Kommentar

«One Love» oder Energiesicherheit? – Beides zusammen ist schwer zu haben

Der Gas-Deal mit dem autokratischen Katar ist so richtig wie verlogen. Der deutschen Aussenpolitik würden weniger erhobene Zeigefinger und mehr Realitätssinn guttun.

Rewert Hoffer, Berlin 108 Kommentare
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Nancy Faeser mit Gianni Infantino und «One Love»-Armbinde in Katar: Ohne Konsequenzen schadet Symbolpolitik eher, als sie nützt.

Nancy Faeser mit Gianni Infantino und «One Love»-Armbinde in Katar: Ohne Konsequenzen schadet Symbolpolitik eher, als sie nützt.

Joel Marklund / Imago

«Wenn ihr weiter auf diese massive Art zu Menschenrechtsverletzungen beitragt, können wir nicht demnächst bei euch Fussball spielen.» Es waren noch andere Zeiten, als Annalena Baerbock forderte, die WM in Katar zu boykottieren. Damals, im August 2021, war die jetzige grüne Aussenministerin noch Kanzlerkandidatin ihrer Partei, draussen war es warm und sonnig, Krieg und Gasknappheit waren nicht vorstellbar.

Nicht einmal ein Jahr später reiste ihr Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Doha, verneigte sich vor dem Emir und handelte ein Abkommen aus, um Deutschland unabhängiger von russischen Energieimporten zu machen. Sein Besuch trägt nun Früchte: Am Dienstag kündigte der katarische Energieminister an, ab 2026 jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen Flüssiggas (LNG) nach Deutschland zu liefern. Die Lieferungen sollen mindestens 15 Jahre lang laufen.

Das Geschäft mit dem Emirat ist genauso richtig, wie es auch verlogen ist; ohne Gaslieferungen aus anderen Quellen als Russland wäre der Industriestandort Deutschland nicht zu retten. Gleichzeitig entlarvt der Deal die Scheinheiligkeit vieler Politiker in Berlin.

Alternativen zu Katar? Fehlanzeige!

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Katar das Geschäft gerade jetzt ankündigt, fünf Tage nachdem Innenministerin Nancy Faeser mit der «One Love»-Armbinde das Spiel der deutschen Nationalmannschaft verfolgt hat. Die Binde soll ein Signal gegen Homophobie, Rassismus und Antisemitismus sowie für Menschenrechte aussenden.

So wichtig können euch die Menschenrechte gar nicht sein, sonst würdet ihr euch nicht für 15 Jahre mit unserem Gas eindecken. Das ist die Botschaft des Deals. Unrecht haben die Katarer nicht. Man muss sich schon entscheiden zwischen dem Einsatz für Minderheitenrechte und Realpolitik: «One Love» oder Energiesicherheit – beides zusammen ist schwer zu haben. Das Geschäft könnte daher auch ein Anlass zur Neuorientierung für die teilweise bigotte deutsche Aussenpolitik sein.

Würde Deutschland nur noch Gas aus Ländern beziehen, die dem Geist der «One Love»-Armbinde huldigen, gingen hierzulande schnell die Lichter aus. Deshalb ist es gut, dass katarisches Flüssiggas schon in vier Jahren nach Brunsbüttel fliesst. Realistische Alternativen bestehen nämlich nicht. Ein Blick auf die Liste der Staaten mit den zehn weltweit grössten Erdgasreserven zeigt: Ausser den USA befindet sich unter ihnen keine einzige stabile Demokratie.

Die Länder mit den grössten erwiesenen Erdgasreserven

Anteil an weltweiten Reserven 2020, in %

Im Falle der Vereinigten Staaten hintertreiben die Gasimporte zwar nicht den Einsatz für Demokratie und Menschenrechte, zeigen aber dafür die Scheinheiligkeit der hiesigen Klimapolitik. Fracking in Niedersachsen wird nicht einmal geprüft, «gefracktes» Gas aus den USA nimmt die deutsche Regierung allerdings mit Kusshand.

Sigmar Gabriel ist kein Vorbild

Trotz dem autokratischen Charakter der meisten Rohstofflieferanten macht es einen Unterschied, ob Deutschland mit seinen Energieimporten einen völkerrechtswidrigen Krieg (Russland) oder Terror gegen die eigene Bevölkerung (Iran) finanziert. Katar ist das kleinere Übel, und Deutschland braucht das katarische Gas. Diese Realität sollte die deutsche Politik anerkennen.

Zur Anerkennung der Realität gehört es auch, den moralischen Maximalismus und die Symbolpolitik zurückzuschrauben. Das bedeutet nicht, dass deutsche Politiker Menschenrechtsverletzungen relativieren müssen, wie es der ehemalige Aussenminister Sigmar Gabriel erst kürzlich mit Blick auf Katar tat.

Wer sich auf das hohe Ross schwingt, muss auch sichergehen, dass es galoppiert. Publikumswirksame Armbindenauftritte schaden der eigenen Sache eher, wenn man nur wenige Tage später mit dem kritisierten Regime Milliardengeschäfte einfädelt.

So funktioniert «Wandel durch Handel» eben nicht. Denn wenn Symbole und Maximalforderungen folgenlos bleiben, erkennen Diktatoren die hehren Worte deutscher Politiker als das, was sie oft sind: leeres Gerede, das getrost ignoriert werden kann.

108 Kommentare
Alfons Steinberger

"Der deutschen Aussenpolitik täte weniger erhobener Zeigefinger und mehr Realitätssinn gut." Also bitte, der selbsternannte Moralweltmeister Deutschland hat so viel Moral, dass es sogar problemlos zu Doppelmoral reicht.

Christoph Weise

Wer als Gast nach Katar kommt, um dort Fußball zu spielen oder zuzuschauen, sollte die Gastrechte nicht missbrauchen, um das Instrumentarium für regime-changes einzusetzen. Das ist ungehörig. Der Finger des Moralapostels sollte in der Tasche bleiben. Wer das nicht kann, sollte zuhause bleiben. 

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