Britischer EU-Austritt :
Dann lieber ein Ende mit Schrecken

Berthold Kohler
Ein Kommentar von Berthold Kohler
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Kämpft für ihren Brexit-Deal mit der EU: Die britische Premierministerin Thersa May
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten dürfen sich nicht in den britischen Strudel hineinziehen lassen.

Die politischen Uhren in der EU ticken inzwischen so laut und unerbittlich wie der Regulator in Fred Zinnemanns legendärem Western „Zwölf Uhr mittags“. Auf dem Kontinent hält sich immer noch die Hoffnung, dass das unaufhaltsame Vorrücken der Zeiger jene britischen Politiker zur Vernunft bringt, die mit der Zukunft ihres Landes Vabanque spielen. Haben die Europäer nicht schon immer diesen Druck gebraucht, wenn Positionen aufeinanderprallten, die unvereinbar zu sein schienen? In langen Verhandlungsnächten wurden sogar die Uhren angehalten, um aus der letzten Minute ein paar Stunden zu machen, in denen man sich dann irgendwie einigte.

Die Verlängerung der Austrittsfrist, um die in Brüssel gerungen wurde, stellt im Grunde nichts anderes dar als ein Stoppen der Uhr für Wochen oder gar Monate. Das ist insofern vernünftig, als wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, um einen ungeregelten Brexit zu vermeiden. Doch müssen die Kalkulationen, die damit verbunden werden, nicht zwangsläufig aufgehen. In London könnte der Glaube aufkommen, die Furcht der verbleibenden EU-Mitglieder vor einem Chaos-Brexit sei so groß, dass sie zu jenen Zugeständnissen bereit seien, die bisher als ausgeschlossen galten. Sind auf dem Kontinent, der sich lange geschlossen zeigte, nicht auch schon erste Meinungsunterschiede zu erkennen? Der politische Prozess in Großbritannien scheint nur noch aus solchen zu bestehen. Er kreist in schwindelerregender Manier um sich selbst und hat sich dabei in einen zerstörerischen Strudel verwandelt, in den die EU und ihre Mitglieder sich um keinen Preis hineinziehen lassen dürfen.

Denn noch schlimmer als ein ungeregelter Brexit wäre es, wenn der Versuch, doch noch zu einer einvernehmlichen Trennung zu kommen, in einer Lähmung der Institutionen und einer Handlungsunfähigkeit der EU endete. Sie hat schon zu lange zu viele andere Fragen von großer politischer Bedeutung vernachlässigt, London übrigens auch. Wenn das britische Parlament weder einen ungeregelten Austritt will noch einen geregelten Austritt auf der Grundlage des ausgehandelten Vertrags, dann sollte London die Austrittserklärung zurücknehmen und noch einmal das Volk befragen. Dazu brauchte man in Downing Street und Westminster freilich den Mut eines Marshal Will Kane. Für die EU aber muss in jedem Fall die alte Devise gelten: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.