Kommentar

Putins Rakete trifft

Forsch stellt der türkische Präsident Erdogan die traditionelle Partnerschaft mit den USA infrage. Der lachende Dritte ist Russlands Präsident Putin.

Andres Wysling
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Der türkische Präsident Erdogan (l.) und der russische Präsident Putin treffen sich am Rande des G-20-Gipfels in Osaka. (29. Juni 2019) (Bild: Yuri Kadobnov / EPA)

Der türkische Präsident Erdogan (l.) und der russische Präsident Putin treffen sich am Rande des G-20-Gipfels in Osaka. (29. Juni 2019) (Bild: Yuri Kadobnov / EPA)

Der türkische Präsident Erdogan hat jetzt eine hochmoderne russische Abfangrakete, dafür muss er wahrscheinlich auf ein hochmodernes amerikanisches Kampfflugzeug verzichten. Er setzt sich mit den Russen ins Einvernehmen und stellt das traditionelle Bündnis mit den Amerikanern aufs Spiel. Erdogan hebt damit seine eigene Statur hervor und die seines Landes: Er ist ein grosser Mann, der sich so etwas leisten kann, und die Türkei ist ein grosses Land, das eine eigenständige Aussenpolitik betreibt – man braucht sich nicht bevormunden zu lassen.

Militärisch wird die Türkei ohne das neue Flugzeug zumindest auf den ersten Blick schwächer aussehen als mit diesem. Sie verzichtet auf eine glänzende Waffe, mit der sie ausgreifende Machtansprüche in der Nachbarschaft unterstreichen könnte. Dafür setzt sie auf das ziemlich statische Abwehrsystem S-400, das ausschliesslich defensive Zwecke erfüllt. Die Symbolik ist nicht zu übersehen: Erdogan nimmt die aggressiven türkischen Grossmachtpläne ein Stück weit zurück, er setzt verstärkt auf Verteidigung statt Drohung – was Dreinschlagen in der nahen Nachbarschaft nicht ausschliesst.

Die neue Selbstbescheidung ist das Eingeständnis einer Niederlage. Erdogan hat zu Beginn des Syrien-Kriegs einen Regimewechsel in Damaskus herbeizuführen versucht, mit Hilfe der Amerikaner. Dieser Plan ist gescheitert. Jetzt hofft Erdogan, mit Hilfe der Russen doch noch eine für die Türkei günstige Lösung in Syrien zu erreichen. Ihm geht es darum, die Entstehung eines kurdischen staatsähnlichen Gebildes wie im Irak zu verhindern, das eine Destabilisierung im kurdischen Osten der Türkei herbeiführen könnte. Die Amerikaner hingegen setzen sowohl im Irak wie in Syrien stark auf die kurdischen Kämpfer.

Mit seiner Weichenstellung nimmt Erdogan beträchtliche Nachteile in Kauf. Die Börse hat sogleich signalisiert, dass für die türkische Wirtschaft ein Rückschlag erwartet wird, zuerst im Rüstungsbereich. Die Beteiligung der türkischen Industrie an der Produktion des Jagdflugzeugs F-35 dürfte von Washington gestoppt werden. Auch weitere Bereiche der türkischen Wirtschaft könnten in Mitleidenschaft geraten.

Doch kann Erdogan auch auf positive wirtschaftliche Auswirkungen der Zusammenarbeit mit Russland hoffen. Eine ruhige Beziehung ist ganz offensichtlich im Interesse der beiden benachbarten Mächte, wenn es etwa um den Vertrieb von Erdöl und Erdgas vom Kaspischen Meer in Richtung Westen geht. Da kommen dann wieder westliche Interessen ins Spiel. Erdogans Geschäftssinn sagt ihm wohl, dass er mit einer Schaukelpolitik zwischen Washington und Moskau für die Türkei am meisten herausholen könne, politisch wie wirtschaftlich. Eine völlige Umkehrung der Allianzen ist kaum seine Absicht.

An den Waffengeschäften um Flugzeuge und Raketen, den zustande gekommenen wie den gescheiterten, lassen sich die Machtverschiebungen im Nahen Osten ablesen. Russland verstärkt seinen Einfluss mehr und mehr, die früher praktisch allein massgeblichen USA haben die Regie zum Teil abgegeben. 2003 feierten die Amerikaner noch mit Triumph den Einmarsch in Bagdad. Heute wird als Spätfolge des Irak-Kriegs der Zusammenhalt der Nato infrage gestellt. Die Türkei mit ihren starken Streitkräften geht zu dem Bündnis auf Distanz.

Sieger nach Punkten ist der russische Präsident Putin. Einmal mehr ist es ihm gelungen, den Zusammenhalt des Westens zu unterminieren. Seine Raketen sind noch gar nicht in Stellung gebracht, und schon haben sie ihr Ziel getroffen.

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