Gastkommentar

Jürgen Trittin bezeichnet die Beziehungen zwischen Europa und den USA als «erschüttert»

Wenn sich in den USA dauerhaft das weisse, ländliche und rechte Amerika durchsetze, würden die Konflikte künftig eskalieren, schreibt der deutsche Grüne Jürgen Trittin in der NZZ.

Jürgen Trittin
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Ich bin Bremer. Bremen war mit Bayern nach der Befreiung durch die Alliierten amerikanische Besatzungszone. In Bremerhaven trat Elvis seinen Militärdienst an. Bei uns sass der Schock tief, als 1963 Kennedy ermordet wurde. Als Neunjähriger war dies für mich eine der ersten politischen Erfahrungen: Eine Hoffnung starb. In der Hafenstadt Bremen stand Amerika für die Welt.

Jürgen Trittin (Bild: Reuters)

Jürgen Trittin (Bild: Reuters)

1968 war auf beiden Seiten des Atlantiks ein Jahr des Aufbruchs. Der Aufbruch war auch ein Ausbruch enttäuschter Liebe. Die grossen USA überzogen das kleine Vietnam mit Mord und Totschlag. Sie schreckten dabei vor Napalm gegen Kinder und Massakern wie in My Lai nicht zurück. Der Vietnamkrieg erschütterte eine ganze Generation in den USA und in Europa. Dagegen gingen Schüler und Studenten auf die Strasse, in Berkeley, Ohio und Washington, wie auch in Berlin und Bremen.

Vielfalt und Widersprüchlichkeit

In Deutschland trug uns dies den Vorwurf des Antiamerikanismus ein. Der kam von einer Vätergeneration, die noch mit der Waffe in der Hand für die Nazis und gegen die USA gekämpft hatte – und anders als wir kein Englisch sprach. Wir hatten unser Englisch beim Hören von American Forces Network geschult. Denn dort spielten sie unsere Musik. Wir hörten Joan Baez, tanzten zu Jimi Hendrix' Version der US-Hymne und sangen mit Country Joe McDonald sein «I Feel Like I’m Fixin to Die Rag». Und wir konnten unsere Väter fragen, ob das alles keine Amerikaner seien. Sie kannten die natürlich alle nicht. Wir schon. Das war unser Amerika, unsere Musik, unsere Bewegung.

Protestkundgebung beim Trump Tower gegen den amerikanischen Präsidenten. (Bild: Alba Vigaray /Epa)

Protestkundgebung beim Trump Tower gegen den amerikanischen Präsidenten. (Bild: Alba Vigaray /Epa)

Mich hat dieses Land nicht losgelassen. Ich fuhr später selber hin und lernte sehr unterschiedliche Menschen kennen. Die gebürtige Hamburgerin, die mit ihrem amerikanischen Mann in die USA gezogen war und deren Deutsch ich nicht mehr verstehen konnte. Die Gastfreundschaft eines lesbischen Paars, das eine biologische Erdnussfarm betrieb. Ich trank in Portland Bier mit Holzfällern. Ich sass im Streifenwagen eines aus Venezuela eingewanderten Polizisten in Miami, der von Schwarzen als «Kakerlaken» sprach. In Michigan ass ich mit deutschen Emigranten Sauerbraten und besuchte anschliessend eine Wahlkampfveranstaltung für Jesse Jackson, bei der Gospels gesungen wurden.

Regelmässig traf und treffe ich in den USA Henry Kissinger und den gerade verstorbenen Norman Birnbaum (letztes Mal im Dezember 2018 vor seinem Tod). Der eine ist für den Putsch in Chile verantwortlich und wurde für die Beendigung des Vietnamkriegs mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der andere ist ein dezidierter Linker, der sich immer für die transatlantischen Beziehungen starkmachte. Es gibt ausserhalb Europas kein Land, welches ich so oft besucht habe. Ich lernte eines: Amerika gibt es nur in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit.

Gespaltenes Amerika

Amerika und Europa teilten lange gemeinsame Interessen, Institutionen und Ideale. Letztere sind politisch in Vietnam und Chile unter die Räder gekommen. Die Invasion des Iraks 2003 machte den Bruch der ideellen Basis gemeinsamer Politik zwischen den USA und Europa unübersehbar. Ich war Mitglied der Bundesregierung von SPD und Grünen, die damals eine Mehrheit im Sicherheitsrat gegen die USA organisierte. Wir mussten uns von der politischen Rechten des Antiamerikanismus bezichtigen lassen. Heute ist selbst Angela Merkel froh, dass wir damals nicht auf sie gehört haben.

Gemeinsame Interessen, der Zusammenhalt in Nato und Weltbank, G-8 und Währungsfonds liessen uns die von George W. Bush ausgelöste Krise in den transatlantischen Beziehungen überstehen. Es folgte der Honeymoon unter Barack Obama. Obama wurde in Deutschland von einem Konsens getragen, der weit grösser als derjenige in den USA war. In den USA verschärfte sich die Spaltung der Gesellschaft – deren Ausdruck Donald Trump wurde.

Heute blockiert die Spaltung der US-Gesellschaft das gesamte politische System. Die Beziehungen zwischen Europa und den USA sind erschüttert. Trumps Anspruch auf globale ökonomische Dominanz führt in einen Handels- und Steuerkrieg mit Europa. Europa ist angeblich schlimmer als China – so Präsident Trump. Gemeinsame Institutionen sollen sich dem Diktat der USA fügen oder «eliminiert» werden – so Aussenminister Pompeo. Das ist die grösste Krise in den transatlantischen Beziehungen.

Wie sie ausgeht, wird nicht nur davon abhängen, ob Europa darauf eine eigenständige gemeinsame Antwort gibt. Es wird vor allem in den USA entschieden werden. Setzt sich das weisse, ländliche, rechte Amerika durch, werden diese Konflikte eskalieren. Finden dagegen Frauen, Minderheiten und das demokratische Amerika eine Mehrheit, werden die vorhandenen transatlantischen Konflikte nicht verschwinden – aber sie werden wieder lösbar.

Es wäre die Rückkehr zu den Wurzeln der Demokratie, die sich in der amerikanischen wie der französischen Verfassung findet – und mit Verspätung im deutschen Grundgesetz. Es ist ein amerikanischer Traum.

Jürgen Trittin ist deutscher Bundestagsabgeordneter der Grünen. Von 1990 bis 1994 war er niedersächsischer Minister und von 1998 bis 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Trittin nahm am 20. November 2018 am NZZ-Podium Berlin zum Thema «American Dream» teil.