Europa muss sich jetzt entscheiden, wie es mit dem chinesischen Social-Media-Phänomen TikTok umgeht. Bisher verfolgen die Europäer die Debatte nur als Zaungast, als beträfe ein mögliches Verbot des sozialen Netzwerks in den USA uns Europäer nicht. Tut es aber: Allein in Deutschland schauen sich 4,4 Millionen Menschen regelmäßig auf der Plattform kurze Videoschnipsel an. Ein großer Teil ist zwischen 16 und 24 Jahren alt. Sie bezahlen mit ihrer Aufmerksamkeit und mit ihren Daten.
TikTok ist zu ihrem Leitmedium geworden. Zum ersten Mal hat damit eine chinesische App großen Einfluss auf den Alltag und die Meinungsbildung von Millionen Menschen im Westen. Die USA haben die mögliche Gefahr der Causa TikTok längst erkannt: US-Behörden fürchten, Nutzerdaten könnten an die chinesische Regierung weitergegeben werden.
Oder die Meinungsbildung von Nutzern könnte beeinflusst werden – wie im Fall einer US-Nutzerin, deren Video kurzzeitig von der Plattform verschwand. Sie hatte darin den Umgang Chinas mit den Uiguren kritisiert, versteckt zwischen Schminktipps. US-Präsident Donald Trump droht nun, die App in den USA zu verbieten. Ob es ihm wirklich um die Meinungsfreiheit und Datenhoheit der US-Bürger geht oder ob er nur China eins auswischen will, sei dahingestellt. Ebenso, ob ein Kauf des US-Geschäfts von TikTok durch den US-Riesen Microsoft die Probleme wirklich lösen könnte.
Die EU und die Nationalstaaten dürfen aber nicht darauf warten, dass Washington das Problem für sie löst. Sie müssen TikTok selbst prüfen und eine mutige Entscheidung treffen. Auch wenn sie riskieren, es sich mit China oder den USA zu verscherzen. Diesmal muss es besser laufen als beim 5G-Netzausbau.
Seit Monaten ringen Europas Regierungen darum, wie man mit dem chinesischen Konzern Huawei umgehen sollte. Hier droht ein Flickenteppich. Europa will sich seit Jahren als Bastion gegen Falschmeldungen und als Instanz für Datenhoheit positionieren. TikTok ist nun die Chance, zu beweisen, wie ernst man es damit meint.