Kommentar

Die SPD nimmt Kurs auf Rot-Rot-Grün – aber das Ziel ist noch fern

Die Parteimitglieder führen die SPD mit ihrem überraschenden Entscheid deutlich nach links. Die Partei wendet sich damit vorerst vom Regierungsanspruch ab, hofft aber, längerfristig in der Wählergunst zu steigen.

Peter Rásonyi
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Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, hier am Samstagabend im Willy-Brandt-Haus, sollen nach dem Willen der SPD-Mitglieder die Partei aus der Krise führen.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, hier am Samstagabend im Willy-Brandt-Haus, sollen nach dem Willen der SPD-Mitglieder die Partei aus der Krise führen.

Thomas Trutschel / Imago

Es ist ein klares Verdikt. Die Mitglieder der SPD haben sich mit 53 Prozent der Stimmen für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue Parteivorsitzende ausgesprochen. Der heutige Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz und seine Co-Kandidatin Klara Geywitz liegen deutlich abgeschlagen mit 8 Prozentpunkten zurück. Da gibt es nichts zu diskutieren, und die Delegierten dürften sich am Parteitag in einer Woche nicht über dieses Resultat hinwegsetzen können: Scholz hat eine gewaltige Schlappe eingefahren. Nicht nur sein eigener Regierungsanspruch steht damit infrage, sondern auch der Anspruch der Partei als Partnerin der CDU/CSU in der deutschen Regierungskoalition.

Der Realpolitiker Scholz ist gescheitert

Mit ihrem Entscheid holen die SPD-Mitglieder nach, was viele von ihnen sich schon Anfang 2018 gewünscht hatten, als der Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz nach verlorener Bundestagswahl in die Wüste geschickt worden war und ein Richtungsentscheid der Partei anstand. Damals sprach sich die Partei nach zähem Ringen mit sich selbst noch für die erfahrene Ex-Ministerin und damalige Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles aus. Mit ihr hielt die SPD an der Regierungskoalition mit der CDU/CSU fest, ebenso wie Vizekanzler Scholz.

Das ist nun vorbei. Scholz ist mit dem Versuch gescheitert, die Partei zu führen und so den Verbleib in der Regierung bis zum Ende der Legislatur 2021 zu garantieren. Wie schnell die SPD nun dem Richtungsentscheid Taten folgen lässt und aus der Koalition austritt, ist offen. Ob die grosse Koalition bis 2021 halten wird, ist aber fraglich geworden. Mit den beiden erklärten Koalitionskritikern Walter-Borjans und Esken an der Spitze und dem desavouierten Vizekanzler Scholz ist nicht zu sehen, wie die SPD als Koalitionspartner noch überzeugend Politik gestalten will. Die beiden designierten Parteichefs warben in ihrer Kampagne explizit für den «geordneten Rückzug» aus der Koalition.

Konsequente Parteibasis

Als Bürger oder Unternehmer oder Erwerbstätiger mochte man sich vielleicht einen Vorsitzenden Scholz gewünscht haben. Er steht mit seinem bürgerlichen Wesen, der grossen Regierungserfahrung und den strategischen Fähigkeiten für eine solide Regierungsführung, für pragmatische Lösungen und für eine Politik, die soziale und wirtschaftliche Ansprüche in Einklang zu bringen sucht. Als Parteigänger der SPD mag man das anders sehen. Genau dieser von Scholz verkörperte Kurs steht auch für den dramatischen Abstieg der Partei auf derzeit noch rund 13 Prozent in der Wählergunst. Die Mitglieder haben sich nun mehrheitlich für eine Neuausrichtung ausgesprochen: für eine entschlossenere Suche nach einer neuen Identität und für eine klarere Abkehr von Angela Merkels Regierungsjahren. Sie zeigen damit jene Konsequenz, welche die Parteiführung in den letzten Jahren vermissen liess.

Die Neuausrichtung führt die SPD noch weiter nach links. Dafür steht das neue Duo an der Spitze. Walter-Borjans hat sich bundesweit populär gemacht als früherer Finanzminister Nordrhein-Westfalens, der mit dem Kauf von Bankdaten-CD aus der Schweiz Jagd auf deutsche Steuersünder machte. Er ist damit gewissermassen ein Klassenkämpfer gegen «die da oben», und so ist er in der Kampagne für den Vorsitz auch aufgetreten. Was die weitgehend unbekannte Bundestagsabgeordnete Esken will, weiss niemand so genau, man weiss nur, dass sie weit links steht. Regierungserfahrung im Bund haben beide nicht.

Links wird die Rettung gesucht

Es gibt nur einen Hafen, in dem dieser Kurs die Partei künftig wieder zu Regierungsverantwortung führen könnte: eine Dreierkoalition mit den Grünen und der Linkspartei. Das Ziel ist aber noch fern. Nach jüngsten Umfragen kämen die drei Parteien zusammen auf 45 Prozent. Die vielbeschworene Jamaica-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP hätte rund 52 Prozent der Stimmen. Verabschiedet sich die SPD unter Walter-Borjans und Esken früher oder später von Merkels Bundesregierung, dann dürfte sie eher in der Opposition als in der nächsten Regierung landen.

Langfristig könnte sich der Kurswechsel aber, so die Hoffnung des linken Parteiflügels, als Rettungsanker für die SPD erweisen. Zunächst könnte die SPD mit einem wirtschaftsfeindlichen Linksrutsch darauf hoffen, von den Grünen wieder Stimmen zurückzuerobern. Damit wächst zwar das linke Lager noch nicht gesamthaft, aber für eine Traditionspartei im Überlebenskampf ist das schon etwas. Wenn es Walter-Borjans und Esken darüber hinaus gelingt, die an die AfD verloren gegangene Klientel von Niedriglohnarbeitern, Langzeitarbeitslosen und Entfremdeten anzusprechen, dann könnte Rot-Rot-Grün wohl zulegen. Allerdings bleibt auch mit diesen Manövern fraglich, wie sich die künftige SPD von den Grünen und der Linkspartei differenziert, eine SPD, die sich nicht mehr selbstverständlich in der Regierungsverantwortung sieht.

Für die deutsche Wirtschaft wie für die bürgerlichen Parteien, deren rechte Flanke durch die in ihrer heutigen Verfassung nicht regierungsfähige AfD geschwächt ist, bedeutet die Perspektive eines geschlossenen rot-rot-grünen Blocks keine beruhigende Zukunftsvision.

Hubertus Heil will sich als SPD-Vize bewerben

(afp) Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat nach dem Votum der SPD-Basis für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Parteivorsitzende angekündigt, sich beim SPD-Parteitag am kommenden Wochenende um das Amt eines stellvertretenden Parteivorsitzenden zu bewerben. «Jetzt gilt es, die Partei zusammenzuhalten. Die SPD hat Verantwortung für unser Land», sagte Heil den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) am Samstag. Dazu wolle er seinen Beitrag leisten.

«Wenn mein SPD-Bezirk das will, werde ich als stellvertretender SPD-Vorsitzender kandidieren», sagte Heil dem RND. Der Arbeitsminister sprach sich ausserdem für eine Fortführung der grossen Koalition aus. «Ich glaube, dass Sozialdemokraten weiterarbeiten sollten für dieses Land, auch in Regierungsverantwortung.»