Kommentar

Die EU hat gute Gründe, Big Tech zu misstrauen – nicht aber dem Markt

Die EU-Kommission will neue Spielregeln für digitale Dienste einführen und die Macht von Facebook, Amazon und Co. begrenzen. Es geht um Nutzerrechte, Transparenz und Wettbewerbsfragen. Darunter sind sinnvolle Vorschläge – die aber von einem typischen EU-Problem überlagert werden.

Jenni Thier 3 Kommentare
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EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat am Dienstag in Brüssel mit ihrem Kollegen Thierry Breton das neue Gesetzespaket für digitale Dienste vorgestellt.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat am Dienstag in Brüssel mit ihrem Kollegen Thierry Breton das neue Gesetzespaket für digitale Dienste vorgestellt.

Olivier Matthys / Pool / EPA

Die Europäer wollen nicht weniger als weltweit die Marschrichtung vorgeben, welche Regeln vor allem die grossen Tech-Unternehmen künftig befolgen müssen. Doch ob das am Dienstag vorgestellte neue EU-Gesetzespaket diesen Anspruch erfüllen kann, ist fraglich.

Es ist sinnvoll, dass die EU ihre zwanzig Jahre alte E-Commerce-Richtlinie durch ein neues Regelwerk ablösen und Vorschriften für Online-Plattformen europaweit harmonisieren will. Aber das Vorhaben ist sehr ambitioniert, es geht eigentlich um alles. Und es offenbart die für die EU typische Tendenz, sich weit in die Belange der Unternehmen einzumischen – und letztlich dem Markt zu misstrauen.

Zum einen geht es um wichtige Themen, die die Nutzer von Plattformen wie etwa Facebook direkt betreffen. Hier will die EU grössere Transparenz schaffen, was im Sinne der Konsumenten ist. Mehr Klarheit darüber, warum Nutzern welche Werbung oder Information angezeigt wird oder warum ein Beitrag gelöscht wurde, ist zu begrüssen. Ebenfalls positiv ist, dass die Kommission von einen «Upload-Filter» absieht – also Unternehmen nicht haftbar gemacht werden können, wenn es illegale Inhalte auf ihre Plattformen schaffen.

Macht von «Gatekeepern» eingrenzen

Zum anderen geht es um Regeln für den Wettbewerb. Hier legt die Kommission ein Augenmerk auf die sehr grossen Plattformen, die sie «Gatekeeper» nennt. Die Macht dieser digitalen Türsteher will sie in Grenzen halten. Während derzeit jeder Einzelfall betrachtet und Marktmissbrauch nachgewiesen werden muss, soll es dafür künftig schon gewisse vordefinierte Kriterien geben. Diese halten sich zwar (noch) im Rahmen, könnten aber ein Einfallstor für weitergehende Eingriffe des Gesetzgebers bieten.

An anderer Stelle schiessen die Regelungen aber über das Ziel hinaus. Daran dürfte vor allem der Binnenmarktkommissar Thierry Breton seinen Anteil haben. Der Franzose hatte schon im Vorfeld nicht verborgen, dass die EU-Kommission mit dem neuen Regelwerk die Möglichkeit haben sollte, die grossen Tech-Konzerne zu zerschlagen. Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wollte diese Massnahmen aber aus dem Werk heraushalten und bezeichnete sie als «nukleare Option».

Nun hat Breton – sicher auch zur Freude der französischen Regierung – seinen Willen durchgesetzt und genau dieses Werkzeug bekommen. Dem europäischen Anliegen helfen solche Konflikte nicht. Zweideutige Signale, wie die Regeln letztlich ausgelegt und angewendet werden, könnten internationale Handelspartner irritieren – neben der Tatsache, dass ein EU-Kommissar sich wiederholt laut zur Zerschlagung Gedanken macht.

Wettbewerb gibt es damals wie heute

Ein Blick in die Vergangenheit könnte die Gemüter eigentlich beruhigen. Er zeigt, dass die Tech-Branche in der Lage ist, sich auch ohne staatliche Eingriffe rapide zu verändern. Grosse Namen von früher, wie Netscape oder MySpace, sind mittlerweile von der Konkurrenz überholt worden oder ganz verschwunden. Auch heute gibt es Wettbewerb. Apple zum Beispiel bemüht sich, sich als Hüter der Privatsphäre seiner Nutzer zu etablieren, was wiederum Facebook als direkten Angriff auf das eigene, auf Werbung basierende Geschäftsmodell wahrnimmt.

Auch gibt es keine echte Tech-Allianz. Google hatte offenbar versucht, andere digitale Unternehmen mit ins Boot zu holen, um gemeinsam in Brüssel zu lobbyieren. Darunter war auch die Buchungsplattform Booking.com, die das Angebot mit den Worten abgelehnt hat, dass die eigenen Interessen jenen von Google «diametral entgegenstehen».

Es wäre wünschenswert, wenn sich in der EU wieder laute Stimmen finden würden, die für mehr Vertrauen in den Markt plädieren. Und es muss die Einsicht einkehren, dass europäische Nutzer und Unternehmen nicht automatisch davon profitieren, wenn man die Macht grosser ausländischer Tech-Konzerne beschränkt. Das ist zu kurz gedacht.

3 Kommentare
Thomas Meyer

Am Ende des Kommentars heisst es genüsslich, dass es "wieder Stimmen geben sollte, die für mehr Vertrauen in den Markt plädieren". Das ist eben der springende Punkt. Die angelsächsische Wildwest-Mentalität schläfert uns Kunden regelrecht ein und tut was es will. Man kann der US-Tech-Bande nicht über den Weg trauen. Nur massiver Druck geriert dort Einsichten. Und es gibt sogar Dinge die die Amerikaner von den Europäern lernen können, wenn nicht sogar lernen müssen. Nämlich Respekt vor den Wüschen und Befindlichkeiten von uns Europäern. Das fehlt massiv.

U. P.

Was sich im Hinblick auf die "Big Data"-Konzerne abspielt, ist schon bizarr bis absurd. Dazu ein paar leicht überprüfbare Fakten: 1. Google, Facebook & Co, also die Betreiber von sog. "Sozialen Netzwerken" sind keine Tech-Konzerne. Sie verkaufen Informationen und Werbung, also sind sie Werbeagenturen. Ihre Techniken, praktisch alles Software, dienen ausschließlich dem Zweck, dieses Geschäftsmodell effizient und nachhaltig zu machen. Nachprüfbar in den Geschäftsberichten und Prospekten für Börsengänge. 2. Die Nutzer der "Sozialen Medien" sind keine Kunden sondern Lieferanten. Sie liefern im Tausch für die Nutzung eines Mediums zur Selbstdarstellung Daten ab, mit deren Hilfe Werbung und Propaganda mit maximaler Wirksamkeit hergestellt wird. 3. Auch die Politik braucht diese "Sozialen Medien" genau wie die Wirtschaft zu Werbung und permanenten Selbstdarstellung. Und das ist weitgehend unverzichtbar, weil wirksam. Besonders pikant: 2017 hat Richard Thaler, den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Forschungsarbeiten zur  "Verhaltensökonomik“ erhalten. Verhaltensökonomik kann man auch übersetzen "Wie steuert man das Verhalten der Menschen". Es verwundert wenig, dass solche Unternehmen machen können, was sie wollen. Sie haben es geschafft, ihre Kunden und ihre Lieferanten weitgehend von sich abhängig zu machen.