Analyse
Warum wir die Gamestop-Rebellion fürchten sollten

Philipp Löpfe schreibt in seiner Analyse zum Angriff der Kleinanleger auf einen mächtigen Hedge Fund: «Die Wallstreetbets-Rebellen haben eine grosse Ähnlichkeit mit den Impfgegnern.»

Philipp Löpfe
Philipp Löpfe
Drucken
Demonstranten an der Wall Street fordern eine Reichtumssteuer.

Demonstranten an der Wall Street fordern eine Reichtumssteuer.

Justin Lane / EPA

Natürlich platzen wir alle vor Schadenfreude. Eine Schar von mutigen Kleinaktionären nimmt den Kampf auf gegen die allmächtigen Masters of the Universe der Wall Street – verkloppt sie, und zwar so richtig. Das ist gewissermassen Braveheart mit einem Happyend. Hallelujah!

Nach der Euphorie sollte jedoch die Vernunft wieder Einzug halten. Und was uns zu denken geben sollte, ist die Tatsache, dass sowohl die progressive Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wie auch der rechtsextreme Senator Ted Cruz die Rebellen anfeuern. Irgendetwas passt da nicht. Aber was?

Machen wir uns keine Illusionen: Was derzeit an der Wall Street abgeht, ist im höchsten Mass irrational. Natürlich haben die Spekulanten recht. Das Geschäftsmodell von Gamestop hat keine Zukunft mehr, die Aktie zu shorten mag moralisch zweifelhaft sein, die wirtschaftliche Logik ist jedoch unanfechtbar.

Die Aktie des Computerspiele-Verkäufers Gamestop befindet sich auf einem absurden Höhenflug.

Die Aktie des Computerspiele-Verkäufers Gamestop befindet sich auf einem absurden Höhenflug.

Tannen Maury / EPA

Wenn also die Rebellen auf Wallstreetbets diese Aktie in absurde Höhen treiben, dann hat dies nichts mit Vernunft zu tun. Die Rebellen mögen sich heldenhaft ins finanzielle Desaster stürzen – oder zumindest so tun als ob –, trotzdem haben sie langfristig keine Chancen.

Absurde Börsenblasen hat es historisch gesehen immer wieder Mal gegeben. Das Tulpendesaster der Holländer im 17. Jahrhundert etwa, die Südseeblase zu Beginn des 18. Jahrhunderts in London, der Crash 1929, oder – näher an unserer Zeit – die Dotcomblase Ende der Neunzigerjahre. Alle haben in Tränen geendet.

Bei der aktuellen Blase hat alles harmlos begonnen. 2012 hat ein gewisser Jaime Rogozhinski den Finanz-Chatroom Wallstreetbets auf Reddit ins Leben gerufen. (Später sei er rausgeschmissen worden und heute sei er nicht mehr relevant, sagt mein Chef Patrick «Toggi» Toggweiler. Er wird wohl recht haben.)

Anyway: Dieser Chat unterscheidet sich fundamental von der klassischen Finanzforen. Man trifft dort weniger Finanzprofis mit MBAs in der Tasche. Es ist ein bunter Haufen von Investoren, die nicht im Finanzkauderwelsch diskutieren, sondern Tipps austauschen und auch freimütig Verluste zugeben.

Doch so harmonisch ist es nicht immer zugegangen. Gemäss «Wall Street Journal» macht etwa auch Martin Shkreli bei diesem Chat mit, zumindest bis er seine Haftstrafe antreten musste. Shkreli wurde als skrupelloser Finanzhai bekannt, der mit brachialen Methoden Pharmafirmen aufkaufte und die Preise der Medikamente um ein Vielfaches in die Höhe trieb.

Martin Shkreli.

Martin Shkreli.

Seth Wenig / AP

Rogozhinski musste gemäss eigenen Angaben auch immer wieder Antisemiten und White Supremacists aus dem Chat werfen. Als Jude, der mit einer Mexikanerin verheiratet ist, war ihm dies ein persönliches Anliegen.

