Kommentar

Die AfD und der Dünger der Gewalt

Ein Neonazi hat den CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen, und viele geben der rechtspopulistischen Partei eine Mitschuld. Zu Recht? Die Debatte über diesen Vorwurf ist wichtig. Enthemmte Sprache macht aus denen, die sie benutzen, keine Mörder. Aber sie kann Menschen, die sich radikalisiert haben, das Gefühl geben, handeln zu müssen.

Marc Felix Serrao, Berlin
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Rechts vorne: die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel im Deutschen Bundestag. (Bild: Michele Tantussi / Getty Images)

Rechts vorne: die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel im Deutschen Bundestag. (Bild: Michele Tantussi / Getty Images)

Wolfgang Schäuble wäre ein guter Kanzler geworden, das sagen bis heute viele. Aber das Amt des Parlamentspräsidenten, das der 76-jährige Christlichdemokrat seit 2017 innehat, ist genau das richtige. Denn hier, im Herzen der Demokratie, lässt sich der Riss, der durch Deutschland geht, in jeder Sitzungswoche beobachten. Und genau hier findet dieser alte Mann im Rollstuhl oft die richtigen Worte. Auch an diesem Mittwoch.

Um Punkt 13 Uhr nahm Schäuble seinen Platz in der Mitte des Saals ein, den wuchtigen Bundesadler im Rücken. Er sprach über seinen toten Parteifreund Walter Lübcke und über dessen mutmasslichen Mörder Stephan E., der die Tat soeben gestanden hatte. Das Parlament, das am Donnerstag über die politischen Konsequenzen debattieren will, sei jetzt in der Pflicht, sagte Schäuble. Es müsse der Gesellschaft ein Vorbild sein. Deutliche Worte dürften fallen, «aber mit Respekt voreinander». Eine menschenfeindliche Sprache sei früher der Nährboden für Gewalt bis hin zum Mord gewesen, und sie sei es heute noch. Wer diesen Boden dünge, mache sich mitschuldig, «das sollte jetzt auch der Letzte verstanden haben».

In den Tagen zuvor haben viele im Land auf die AfD gezeigt. Politiker und Leitartikler beschuldigten Vertreter der Partei, «mitverantwortlich» für den Mord an Lübcke zu sein. Die Betroffenen wiesen die Vorwürfe empört zurück. Wenn, dann werde man selbst bedroht und angegriffen. Und mit Extremisten habe man nichts am Hut.

Sprache wie auf einer Klowand

Im strafrechtlichen Sinne stimmt das. Für den Mord an Lübcke ist allein derjenige verantwortlich, der ihm in den Kopf geschossen hat. Aber heisst das im Umkehrschluss, dass eine indirekte Verantwortung ausgeschlossen ist? Heisst unschuldig im Sinne der Anklage auch unschuldig im politischen Sinne? Wenn Schäubles Bild stimmt, wenn der Boden, auf dem die Gewalt wächst, durch Sprache gedüngt wird, dann rast die AfD schon ziemlich lange mit einem der grössten Streuer über den Acker.

Man muss gar nicht die einschlägigen Zitate vom «Mahnmal der Schande» oder vom «Vogelschiss» bemühen. Es reicht, sich die täglichen Kommentare der Partei auf Facebook anzuschauen, ihrem wichtigsten Kommunikationskanal. Der Evangelische Kirchentag? Eine «schizophrene Irrsinnsveranstaltung». Angela Merkel? Eine ins «linksgrüne Lager abgedriftete Kanzlerdarstellerin». Die CDU-Chefin? «Meinungsdiktatorin AKK». So geht das ohne Unterlass. Die Kommunikation der AfD erinnert an eine vollgeschmierte Klowand. Nichts daran ist bürgerlich.

Eine enthemmte Sprache macht aus denen, die sie benutzen, keine Mörder. Aber sie kann Mörder machen. Sie kann ein Klima schaffen, das bei kleinen Gruppen oder Einzeltätern den Eindruck verstärkt, im Recht zu sein. Wenn ein ohnehin schon radikalisierter Kopf am laufenden Band hört und liest, dass das eigene Land ein Unrechtsstaat sei und die Repräsentanten diktatorische Darsteller, dann kann er durchaus auf den Gedanken kommen, dass seine Pläne zum Widerstand, in welcher Form auch immer, berechtigt sein könnten. Kein Mensch weiss bis jetzt, welche Faktoren Stephan E. letztlich zum Mörder gemacht haben. Aber vermutlich wird auch er auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken unterwegs gewesen sein. Seine Gesinnungsgenossen sind es noch. Und wer weiss, wie viele es sind.

Schäuble hat recht: Wer nach dieser Tat noch die oben beschriebene Sprache benutzt, macht sich mitschuldig, nicht zwingend strafrechtlich, aber als Bürger. Den Acker der Gewalt kann man düngen, von rechts wie von links. Man muss aber versuchen, ihn auszutrocknen. Es ist höchste Zeit.