Kommentar

Trauerspiel um den Uno-Bericht zu Xinjiang: Chinas Einfluss geht zu weit

Die Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet lässt Minuten vor Ablauf ihres Mandats einen brisanten Bericht veröffentlichen. Das Gezerre um die Publikation ist Ausdruck von Pekings wachsendem Einfluss im Uno-System.

Marco Kauffmann Bossart 80 Kommentare
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Michelle Bachelet, Hochkommissarin für Menschenrechte, nimmt an ihrer letzten Pressekonferenz am 25. August 2022 in Genf teil.

Michelle Bachelet, Hochkommissarin für Menschenrechte, nimmt an ihrer letzten Pressekonferenz am 25. August 2022 in Genf teil.

Pierre Albouy / Reuters

Was die Uno-Menschenrechtskommission über die Unterdrückung der Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang zu sagen hat, tritt beinahe in den Hintergrund. Seit Wochen drehte sich alles um die Frage: Gibt die Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, ihren Bericht doch noch frei, oder verschwindet er auf Druck Chinas im Orkus der Genfer Menschenrechtsbürokratie? Am 31. August lief das Mandat der Chilenin ab. Ihr Versprechen, das Dokument zu publizieren, löste sie 12 Minuten vor Mitternacht ein – ohne Medienkonferenz, ohne Stellungnahme. Die Veröffentlichung im Dunkel der Nacht wirft ein seltsames Licht auf das Uno-Gremium. Es wirkt, als versteckten sich die Hüter universeller Menschenrechte beschämt vor ihrer eigenen Arbeit.

Der letzte Augusttag markiert nur den vorläufigen Höhepunkt in einem Langzeitdrama. Bereits im Dezember 2021 hatte das Hochkommissariat für Menschenrechte eine Publikation «innerhalb von Wochen» in Aussicht gestellt. Stattdessen folgte ein Reigen von Aufschüben aus bisweilen fadenscheinigen Gründen. Bachelet zauderte und lavierte. Auch während ihrer China-Reise im Mai scheute sich die ehemalige Präsidentin Chiles, Klartext zu reden.

Unlängst gestand sie ein, sie stehe unter enormem Druck. Manche Staaten drängten auf eine Publikation, andere wollten das unbedingt verhindern – an vorderster Front China. Der Volksrepublik dienten sich auf dem diplomatischen Parkett nicht nur notorische Unrechtsregime vom Kaliber Nordkoreas an. Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche holte Peking weitere Unterstützer ins Boot.

Chinas ewiggleiche Abwehrstrategie

Die Verzögerungsmanöver änderten nichts daran, dass die Welt längst aus anderen Quellen erfahren hat, was hinter den Mauern und Wachtürmen der sogenannten Umerziehungslager für Uiguren und Angehörige anderer muslimischer Minderheiten geschieht. Ehemalige Insassinnen legten Zeugnisse ab über Massenvergewaltigungen, Folter und Zwangssterilisationen. Satellitenbilder dokumentieren das Ausmass des gigantischen Lagersystems. Und erst kürzlich präsentierte der Uno-Sonderberichterstatter für Sklaverei Fälle von Zwangsarbeit.

Mehrere Regierungen konstatieren gar einen Genozid. Der Bericht aus Genf vermeidet diesen kontroversen Begriff. Aber die Autoren stellen unmissverständlich fest: In Xinjiang wurden schwerwiegende Menschenrechtsverstösse verübt. Das Ausmass an willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierungen sei möglicherweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen.

China kontert mit der ewiggleichen Strategie: leugnen, Gegenangriffe und Verschwörungstheorien lancieren, Kritiker diffamieren. Die Behauptung, unbefangenen Beobachtern stünden in Xinjiang sämtliche Türen offen, entpuppt sich als Farce. Journalisten, Diplomatinnen und die Uno-Menschenrechtsexperten erleben vor Ort das Gegenteil.

Bachelet selber stand nur vor der Wahl, ein Programm von Pekings Gnaden zu akzeptieren oder die Reise abzublasen. Es erstaunt daher nicht, dass der Bericht der Uno wenig überraschende Erkenntnisse zutage fördert. Auch verfügt das Hochkommissariat über keine Kompetenz, China zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Dennoch ist die Veröffentlichung von grosser Bedeutung. Denn jetzt bestätigt die Uno, was Menschenrechtsaktivisten schon lange anprangern.

Sorge um Zukunft des Hochkommissariats

Wäre das Dokument unter Verschluss geblieben, hätte dies ein verheerendes Signal gesetzt: Wer mit dem Zweihänder gegen unliebsame Untersuchungen der Uno lobbyiert, wird belohnt. Es wäre einem Kotau vor Chinas Regime gleichgekommen.

Gleichwohl muss man sich um die Handlungsfähigkeit des Hochkommissariats für Menschenrechte sorgen. Im Verbund mit anderen Autokratien baut China seinen Einfluss im Uno-System ständig aus. Der von Bachelet beklagte Druck wird nicht ab-, sondern zunehmen. Die demokratische Staatenwelt muss daher zusammenstehen und ihre Werte verteidigen.

80 Kommentare
Paul Böhlen

China übernimmt. Und das seit langem und mit tatkräftiger Unterstützung des Westens. Möglichst billig einkaufen ist die Devise! Ich erinnere mich an die Zeiten als „Made in Germany“ auf guten Produkten stand. Heute steht „Made in China“ darauf. Billig, aber Schrott. Wir versuchen seit Jahren nichts zu kaufen, auf dem „Made in China“ steht. Es wird Jahr für Jahr schwieriger…

G. T.

Die UNO ist historisch begründet eine Fehlkonstruktion und spiegelt mehr als 70 Jahre nach Ende des 2.Weltkrieges immer noch die damalige Weltordnung wieder. Vetos lähmen den Sicherheitsrat, Mehrheitsentscheidungen in der Vollversammlung haben keine de facto Auswirkungen. … aktuell gibt es dennoch schlicht keine unabhängige andere Weltinstitution als die UNO, anders ausgedrückt: eine lahme Ente ist besser als keine Ente. Es braucht unabhängige Analysen zu Fragen der Menschenrechte und - wie der Autor ja richtig bemerkt - solche Fakten kann man trotz aller Nebelkerzen und Verdrehungen letztlich nicht totschweigen. Die „Arbeit macht frei“ Parolen des chinesischen Regimes sind seit 1933 weltweit bekannt und verfangen nicht mehr. Direkt wird man in China vor Ort nichts ändern können. Vielleicht ist auch dieser Report dennoch ein weiterer Weckruf, sich wenigstens nicht in zu grosse (wirtschaftliche/Rohstoff) Abhängigkeit von China zu begeben. Putin hat mit der Energieversorgung gezeigt, wie erpressbar man in Europa werden kann. Ansonsten kommt schnell der Punkt, an dem der Westen nur noch seine Werte verraten kann, um nicht unter die Räder Chinas zu kommen. 

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