Ab sofort leben wir Europäer in Zeiten des Klimanotstands. Das Europaparlament hat eine entsprechende Resolution mit großer Mehrheit beschlossen. Notstand, das ist Ausnahmezustand, das verlangt nach außergewöhnlichen Maßnahmen.

Ab morgen früh also werden grün uniformierte Freiwillige Straßensperren errichten und alle CO2-Sünder aus dem Verkehr ziehen. Die Fahrer werden – nach entsprechender Belehrung – nach Hause entlassen, wohin sie sich zu Fuß begeben müssen, denn die Dreckschleuder namens Auto wird eingezogen und umweltschonend verschrottet.

All die jungen Leute, die einen Billigflieger gebucht haben, um in Barcelona, Berlin, Lissabon oder sonst einer Partymetropole Europas am Wochenende zu feiern, müssen am Boden bleiben. In den Schalterhallen der Flughäfen werden die weggeworfenen Tickets zusammengekehrt und unter Applaus der plötzlich bekehrten Vielflieger auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Die Angestellten der Fluggesellschaften ziehen eilig ihre schicken Uniformen aus und schlüpfen in Zivilkleider. Sie möchten nicht als Kollaborateure der schwerkriminellen Flugzeugindustrie denunziert werden.

Die Kohlekraftwerke werden ab sofort geschlossen, die Arbeiter werden entlassen, müssen sich zuvor allerdings selbst bezichtigen, jahrelang davon gelebt zu haben, anderen Mitbewohnern dieser Welt buchstäblich die Luft genommen zu haben. Jeder Kleingärtner wird per Dekret dazu verdammt, in seinem Schrebergarten ein Windrad zu errichten. Wer sich weigert, dessen Schrebergarten wird beschlagnahmt.

Notstand, da war doch was mit Hitler

Nein, natürlich wird nichts davon geschehen. Aber wenn nichts davon geschieht, warum hat das Europarlament den Klimanotstand ausgerufen? "Um Druck auszuüben", sagen die Parlamentarier. Ganz so, als wüssten die Europäer nicht, dass der Kampf gegen die Erderwärmung die dringlichste aller Aufgaben ist, ganz so, als würde in diesem Bereich nichts geschehen.

Was die Europaparlamentarier bedenken sollten: Ihre Notstandsresolution eröffnet den Blick auf einen düsteren Horizont. Maßnahmen wie die weiter oben geschilderten erscheinen nicht mehr völlig verrückt, sie erscheinen jetzt möglich, ja sogar gerechtfertigt. Die Deutschen müssten besser wissen als andere, wozu das führen kann. Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 setzte die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und ermöglichte die Machtergreifung Adolf Hitlers. Diese Verordnung wurde aufgrund des Artikels 48 der Verfassung erlassen: Notstand.

Natürlich ist das eine Übertreibung. Doch in Zeiten des Notstands, in dem wir laut Resolution des Europaparlaments alle leben, kann es nicht falsch sein, an die historischen Vorläufer zu erinnern. Zumindest weiß man, auf welchem belasteten Terrain wir uns jetzt befinden. Das Parlament wäre im Fall eines nicht symbolisch gemeinten, sondern eines echten Notstands ja das erste Opfer. Es würde sofort aufgelöst.

So gesehen könnten die Parlamentarier per Klimanotstandsresolution ihre Selbstabschaffung eingeleitet haben. Das freilich wollen wir nicht hoffen. Denn das Europaparlament brauchen wir noch, auch wenn es manchmal einen Nervenzusammenbruch erleidet.