Kommentar

Laschet zum CDU-Vorsitzenden gewählt – die eigentliche Gewinnerin heisst Merkel

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident war der Favorit der Bundeskanzlerin. Wenn Armin Laschet die CDU tatsächlich zusammenhalten will, sollte er die enttäuschten Konservativen an der Basis nicht ausgrenzen.

Alexander Kissler, Berlin 224 Kommentare
Drucken
«Wem vertrauen? Das entscheiden heute Sie»: Mit diesen Worten schloss Armin Laschet seine Bewerbungsrede auf dem Parteitag der CDU.

«Wem vertrauen? Das entscheiden heute Sie»: Mit diesen Worten schloss Armin Laschet seine Bewerbungsrede auf dem Parteitag der CDU.

Sepp Spiegl / www.imago-images.de

Gewählt ist gewählt: In diesem schlichten Satz liegt die ganze Schönheit der Demokratie. Macht wird in der Demokratie durch Wahlen und nur auf Zeit verliehen. Es gibt lange Perioden der Machtausübung, aber keine Erbhöfe, keine Dynastien. Wenn nun am Ende eines fast einjährigen Schneckenrennens ein neuer CDU-Vorsitzender mit einer denkbar knappen Mehrheit von 52,8 Prozent der Stimmen per Stichwahl gefunden ist, gilt für ihn dasselbe. Armin Laschet hat sich dank dem digitalen Votum der Delegierten, das bis Ende nächster Woche in einer Briefwahl bestätigt werden muss, als der Stärkste von drei äusserst wechselhaft agierenden Kandidaten erwiesen. Ob ihm eine längere Zeit an der Spitze beschieden sein wird als seiner Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer, wird von zwei Umständen abhängen: ob es ihm gelingt, die anderen Machtzentren der Partei und vor allem die Anhänger der unterlegenen Mitbewerber für sich zu gewinnen. Und ob die CDU im Superwahljahr 2021 mehr Erfolge oder mehr Enttäuschungen verbuchen wird. Armin Laschet startet im Gegenwind.

Laschets Triumph ist auch ein Sieg der Parteifunktionäre

Die CDU ist eine kleinbürgerlich geprägte Partei mit einer maximal ausgeprägten Beziehung zur Macht. Die grosse Abneigung gegen innerparteiliche Auseinandersetzung rührt von der Sorge her, Streit habe auf Wähler eine abschreckende Wirkung. Die SPD dient als mahnendes Beispiel. Mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten hat jener Kandidat gewonnen, der in einer Zeit vielfacher Disruption am stärksten auf Kontinuität setzt. Gleich dreimal erwies Armin Laschet in seiner Bewerbungsrede Angela Merkel seine Reverenz und versprach: «Das Weiter-so, das wir brauchen, ist die Kontinuität des Erfolgs.» Friedrich Merz, mit 47,2 Prozent ähnlich knapp wie vor zwei Jahren gegen Kramp-Karrenbauer unterlegen, hatte die Kanzlerin keines persönlichen Wortes gewürdigt. Sein Plädoyer für «Konsens und Kompromiss, Mass und Mitte» und seine Warnung vor «linken Mehrheiten» verfingen weniger stark, als es der Favorit weiter Teile der Basis erhoffen konnte. Das zeigt, in welch hohem Mass die Beschwörung linker Politik in der Ära Merkel ihren Schrecken verloren hat. Mehr als einen Achtungserfolg erzielte Norbert Röttgen. Dass auf den Experten für Aussenpolitik im ersten Wahlgang über 22 Prozent der Stimmen entfielen, zeigt: Auch die CDU weiss den Charme eines alerten Aussenseiters zu schätzen. Laschet gewann, weil er die Delegierten fester bei ihrer christlichdemokratischen Seele zu packen vermochte.

Zugleich hat sich mit ihm jener Kandidat durchgesetzt, der bei fast allen Umfragen nach Beliebtheit oder Kompetenz auf einem hinteren Platz landete. Ob dezidiert CDU-Anhänger befragt wurden oder die gesamte Bevölkerung: In keiner Personengruppe konnte Laschet nachhaltig überzeugen. Fast immer lag Friedrich Merz vorne, für den sich auch alle Landesverbände der Jungen Union ausgesprochen hatten. Laschets Triumph ist auch ein Sieg der Parteifunktionäre. Schon jetzt macht sich ein enttäuschtes, stellenweise giftiges Grummeln im bisherigen Merz-Lager breit.

Der Vorwurf, die Parteitagsregie habe sich parteiisch verhalten, indem sie Laschets Vizekandidaten Jens Spahn in der Fragerunde die Gelegenheit gab, eine weitere Lobrede auf Laschet einzustreuen, könnte sich zur schweren Hypothek für die weiteren Ambitionen des Bundesgesundheitsministers entwickeln. Mit einem schwachen Ergebnis wurde Spahn ins Präsidium gewählt. Sein Straucheln setzt sich fort, und auch Laschet ist beschädigt. Immerhin war Merz der offizielle Kandidat der Mittelstands- und Wirtschaftsunion MIT. Schon kursieren in den sozialen Netzwerken erboste Bekundungen, man werde aus der Partei austreten.