Ich weiss, das wird mir viel Ärger eintragen, aber trotzdem: Die Wallstreetbets-Rebellen haben eine grosse Ähnlichkeit mit den Impfgegnern. Sie misstrauen den Eliten zutiefst und fühlen sich dank Internet und Apps in der Lage, ihr Finanzschicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Sie sind von einer Wut auf die Master of the Universe getrieben ähnlich wie die Impfgegner auf Bill Gates.

Dabei haben sie in einigen Punkten durchaus Recht: Die Banken sind von der Zentralbank immer wieder gerettet worden. Die Geldschwemme der jüngeren Vergangenheit haben die Monopolisierung begünstigt. Die Macht der Tech-Giganten ist beängstigend geworden. Und Eliten können arrogant und kaltherzig sein.

Missbraucht die Rebellen bereits: Fox-News-Moderator Tucker Carlson.

Missbraucht die Rebellen bereits: Fox-News-Moderator Tucker Carlson.

Keystone

Doch die Rebellen werden bereits missbraucht. Fox News stilisiert sie zu Helden des kleinen Mannes herauf, die sich mutig in den Kampf gegen die übermächtigen Tech-Oligarchen und Washington-Eliten stürzen. Das alles hat einen üblen Nachgeschmack, vor allem, wenn man dem Star-Moderator Tucker Carlson zuhört.

Hedge-Fund-Manager sind Einzelkämpfer, keine Herdentiere. Sie essen, was sie töten, auch das Fleisch ihrer Artgenossen. Deshalb kämpfen sie nicht geschlossen gegen die Rebellen, sie spannen sie für die eigenen Zwecke ein. Wisst ihr, wer am meisten vom Höhenflug der Gamestop-Aktien profitiert hat? BlackRock. Larry Fink & Co. sind dank den Rebellen über mehr als zwei Milliarden Dollar reicher geworden.

Des Pudels Kern der ganzen Sache ist die Ungleichheit. Diese ist dank der Geldflut der Notenbanken und dank Corona nochmals gewaltig vergrössert geworden. Die dreistelligen Milliardenvermögen von Jeff Bezos, Elon Musk & Co. lassen sich unter keinem Titel mehr rechtfertigen.

Bei den jüngsten Vermögenszuwächsen in zweistelliger Milliardenhöhe handelt es sich um sogenannte Windfall-Profite, will heissen: Sie sind dank günstigen Umständen entstanden. Man könnte sie auch als Lottogewinne bezeichnen.

Kara Swisher, Tech-Fachfrau in der «New York Times», schlägt daher vor, auf die Windfall-Profite eine Sondersteuer zu erheben. Das macht Sinn. Weder Apple noch Amazon noch Google haben sich diese Gewinne mit Innovation oder Kosteneinsparungen verdient. Das übliche Argument, mit einer Reichtumssteuer den Erfolg zu bestrafen, fällt daher weg.

Haben gewaltige Windfall-Profite eingefahren (von links nach rechts): Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook Apple) , Sundar Pichai (Google) und Mark Zuckerberg (Facebook).

Haben gewaltige Windfall-Profite eingefahren (von links nach rechts): Jeff Bezos (Amazon), Tim Cook Apple) , Sundar Pichai (Google) und Mark Zuckerberg (Facebook).

Keystone

Swisher schwebt daher eine Steuer vor, die in ihrem Charakter ähnlich ist wie die Tabak- oder Alkoholsteuer. Sie soll für eine begrenzte Zeit auf die Windfall-Gewinne erhoben und für die Milderung der Coronakrise verwendet werden.

Dies mag weniger spektakulär sein als kurzzeitige Triumphe über einen Hedge Fund. Doch die Wirkung ist weit nachhaltiger als die einer chancenlosen Anachro-Revolution. Und vergessen wir nicht, Revolutionen haben eine üble Eigenschaft: Sie fressen ihre eignen Kinder.