Kommentar

«Katar-Gate»: Die EU-Parlamentarier sollten von ihrem hohen Ross absteigen

Niemand geht schärfer mit den Korrupten dieser Welt ins Gericht als das Europäische Parlament. Dass der Golfstaat Katar ausgerechnet hier versucht haben soll, sich Einfluss zu erkaufen, ist ein Desaster für die EU.

Daniel Steinvorth, Brüssel 227 Kommentare
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Eva Kaili war ein Shootingstar in der griechischen Politik. Jetzt sitzt die 44-Jährige wegen schwerer Korruptionsvorwürfe in Untersuchungshaft.

Eva Kaili war ein Shootingstar in der griechischen Politik. Jetzt sitzt die 44-Jährige wegen schwerer Korruptionsvorwürfe in Untersuchungshaft.

Imago

In Brüssel und Strassburg macht seit dem Wochenende das Wort «Katar-Gate» die Runde. In Anlehnung an den Watergate-Skandal der 1970er Jahre wird damit auf die schwere Vertrauenskrise angespielt, die damals der Politik nach den Enthüllungen entgegenschlug. Haben auch die Volksvertreter der Europäischen Union ihre Glaubwürdigkeit verspielt?

Noch gibt es viele offene Fragen in diesem Fall. Noch zählt ausserdem die Unschuldsvermutung für Eva Kaili, die inzwischen suspendierte Vizepräsidentin des Europaparlaments, und die vier anderen Verdächtigen. Alle bisher bekannten Fakten sprechen jedoch eine klare Sprache: fünf Festnahmen, sechzehn Hausdurchsuchungen, mehrere versiegelte Büros und «Säcke voller Geldscheine», die in Kailis Wohnung gefunden wurden.

Die Griechin, so berichten es belgische Zeitungen, war wohl Teil eines Netzwerkes, das sich in Brüssel weniger für die Interessen der EU-Steuerzahler als für die des Golfstaates Katar eingesetzt hat. Insgesamt beschlagnahmte die Polizei 600 000 Euro.

«Ethische Unbekümmertheit»

Hektisch zog Kailis Partei, die sozialistische Pasok, noch am Freitag den Stecker und schloss die 44-Jährige aus. Auch aus ihrer Fraktion im Europaparlament wurde die frühere Nachrichtensprecherin geworfen. Eine steile Karriere endet abrupt in einer belgischen Haftzelle.

Auch im beschaulichen EU-Politikbetrieb ist an Normalität nicht zu denken. Abgeordnete rätseln, ob die Ermittlungen noch weitere Kreise ziehen werden. Wen könnte das Emirat noch mit Geld und Geschenken bezirzt haben? Wittern womöglich noch andere autoritäre Staaten, die ihren Ruf aufpolieren wollen, eine Chance? Ist europäische Politik käuflich?

Zur Erinnerung: Fälle von Korruption und Machtmissbrauch sind in der Union nicht neu. Mit dem Rücktritt der früheren französischen EU-Kommissarin Édith Cresson, die Urkunden gefälscht und Gelder veruntreut haben soll, ging in den Neunzigern eine ganze Kommission zu Fall. Schärfere Transparenzregeln und die Gründung eines Amts zur Korruptionsbekämpfung waren die Folge.

Im Europaparlament mangelt es heute auch nicht an Regeln. Eine besagt, dass Abgeordnete verpflichtet sind, jedes Treffen mit Lobbyisten zu melden, und dass Lobbyisten offenlegen müssen, in wessen Auftrag beziehungsweise Interesse sie arbeiten. Der Staatsrechtler Alberto Alemanno beklagt jedoch, dass die Regeln viel zu durchlässig seien und im Parlament eine geradezu «ethische Unbekümmertheit» herrsche.

Diese Mentalität steht allerdings in krassem Widerspruch zu den hohen moralischen Massstäben, die das Abgeordnetenhaus sonst an den Tag legt, wenn es um Fehlverhalten in der Politik geht. Tatsächlich geht in Europa wohl niemand sonst so scharf mit den Korrupten und Semi-Autoritären, den Orbans und Kaczynskis dieser Welt ins Gericht wie die einzigen gewählten Volksvertreter der EU.

Schwieriger Showdown mit Ungarn

Seit Jahren machen sie sich dafür stark, dass die Gewaltenteilung funktioniert und europäische Mittel nicht in dunklen Kanälen verschwinden; stolz haben sie dafür während der Pandemie den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus auf den Weg gebracht. Räumt Orban nicht mit der Günstlingswirtschaft im eigenen Land auf, so das Prinzip, droht Brüssel, die Milliardenhilfen einzubehalten. Derzeit steuern Ungarn und die EU in genau dieser Frage auf einen Showdown zu.

Dass nun Ungarns Regierungschef das «Katar-Gate» ausschlachten wird, liegt auf der Hand. Warum aber sollte man annehmen, dass dies nicht auch alle anderen Skeptiker des europäischen Projekts tun werden? Die Europaabgeordneten wären jetzt gut beraten, schleunigst ihr Haus in Ordnung zu bringen – und vor allem von ihrem hohen Ross abzusteigen. Die schlichte Wahrheit ist, dass sich Geld überall Einfluss erkauft.

Dem Brüssel-Korrespondenten Daniel Steinvorth auf Twitter folgen.

227 Kommentare
Udo Hofmann

Diese Sozialistin bestätigt alle Vorurteile, die es gegenüber der Politik in Brüssel gibt. Wie würde Europas Mainstream beben, würde es sich um Konservative, AfD, Orban- oder Lega Nord Politiker handeln …

Jürg Simeon

Da werden sich einige Schweizer und Engländer bestätigt fühlen. Die EU ist zu korruptionsanfällig, mangelnde Transparenz, mit Demokratiedefizit, zu abgehoben, zu weit weg von der Basis.

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