Die AfD bekommt nun ihren Lieblingsgegner

Laschet präsentierte sich auf dem Parteitag als Sohn eines Bergmanns und Kämpfer gegen rechts, als erfahrener Landesvater, der das «Handwerkszeug eines Politikers» beherrsche, und als integrierende Persönlichkeit mit flehend ausgebreiteten Armen: «Die CDU und das Deutschland, das ich vor Augen habe, braucht keinen CEO, keinen Vorstandsvorsitzenden, sondern einen Mannschaftskapitän, der führt und zusammenführt.» Seine Devise in den zurückliegenden Jahren zwischen Kreis- und Bundesebene sei gewesen: «Immer alle an Bord, jeder kann gross sein, jeder kann glänzen.» Angesichts der persönlich gegen Merz gerichteten Absage an einen CEO ist es schwer vorstellbar, dass der abermals Geschlagene sich hinter Laschet einreihen wird, um in der zweiten Reihe matt zu glänzen. Wohin aber werden sich die 47 Prozent Merzianer wenden? Laschets scharfe Warnung vor «markigen Worten» und einem polarisierenden Politikstil kann als Kampfansage verstanden werden. Die Partei ist abermals in zwei fast gleich grosse Lager gespalten wie schon 2019 – und diese faktische Pattsituation trug dazu bei, dass Kramp-Karrenbauers Amtszeit von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Ohne die Corona-Krise stünde die Union vielleicht immer noch bei jenen 27 Prozent der Stimmen, die vor genau einem Jahr für sie aufgerufen wurden.

Im «Jahr 2 der Pandemie» (Kramp-Karrenbauer) sortiert sich die politische Landschaft Deutschlands neu. Mit Laschet bekam die AfD ihren erklärten Lieblingsgegner. Seine Wahl könnte sich als Aufforstungsprogramm für die rechte Opposition erweisen, die ihn als blauäugige Fortsetzung der Merkelschen Politik zeichnen wird. Die FDP, mit der Norbert Röttgen nicht koalieren wollte, regiert gemeinsam mit Laschet in Nordrhein-Westfalen. Insofern könnte Laschets Lieblingsmodell für den Bund, eine schwarz-grün-gelbe Jamaica-Koalition, an Plausibilität gewinnen. Die SPD wiederum dürfte es schwer haben, dem Linkskatholiken Laschet soziale Kälte zu unterstellen. Und die Grünen überlegen vermutlich, ob sie statt Annalena Baerbock, die den idealen Konterpart abgegeben hätte für den Feminismus- und Quotenkritiker Merz, nicht lieber Robert Habeck ins Rennen schicken wollen. Er könnte Laschet klimapolitisch stärker attackieren.

Wer würde für den Kanzlerkandidaten Laschet Plakate kleben?

Sosehr Laschet auch um Vertrauen warb und in Merkels Manier erklärte: «Ich bin Armin Laschet, darauf können Sie sich verlassen», auf ein Mannschaftsspiel nämlich mit ihm als Kapitän: Laschet muss ein tiefsitzendes und nicht immer rational erklärbares Misstrauen gegen ihn als Person aus dem Weg räumen. Ein Politiker, dem in der Bevölkerung mehrheitlich keine höheren Weihen zugetraut werden, ist keineswegs der natürliche Kanzlerkandidat. Würden die Mitglieder der Jungen Union, der MIT und der östlichen Landesverbände mit Begeisterung Plakate kleben, wenn es im Herbst bundesweit heissen könnte, «Laschet kommt»? Kann Laschet die programmatischen Lücken einer zeitgeistig gewendeten CDU schliessen? Hat er ein Angebot für die Konservativen, die er in seiner Bewerbungsrede mit Nichtbeachtung strafte, im Köcher? Er wäre klug beraten, die konservative Kernklientel, anders als Angela Merkel, nicht dauerhaft zu vergrätzen. In Nordrhein-Westfalen gelang ihm eine solche Einbindung. Klar ist spätestens seit dieser digitalen Krönungszeremonie: Niemand sollte den Machtwillen Armin Laschets unterschätzen.

224 Kommentare
Manfred Müller

Die Wahl hat gezeigt, wie sehr Merz mit seiner Aussage "das Partei-Establishment agiert gegen mich" recht hatte. Die Kanditatur von Röttgen war doch wohl kaum durch dessen profilneurotischen Trieb zur Macht bestimmt, vielmehr sieht das nach Absprachen im Parteihinterzimmer im Dunstkreis von "Mutti" aus. Seine Aufgabe war es die mögliche absolute Mehrheit von Merz im ersten Wahlgang abzufangen, als Belohnung winkt der Ministerpräsidenten Posten in NRW sobald Laschet als Kanzler in Berlin einzieht. Leichter geht es nicht, denn Röttgen muß sich dann keiner Neuwahl durchs Volk stellen. Die Skrupellosigkeit des Vorstandes zeigt sich auch an der erlaubten Wortmeldung von Spahn. Von den 1001 Delegierten hatten gerade mal 3 ! eine Frage , unter Ihnen ausgerechnet Spahn. Der hatte aber keine, vielmehr konstatierte er pro Laschet, sie beide seien ja ein Team. Sorry was für ein Team, haben die Delegierten vielleicht eine Doppelspitze  à la SPD gewählt und wissen es garnicht. Diese SlapStick Einlage zeigt doch wie autokratisch an der CDU Spitze manipulier wird. Merz wäre gut beraten ganz schnell eine neue Partei zu gründen, natürlich bundesweit bis Bayern hinein, um auch dem Umfaller Söder die "Stimmenlast" abzunehmen. Auf Anhieb wären 5% ++ sicher.

T. R.

Eine neue konservative Partei, von Merz gegründet, wäre großartig für Deutschland.  Viele CDU'ler der Basis, die Werteunion, die junge Union, und die Gemäßigten in der AFD würden sich dieser vermutlich anschließen. Das Wählerpotenzial wäre gigantisch, Strukturen wären schon vorhanden. Und die CDU/CSU könnte endlich mit der SPD zur neuen SED fusionieren. Diese CDU/CSU hat jedenfalls meine Stimme dauerhaft verloren. 

Weitere Themen