Vielleicht ist heute ein historischer Tag. Das weiß man zwar immer erst hinterher. Aber als wegweisend lässt sich das Abkommen, das gegen halb vier Uhr am Montagmorgen kanadischer Zeit in Montreal verabschiedet wurde, jetzt schon bezeichnen. Dass es überhaupt zustande kam, ist ein kleines Wunder. 

Zwei Wochen lang haben die 196 Staaten, die einst die UN-Konvention zur Biodiversität unterzeichnet haben, in Montreal um die Zukunft der Erde gerungen. Die Öffentlichkeit hat bisher wenig davon mitbekommen. Nicht nur in Deutschland ist noch Katerstimmung nach der Fußball-WM in Katar. Oder gefühlt schon Weihnachten.

Erst war die COP15-Konferenz, die 2020 im chinesischen Kunming hätte stattfinden sollen, wegen der Corona-Pandemie verschoben worden. Dann konnten sich die Delegierten am neuen Austragungsort in Kanada tage- und nächtelang auf keine Textversion einigen. Noch dazu hielt China weiterhin die Präsidentschaft der Veranstaltung, während Kanada zum Gastgeber wurde. Eine diplomatisch anstrengende Situation für alle Beteiligten. Und nicht zuletzt mussten sich in Kanada Vertreterinnen und Vertreter von Ländern einigen, die außerhalb des Kongresszentrums Krieg gegeneinander führen. Jede Verstimmung hätte das Ende einer gemeinsamen Anstrengung für den Schutz der Natur und ihrer Vielfalt bedeuten können. Gemessen daran sind erstaunlich deutliche Ziele übrig geblieben.

Das beste Naturschutzabkommen, das je zustande gekommen ist

Die Weltgemeinschaft will 30 Prozent der Landflächen und Ozeane des Planeten bis 2030 unter Schutz stellen. 30 Prozent geschädigte Natur sollen renaturiert und die Rechte indigener Völker dabei respektiert werden. Junge Menschen gestalten mit, wie die Welt in Zukunft Ressourcen nutzt. Und Industrieländer unterstützen die artenreichen Staaten des globalen Südens ab sofort mit fast dreimal so viel Geld wie bisher. Denn die Landschaften und Meere mit der größten noch lebenden Vielfalt liegen nun einmal in den Tropen Afrikas, Asiens und Südamerikas, auf Inselstaaten im Pazifik oder in der Karibik – in Ländern, die deutlich weniger zur Zerstörung der Natur beigetragen haben als die Industriestaaten, die sich entwickelt nennen.

PDF

COP15 Montreal : Die Abschlusserklärung des UN-Weltnaturgipfels im Wortlaut

Hält dies die Zerstörung der Natur auf? In Montreal einigten sich fast 200 Länder auf neue Ziele: Den Ausbau weltweiter Schutzgebiete und mehr Geld für Biodiversität.

Dokument öffnen

Wahrscheinlich ist die Einigung von Montreal das beste Naturschutzabkommen, das die Vereinten Nationen jemals zustande gebracht haben. Schon allein, weil es jetzt kommt und nicht später. Das 30/30-Ziel sehen viele Natur- und Umweltorganisationen als würdiges Äquivalent zum 1,5-Grad-Ziel von Paris. Eine verbindliche Zahl, an der sich die Welt orientieren soll.

Der Kollaps der Biosphäre kann verhindert werden

Der Masterplan von Montreal hat dabei einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Pariser Klimaabkommen: Er kommt noch rechtzeitig. Während die Wissenschaft kaum mehr ernsthaft davon ausgeht, dass es gelingen könnte, die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, hat das Naturabkommen noch eine Chance auf Erfolg.

Das Artensterben, das der Mensch mit intensiver Landwirtschaft, Pestiziden und Dünger, dem Abholzen von Wäldern und der ungebremsten Bebauung einst wilder Flächen beschleunigt, lässt sich stoppen. Der Kollaps der Biosphäre kann abgewendet werden.

Und noch etwas ist anders als beim Klima: Während der gesamten Verhandlungen um den Schutz der globalen Biodiversität gab es weitgehend Konsens über die wissenschaftliche Basis. Niemand zweifelte in Montreal ernsthaft daran, dass die Vielfalt von Leben erhalten bleiben muss. Und sie die Grundlage ist, dass die Erde den Menschen ernährt.

Werden ab sofort systematisch degradierte Landschaften renaturiert, die Meere geschützt, die Überfischung beendet und Pflanzen nachhaltiger und umweltschonender angebaut, kann eine Zukunft Realität werden, in der wir noch trinkbares Wasser, fruchtbare Böden und saubere Luft haben werden. Eine Zukunft gerade auch für junge Generationen.  

Jetzt müssen die Staaten verbindliche Ziele festlegen

Natürlich kann man sofort wieder meckern, darüber wüten, was alles nicht erreicht wurde. Wie schwammig das Abkommen ist. Dass Verbindlichkeit fehlt und viele Passagen den Staaten, die sie umsetzen sollen, Raum für Interpretation und damit auch zum Schummeln lassen. 

Das Abkommen hat viele Schwächen: Wissenschaftlerinnen sind sich einig, dass es ein gefährliches Zugeständnis ist, den Staaten der Welt beispielsweise noch bis 2025 Zeit zu geben, die Ursachen von Naturzerstörung auszumachen, um sie dann nach und nach zu beseitigen. Dabei ist seit Langem bekannt, was der Natur schadet. 

Zugleich können Finanzexperten schon jetzt vorrechnen, dass das Geld für nachhaltige Entwicklung im globalen Süden nicht reichen wird, um die Ökobilanz der Erde schnell genug ins Positive umzukehren. Auch wenn man beschlossen hat, ab 2025 heute noch fließende umweltschädliche Subventionen bis 2030 jährlich um 500 Milliarden US-Dollar zu senken. Auch wenn die reichen Ländern den ärmeren bis zum Ende des Jahrzehnts jedes Jahr 30 Milliarden US-Dollar für den Schutz von Arten und Ökosystemen zahlen wollen.