Kommentar

Anstatt Verantwortung zu übernehmen, verhält sich Facebook wie ein pubertierender Teenager

Mark Zuckerberg hat ein einzigartiges Netzwerk geschaffen, doch er weigert sich, grundlegende notwendige Verbesserungen daran vorzunehmen. Stattdessen greift er wieder nur in die Trickkiste.

Marie-Astrid Langer, San Francisco
Drucken
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg macht gute Miene zu all den Datenskandalen, in Wirklichkeit wird der Zugriff auf die Nutzerdaten weiter verstärkt. (Bild: Charles Platiau / Pool Photo via AP)

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg macht gute Miene zu all den Datenskandalen, in Wirklichkeit wird der Zugriff auf die Nutzerdaten weiter verstärkt. (Bild: Charles Platiau / Pool Photo via AP)

Fast auf den Tag genau fünfzehn Jahre ist es her, da legte ein 19-jähriger Student in seinem Wohnheim in Harvard den Grundstein für das, was schon bald das grösste Netzwerk der Welt werden sollte. Inzwischen verbringen 1,5 Milliarden Menschen jeden Tag durchschnittlich zwanzig Minuten auf Facebook, das am Aktienmarkt mit fast einer halben Billion Dollar bewertet wird. Zuckerbergs College-Experiment zählt zu den wertvollsten Unternehmen der Welt und zu den eindrücklichsten Gründergeschichten unserer Zeit.

Nichts gelernt aus all den Skandalen

Doch allem Erfolg zum Trotz verhält sich Facebook heute wie ein bockiger Teenager, der nicht versteht, was seine Eltern an ihm auszusetzen haben. Die Skandale der vergangenen Monate – der Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica, die russische Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahl, die Hassreden gegen Minderheiten in aller Welt – haben offenbart, dass Zuckerberg sein eigenes Netzwerk nicht im Griff hat.

Statt Verantwortung zu übernehmen, verteilt Facebook diese auf verschiedene Akteure: Externe Journalisten wurden als Fact-Checker beauftragt, um Fake-News zu kennzeichnen. Ein neues Aufsichtsgremium soll künftig entscheiden, welche Kommentare zu löschen sind und welche noch unter die Meinungsfreiheit fallen. Den ehemaligen britischen Vizepremierminister Nick Clegg hat Facebook als Cheflobbyisten angeworben, damit er die Europäer versöhnlich stimmt. Er soll den «Erwachsenen» mimen – eine Rolle, an der Zuckerberg und seine Geschäftsführerin Sheryl Sandberg gescheitert sind.

Glaubwürdiger wäre es gewesen, wenn Zuckerberg als Konsequenz aus all den Skandalen eine seiner zwei Rollen als Vorsitzender des Verwaltungsrats und als CEO abgegeben hätte. Oder wenn Sandberg als Verantwortliche für den Werbemarkt – und damit den Umgang mit Nutzerdaten – zurückgetreten wäre.

Doch an einem echten Wandel hat Facebook kein Interesse. Nach aussen sorgt das Netzwerk für Schlagzeilen, indem es Clegg auf Entschuldigungstour durch Brüssel schickt und sogenannte «War Rooms» in Menlo Park, Dublin und Singapur eröffnet, die gegen politische Einflussnahmen kämpfen sollen.

Der Datenzugriff nimmt zu

Hinter den Kulissen geht Facebook einen anderen Weg: Um zu verhindern, dass der Kongress das Netzwerk an die kurze Leine nimmt, hat es 2018 so viel wie nie zuvor für Lobbying in Washington ausgegeben. Und während die Politiker noch über neue Regulierungen für Facebook grübeln, schafft Zuckerberg bereits Tatsachen: Er hat seine Ingenieure angewiesen, die drei Kommunikationsplattformen Messenger, Instagram und Whatsapp technisch zu verzahnen; damit würde eine Zerschlagung des Netzwerks – wie sie manche Kritiker fordern – nahezu unmöglich.

Die kombiniert 2,7 Milliarden Nutzer könnten dann direkt kommunizieren – und ihnen allen kann Facebook Werbung vorsetzen und ihre Metadaten abgreifen. Der Datenkrake verstärkt seinen Griff, statt ihn zu lockern. Bekannt wurde dies nicht durch eine Pressemitteilung von Facebook, sondern eine Recherche der «New York Times». Noch dazu hatte Zuckerberg einst versprochen, dass die Plattformen immer voneinander unabhängig bleiben würden. So viel zu seiner Glaubwürdigkeit.

Ironischerweise haben die Skandale der vergangenen Monate den Werbekunden signalisiert, auf welchem Schatz an Nutzerdaten Facebook sitzt – auch wenn es diesen durch fragwürdige Methoden erlangt hat. Anzeigenkunden strömen nach wie vor zu dem Netzwerk, wie die jüngsten Quartalszahlen zeigen. Offenbar wollen auch sie von dem Schatz profitieren, solange es noch geht.

Bis heute bleibt Zuckerberg den Beweis schuldig, dass er reifer und verantwortungsbewusster ist als der Teenager im Studentenwohnheim, der «move fast and break things» zu seinem Motto gemacht hatte. Doch Facebooks Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Es bleibt abzuwarten, wie viele Skandale die Nutzer – und der Gesetzgeber – ihm noch verzeihen.

Der NZZ-Korrespondentin Marie-Astrid Langer auf Twitter folgen.

Mehr von Marie-Astrid Langer (lma)

Mehr von Marie-Astrid Langer (lma)

Weitere Artikel