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Stefan Rahmstorf

Stand der Forschung Es sieht zwar nicht so aus, aber wir können die Klimakrise noch abwenden

Die Ziele des Pariser Abkommens seien illusorisch, der Untergang der Menschheit nicht mehr zu vermeiden, liest man immer öfter. Defätismus macht sich breit - zu Recht? Ein Blick auf die Fakten.
Waldbrand in den USA: "Defätismus ist vor allem eine bequeme Haltung. Man kann sich damit gemütlich einrichten und über das sich langsam entfaltende Klimadesaster lamentieren, ohne etwas dagegen tun zu müssen"

Waldbrand in den USA: "Defätismus ist vor allem eine bequeme Haltung. Man kann sich damit gemütlich einrichten und über das sich langsam entfaltende Klimadesaster lamentieren, ohne etwas dagegen tun zu müssen"

Foto: Kristi McCluer/ REUTERS

Alexander von Humboldt, dessen 250. Geburtstag wir am Samstag gefeiert haben, hat wohl als Erster erkannt, dass der Mensch das Klima verändert. Und zwar "durch Fällen der Wälder ... und die Entwicklung großer Dampf- und Gasmassen an den Mittelpunkten der Industrie." Das schrieb er schon 1843. Seither hat die Wissenschaft das Problem detailliert erforscht und verstanden, und seit einem halben Jahrhundert schaut die Menschheit dabei zu, wie die düsteren Prognosen der Klimaforschung nach und nach eintreffen. Es ist zum Verzweifeln.

Ein Grund unseres Nichtstuns sind zweifellos die Lobbykräfte, die sich noch immer gegen Klimaschutz stemmen. Doch in letzter Zeit drängt in den sozialen Medien und anderswo eine neue Denkweise immer stärker in den Vordergrund: Defätismus. Die Ziele des Pariser Abkommens seien illusorisch, der Niedergang der Menschheit nicht mehr zu vermeiden.

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Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Für Aufsehen sorgte gerade ein Essay  des US-Romanautors Jonathan Franzen im "New Yorker". Seine These: Ein umfassender Kampf gegen den Klimawandel war nur sinnvoll, solange er noch gewonnen werden konnte. Jetzt sollten wir akzeptieren, dass wir ihn verloren haben, und unsere Ressourcen für die Vorbereitung auf die Katastrophe verwenden - auf Brände, Überflutungen, Massenflucht.

Dass wir uns besser an den Klimawandel anpassen, statt ihn zu begrenzen, ist ein altes Argument, das schon immer falsch war. Denn beides zusammen ist notwendig, um die Klimakrise zu überstehen. Franzen spricht nun sogar von der Vorbereitung auf die "Klima-Apokalypse".

Doch gerade hier hat er die Klimawissenschaft falsch verstanden, und die Nasa-Klimaforscherin Kate Marvel hat ihm in einer fulminanten Replik umgehend widersprochen ("Shut Up, Franzen" ). Denn die Klima-Apokalypse ist keineswegs unvermeidlich. Wir haben die Wahl.

Die Apokalypse beginnt nicht ab 2,1 Grad Erwärmung

Franzen glaubt erstens, dass es uns nicht gelingen wird, die Erwärmung auf zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Und zweitens, dass die Apokalypse da ist, sobald wir 2,1 Grad globale Erwärmung erreichen - und dass danach alles egal ist. Doch die Klimakrise verschlimmert sich stetig weiter, von zwei auf drei auf vier Grad, und immer wird es sich lohnen, gegen jedes weitere Zehntelgrad zu kämpfen.

Richtig ist allerdings, dass gefährliche Kipppunkte des Klimasystems vor uns liegen, und das Risiko, diese zu überschreiten, steigt mit jedem Zehntelgrad. Doch selbst wenn eines Tages der grönländische Eispanzer destabilisiert ist, das Golfstromsystem am Umkippen und die Korallenriffe tot sind: den Kampf gegen weitere Erwärmung aufzugeben, wird dann erst recht keine Option sein.

Aber kommen wir zur Kernfrage: Können wir die Erwärmung noch auf 1,5 Grad Celsius oder zumindest deutlich unter zwei Grad begrenzen, wie es in Paris vereinbart wurde? Immerhin ist es schon heute 1,1 Grad wärmer als vor der Industrialisierung.

