Abrüstung und echte Solidarität mit Gewaltopfern wären erste Massnahmen, um ihn zu bremsen.

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