Kommentar

Das deutsche Konjunkturpaket entfacht ein teures Strohfeuer

Zum zweiten Mal in der Corona-Krise will der deutsche Staat klotzen statt kleckern. Sein Konjunkturpaket geriet zu einem Sammelsurium von Massnahmen mit hohen Kosten.

René Höltschi, Berlin
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An einer nächtlichen Pressekonferenz haben die Spitzen der deutschen Koalitionsparteien das Konjunkturpaket vorgestellt.

An einer nächtlichen Pressekonferenz haben die Spitzen der deutschen Koalitionsparteien das Konjunkturpaket vorgestellt.

Thomas Imo / Photothek / Imago

Innert weniger Monate hat sich Deutschland vom Sparmeister Europas zum grossen Geldausgeber gewandelt. Auf das milliardenschwere Corona-Hilfspaket vom März, eines der grössten weltweit, folgt nun ein Konjunkturpaket im Umfang von 130 Milliarden Euro oder knapp 4 Prozent der letztjährigen Wirtschaftsleistung. Gewiss, für das laufende Jahr erwarten die Auguren die tiefste Rezession der Nachkriegszeit, die Kurzarbeit ist auf einem Höchststand. Dies rechtfertigt beherzte staatliche Massnahmen.

Springt die Konsumlaune an?

Gleichwohl überrascht der grosse Applaus etwas, den am Donnerstag auch viele Ökonomen dem am späten Mittwochabend festgezurrten Paket gezollt haben. Dieser gilt nicht zuletzt der überraschend vereinbarten temporären Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent bzw. von 7 auf 5 Prozent. Damit soll der Konsum stimuliert werden. Ob dies gelingt, hängt allerdings von gleich zwei Annahmen ab. Erstens gehen die Koalitionspolitiker davon aus, dass die Unternehmen die Steuersenkung an die Konsumenten weitergeben. Dies mag vor allem in Branchen mit harter Konkurrenz der Fall sein, es ist aber keineswegs gesichert.

Zweitens ist selbst bei einer Weitergabe nicht sicher, ob tatsächlich mehr konsumiert oder nur mehr gespart wird. In den letzten Wochen haben Ökonomen darauf hingewiesen, dass der Konsum vor allem durch Zukunftsängste und Corona-bedingte Einschränkungen gebremst werde, nicht durch einen verbreiteten Mangel an Kaufkraft. Einkaufen macht weniger Spass, wenn man vor dem Geschäft Schlange stehen und im Laden eine Maske tragen muss. Daran ändern Preissenkungen um ein paar wenige Prozentpunkte wenig. Aus ähnlichen Gründen könnte auch der Kinderbonus von 300 Euro verpuffen, auch wenn er als Geste an die von den Corona-Restriktionen besonders gebeutelten Familien zumindest die Stimmung aufhellen könnte.

Die grössten Auswirkungen könnte die Mehrwertsteuersenkung bei teureren, langlebigen Gütern haben, weshalb sich gerade auch die Automobilindustrie darüber freut. Allerdings dürfte es weniger zu zusätzlichen Käufen als zu einer Verschiebung geplanter Käufe in das zweite Semester, die Periode mit tieferen Steuern, kommen. Was dann zusätzlich ausgegeben wird, fällt im Juni und dann wieder ab Januar weg. Alles in allem könnte die Massnahme deshalb ein recht kurzfristiges Strohfeuer entzünden, und dafür ist ihr Preis mit 20 Milliarden Euro etwas gar hoch.

Sündenfälle vermieden

Zu begrüssen ist, dass die Koalition einige besonders problematische Ideen nicht aufgenommen hat. So wird es weder eine ökologisch unsinnige, strukturerhaltende Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor noch eine Hauruckaktion für die Übernahme kommunaler Altschulden geben. Auch enthält das Paket sinnvolle Massnahmen wie zum Beispiel die Erweiterung des steuerlichen Verlustrücktrags oder Investitionen in die bisher vernachlässigte Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. In den 57 Einzelpunkten verstecken sich aber auch zahlreiche Zuschüsse für einzelne Branchen wie den Mobilfunk oder die Autoindustrie, bei denen nicht ersichtlich wird, was der Staat hier zu suchen hat.

Im zähen Interessenausgleich geriet das Paket so zu einem Sammelsurium von Massnahmen mit insgesamt sehr hohen Kosten. Zu seiner Finanzierung wird laut Finanzminister Olaf Scholz ein weiterer Nachtragshaushalt mit einer zusätzlichen Neuverschuldung in noch unbekannter Höhe nötig. Damit dürfte die Staatsverschuldung in ähnlicher Weise in die Höhe schiessen wie nach der Finanzkrise von 2008 und 2009. Zugleich werden auch die demografische Entwicklung und der Klimawandel zu Belastungen führen. Wirtschaftswachstum allein dürfte zum Abbau der Verschuldung kaum ausreichen – neue Belastungen des Steuerzahlers oder eine Rückkehr zu neuer Sparsamkeit sind absehbar.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf Twitter folgen.