Kommentar

Die EU verhängt Strafen gegen China. Doch das Lavieren zwischen Investitionen und Sanktionen geht weiter.

Erst zum zweiten Mal verhängt die EU Sanktionen gegen Peking. Das ist ein starkes Zeichen. Aber nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einer europäischen China-Politik.

Andreas Ernst 18 Kommentare
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Wachturm bei einem angeblichen Berufsbildungs-Zentrum in Dabancheng in der Xinjiang-Provinz.

Wachturm bei einem angeblichen Berufsbildungs-Zentrum in Dabancheng in der Xinjiang-Provinz.

Thomas Peter / Reuters

1989 verhängten die Europäer ein Waffenembargo gegen China. Peking hatte mit einem Massaker die Proteste am Tiananmen-Platz niedergeschlagen und so die Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Systems begraben. 32 Jahre später beschliessen die Aussenminister der Europäischen Union zum zweiten Mal Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen. Eine Handvoll Funktionäre wird mit Reiseverboten und dem Einfrieren ihrer Konten bestraft. Die EU wirft ihnen eine direkte Beteiligung an der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang vor.

Doch die EU nimmt es heute mit einem ganz anderen Land auf als 1989. Damals war China in vielerlei Hinsicht ein Entwicklungsland. Heute ist es der zweitwichtigste Handelspartner des Staatenverbundes, wirtschaftlich ein starker Konkurrent und machtpolitisch ein Herausforderer. Seit 2019 bezeichnet die EU China als einen «systemischen Rivalen».

Die europäischen China-Politik liegt noch im Nebel

Dass sich die EU zu der (symbolischen) Bestrafung von Verantwortlichen durchgerungen hat, ist positiv. Die Verletzungen der fundamentalen Grundrechte der Uiguren sind unabweisbar und schwerwiegend. Die Massnahme ist zudem ein Schritt auf dem Weg zu einer gesamteuropäischen China-Politik. Doch man muss zugeben: Das Ziel ist fern und liegt im Nebel.

Die Union, das sind im Kern immer die 27 Mitgliedsländer, tut sich schwer damit, eine kohärente Strategie für China zu finden. Noch im Dezember hat sie nach langen Verhandlungen ein Investitionsabkommen mit Peking geschlossen. In Washington, aber auch in vielen Mitgliedsstaaten, wurde das kritisiert. Der Westen, so hiess es, müsse eine gemeinsame, transatlantische Position gegenüber dem aufsteigenden Reich von Xi Jinping finden.

Andere Europäer, darunter Frankreich und Deutschland, insistieren auf einer eigenständigen China-Politik. Unter dem Schlagwort der strategischen Autonomie soll sich die EU dem Sog der Konfrontation zwischen den USA und China wenn immer möglich entziehen, ohne sich als «Wertegemeinschaft» zu verraten. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Europäer weiter zwischen Investitionen und Sanktionen zu lavieren versuchen.

Menschenrechtsverletzungen sind gut dokumentiert

Die Lage in der Provinz Xinjiang hat Sanktionen unausweichlich gemacht. Menschenrechtsexperten der Uno und unabhängige Beobachter hatten dort ein riesiges System der Masseneinkerkerung entdeckt. Mehr als eine Million Uiguren befinden sich in Gefangenenlagern. Die Insassen werden zu Zwangsarbeit angehalten, und manche sollen auch gegen ihren Willen sterilisiert worden sein.

Peking stellt die Vorwürfe kategorisch in Abrede. Allerdings bestreitet es nicht mehr die Existenz der Lager, sondern nur noch deren Zweck. Sie dienten, so der chinesische Botschafter in Brüssel, der Umerziehung von Islamisten. Es gehe um eine Deradikalisierung, wie man das ja auch in Grossbritannien und in Frankreich mache. Gleichzeitig dienten die Lager der Berufsausbildung. Deshalb werde dort gearbeitet.

Auf die Sanktionen reagiert Peking mit einer Doppelstrategie. So entschieden die Vorwürfe als Lügen und Einmischungen in die inneren Angelegenheiten zurückgewiesen werden – auf eine Eskalation verzichtet China. Zehn Personen, unter ihnen fünf Abgeordnete des Europäischen Parlaments, erhalten Einreiseverbote. Man habe sich nicht zu radikalen Schritten hinreissen lassen, heisst es aus der chinesischen Botschaft in Brüssel.

Peking vermeidet so, dass eine allzu harte Antwort die EU an die Seite der Amerikaner treibt. Die Chinesen wissen genau, dass das gemeinsame Auftreten der Europäer ihre tiefer liegenden Differenzen nur vorübergehend überdeckt. Mit seinen wirtschaftlichen Verlockungen wird China bei nächster Gelegenheit mühelos seine Keile in die wacklige Allianz treiben können. Umso erfreulicher ist es, dass die Union für einmal mit einer Stimme gesprochen hat.

18 Kommentare
R. E.

Das wird China nicht interessieren. Es ist eine innere Angelegenheit Chinas. Für Christen oder andere Religionen setzt sich die EU nicht ein. Die Lust unterdrückt zu werden macht sich breit.

J. L.

Wenn die EU und auch die Schweiz sich nicht noch klarer äussern und nicht noch effektivere Massnahmen ergreifen, wird Peking nur in seiner menschenverachtenden Politik bestärkt. Die Antworten der chin. Führung auf die eindeutig belegten Konzentrationslager und das massive Vorgehen in Hongkong, weisen genau in diese Richtung. Die Zeiten einer chinesischen Öffnung sind offensichtlich vorbei. Appeasementpolitik aber ist gegenüber einer skrupellosen Diktatur fehl am Platz. Das sollte allen seit 1938 klar sein. Trotz wirtschaftlichen Interessen.