Diejenigen, die behaupten, rein physikalisch sei das Klimaziel von 1,5 Grad nicht mehr zu erreichen, stützen sich im Wesentlichen auf zwei Argumente:

1. Die thermische Trägheit der Ozeane sorgt dafür, dass sich die Erde mindestens um weitere 0,4 Grad erwärmt, weshalb das ambitioniertere Paris-Ziel verloren sei: Ja, es gibt diese Trägheit im Klimasystem, weil der Ozean Zeit braucht, sich zu erwärmen. Doch der Ozean nimmt im Lauf der Zeit auch Kohlendioxid auf, sodass die CO2-Menge in der Luft langsam abnimmt, wenn wir erst einmal aufgehört haben, weitere Klimagase zu emittieren (Nullemission). Das ist ein Abkühlungseffekt, der die verzögerte Erwärmung in etwa ausgleicht. Wenn die Nullemission erreicht ist, steigt die globale Temperatur daher praktisch nicht mehr weiter.

2. Wenn wir die Luftverschmutzung reduzieren, hat das einen aufheizenden Effekt: Auch das stimmt im Grundsatz. Die Luftverschmutzung zu begrenzen, ist zwar gut für die Gesundheit, beschleunigt aber den Klimawandel. Denn durch Rußpartikel und andere Luftschadstoffe hängt über vielen Teilen der Erde ein Smogschleier, der den Planeten kühlt. Das kann man vor allem in Asien beobachten. Wird er gelüftet, kommt es zu einigen Zehntelgrad weiterer Erwärmung. Wie groß die kühlende Wirkung genau ist, lässt sich aber schwer bestimmen.

Allerdings wird die Luftverschmutzung selbst beim kompletten Ausstieg aus den fossilen Energien nicht vollständig verschwinden, denn sie entsteht beispielsweise auch bei Waldbränden. Außerdem reduziert Luftverschmutzung die Albedo, also das Rückstrahlvermögen von Schnee- und Eisflächen, wodurch diese schneller schmelzen. Gelangt weniger Dreck in die Luft, bremst das also wiederum die Eisschmelze.

Berücksichtigt man all dies, sagen die zuverlässigsten Abschätzungen, dass der Menschheit immer noch ein Restbudget an CO2 bleibt, das wir ausstoßen und den Klimawandel trotzdem bei global maximal 1,5 Grad stabilisieren können.

Defätisten urteilen über die Politik, nicht über die naturwissenschaftlichen Fakten

Aus geowissenschaftlicher Sicht wäre das sogar dann noch möglich, wenn wir diese Temperaturgrenze für wenige Jahrzehnte leicht überschreiten. Übersetzt heißt das: Jeder, der meint, das Paris-Ziel sei nicht mehr zu schaffen, fällt lediglich ein Urteil über die Fähigkeit der Politik , entschlossen zu handeln - nicht über die naturwissenschaftlichen Fakten.


Der letzte IPCC-Bericht hat deutlich gemacht : Die weltweiten CO2-Emissionen müssten bis 2030 etwa halbiert werden, um die 1,5 Grad einzuhalten. Das Prinzip der Klimagerechtigkeit verlangt dabei, dass reiche Industriestaaten wie Deutschland noch rascher reduzieren - denn wir emittieren pro Kopf doppelt so viel CO2 wie der weltweite Durchschnitt.

Selbst wenn wir nur das schwächere Paris-Ziel ("deutlich unter zwei Grad") einhalten wollen, haben wir nicht mehr viel Zeit. Ein fairer Beitrag Deutschlands zur Begrenzung beispielsweise auf 1,75 Grad globale Erwärmung würde bedeuten, unsere Emissionen bis 2035 linear auf null  zu senken. Mindestens daran muss sich das Klimapaket der Bundesregierung messen lassen.

4700 Milliarden Euro Subventionen für fossile Brennstoffe

Aufgeben ist keine Option - schon gar nicht, bevor wir nicht einmal das Offensichtliche versucht haben, nämlich die direkten und indirekten Subventionen für die Nutzung fossiler Brennstoffe konsequent zu beenden. Letztere schätzt der Internationale Währungsfonds in einer Studie  auf atemberaubende 5300 Milliarden Dollar (4700 Milliarden Euro) weltweit für 2015. Das sind 6,5 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung!

Defätismus ist vor allem eine bequeme Haltung. Man kann sich damit gemütlich einrichten und über das sich langsam entfaltende Klimadesaster lamentieren, ohne etwas dagegen tun zu müssen. Der Defätismus ist so wie die Leugnung des Problems nichts weiter als eine Ausrede fürs Nichtstun. Er ist eine verantwortungslose Haltung. Unsere Kinder und Enkel verdienen etwas Besseres, als dass wir die Hände in den Schoß legen und den Kampf gegen die Erderhitzung aufgeben, bevor wir ihn überhaupt ernsthaft begonnen haben.