Kommentar

Boris Johnsons Plan, das Parlament auszuschalten, zeugt von Machtstreben in höchster Konsequenz

Der britische Premierminister Boris Johnson will das Parlament vorübergehend schliessen, um den harten Brexit Ende Oktober über die Ziellinie zu bringen. Das dient in erster Linie seiner eigenen Wiederwahl und ist höchst umstritten.

Peter Rásonyi
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Boris Johnson (im Bild ein Auftritt im Unterhaus am 25. Juli 2019) will den EU-Austritt, «koste es, was es wolle», erzwingen und das Parlament zu diesem Zweck ausmanövrieren. (Bild: Jessica Taylor / Xinhua / Imago)

Boris Johnson (im Bild ein Auftritt im Unterhaus am 25. Juli 2019) will den EU-Austritt, «koste es, was es wolle», erzwingen und das Parlament zu diesem Zweck ausmanövrieren. (Bild: Jessica Taylor / Xinhua / Imago)

Was für ein Kontrast nach dem jüngsten Regierungswechsel in Grossbritannien. Die Regierungspartei ist noch dieselbe, das dominierende politische Thema, der Brexit, ebenfalls. Auch im Parlament sitzen noch dieselben Abgeordneten. Doch die Politik des Königreichs hat mit dem Amtsantritt von Boris Johnson eine ganz andere Richtung und Qualität angenommen. Die vor einem Monat gestürzte Theresa May hatte sich im Gestrüpp der Interessengegensätze und Widersprüche rund um den EU-Austritt verirrt, weil sie selbst das Ziel aus den Augen verloren hat in ihrem irrigen, aber aufrichtigen Bestreben, es möglichst vielen recht zu machen. Mit Boris Johnson ist das pure Gegenteil an der Downing Street eingezogen. Er könnte nicht geradliniger und rücksichtsloser auf das eine entscheidende Ziel zurasen: die optimalen Bedingungen für sein eigenes politisches Überleben zu schaffen.

Ein knallharter Brexit steht bevor

Denn genau diesem Zweck dient der am Mittwoch angekündigte Plan des Premierministers, das Parlament für mehr als einen Monat zu schliessen, kaum ist es nächste Woche aus der Sommerpause zurückgekehrt. Damit wird den Abgeordneten kaum mehr Zeit eingeräumt, um gesetzliche Massnahmen gegen die Durchsetzung des von Johnson für Ende Oktober mit «koste es, was es wolle» angekündigten EU-Austritts zu erheben. Derzeit sieht die Rechtslage einen Austritt zu diesem Datum vor. Wenn die Regierung das nicht ändern will und das Parlament nicht kann, wird es dazu kommen. Der knallharte Brexit ohne ein die weiteren Beziehungen definierendes Austrittsabkommen mit der EU steht damit vor der Tür.

Warum will Johnson den Brexit unbedingt bis Ende Oktober über die Bühne bringen? Die Reaktionen von Johnsons Kritikern vom Mittwoch geben die Antwort. Der Tory-Rebell und führende Brexit-Kritiker Dominic Grieve drohte sogleich, dieses dreiste Vorgehen werde den Sturz des Premierministers herbeiführen. Genau das will dieser auch. Am 14. Oktober will er gemäss dem Plan die Königin sein neues Regierungsprogramm verlesen lassen. Darin wird er zahllose wohlklingende Wahlkampfversprechungen machen. Bei den wohl in der Woche darauf folgenden Abstimmungen dürfte Johnsons Regierung, die bloss noch über eine Mehrheit von einem Sitz verfügt, scheitern. Neuwahlen fänden dann aber erst im November statt – nach dem Brexit. Genau das ist notwendig, damit Johnson mit grösserer Sicherheit auf eine neue Mehrheit hoffen kann. Denn dann ist die konkurrierende Brexit Party, die einzig zum Zweck des EU-Austritts gegründet worden war, nicht mehr nötig. Johnsons Tories dürfen dann auf das Überlaufen der derzeit laut Umfragen rund 15 Stimmenprozente der Brexit Party hoffen. Dies ist eine zwingende Voraussetzung für einen Wahlsieg, der die Macht Johnsons erhalten würde.

Endlich Klarheit

Johnsons Kalkül könnte durchaus aufgehen. Zwar gibt es jetzt viele empörte Stimmen und Proteste. Es ist von Missbrauch, Verfassungsbruch und von Rechtsklagen die Rede. Auch dürfte Grossbritannien nach dem vertragslosen Brexit zuerst einmal in erhebliche wirtschaftliche und logistische Turbulenzen geraten. Doch Johnsons dramatischer Machtgalopp hat auch viele Bewunderer. Ob er wirklich den Verfassungsgrundsätzen widerspricht, wird wohl noch über Jahre hinaus Juristen und weniger die Wähler beschäftigen. Sicher ist: Er bringt dem Land nach drei Jahren ermüdender Brexit-Wirren endlich Klarheit und eröffnet ein neues Kapitel. Nach einem Schlussstrich unter dem Brexit-Drama sehnen sich viele. Die Opposition ist dagegen weiterhin zerstritten und kann sich nicht auf eine überzeugende Variante des EU-Austritts einigen. Die Aussicht auf endlos weitergehende Brexit-Querelen ist auch keine attraktive Alternative.

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