Der andere Blick

FDP sei Dank: Die deutschen Liberalen haben das Schlimmste verhindert

Weniger planwirtschaftliche Klimapolitik, weniger Autofeindlichkeit: Die Partei von Christian Lindner hat sich im Koalitionsausschuss mit SPD und Grünen in zentralen Punkten durchgesetzt. Gut so.

Marc Felix Serrao, Berlin 279 Kommentare 3 min
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Kann kurz durchatmen: der FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner.

Kann kurz durchatmen: der FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner.

Sean Gallup / Getty Images Europe

Wie gross die Not der deutschen Liberalen ist, konnte man am Dienstagabend am zweiten der beiden Texte studieren, die die Parteiführung verschicken liess. Der erste Text war das «Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung», eine Zusammenfassung der Kompromisse, auf die sich die Ampelregierung gerade nach dreissigstündiger Krisensitzung hatte einigen können. Der zweite Text war in eigener Sache: Die FDP erklärte wortreich, was die FDP alles hatte durchsetzen können.

Dass eine Regierungspartei sich vor und nach einem solchen koalitionären Kompromiss bemüht, die veröffentlichte Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen, ist normal. Dass sie ihren politischen Spin schon zeitgleich mit dem gerade erst errungenen Verhandlungsergebnis und in Form eines mehrseitigen Dokuments verbreitet, zeugt hingegen von einem fast schon verzweifelten Drang, mit dem eigenen «Dreh» durchzudringen. Offenkundig ist es die FDP-Führung leid, als politische Kraft wahrgenommen zu werden, die immerzu unter die linken Räder ihrer Koalitionspartner kommt.

Marktwirtschaftliche Vernunft statt Klein-Klein

Im vorliegenden Fall ist das Trommeln in eigener Sache allerdings gerechtfertigt. Die Liberalen haben unter anderem dafür gesorgt, dass die Bundesrepublik auf dem Weg in die «Klimaneutralität» nicht in jedem «Sektor» (Energie, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude) eine streng vorgegebene Senkung von CO2-Emissionen erreichen muss, sondern «sektorübergreifend» und über mehrere Jahre betrachtet. Das ist vernünftig und beugt einem planwirtschaftlichen Klein-Klein einzelner Ministerien vor. Die FDP hat zu Recht darauf gedrängt, dass der – nachweislich funktionierende – europäische Emissionshandel (EHS) im Zentrum der nationalen Klimapolitik steht.

Die Partei hat zudem verhindert, dass das Land dem motorisierten Individualverkehr den Kampf ansagt. Das gilt in Bezug auf den ausdauernden Einsatz des liberalen Verkehrsministers Volker Wissing zugunsten von CO2-freien synthetischen Treibstoffen, kurz E-Fuels (dass diese für Autos einst eine bezahlbare Option werden, darf man anzweifeln, aber die Entscheidung muss am Markt fallen, und wenn Autobauer wie BMW und Porsche davon überzeugt sind, sollen sie es probieren dürfen). Und es gilt in Bezug auf das höhere Tempo beim bereits beschlossenen Ausbau und bei den am dringendsten benötigten Reparaturen der deutschen Autobahnen.

Schliesslich ist da noch der Klimaschutz in Gebäuden. Wenn es nach dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gegangen wäre, dann hätte es vom kommenden Jahr an in Deutschland ein pauschales Verbot neuer Öl- und Gasheizungen gegeben. Dazu wird es nicht kommen, zum Glück. Stattdessen sollen fossile Heizungen erlaubt bleiben, wenn diese auch mit «klimafreundlichen Gasen» laufen können.

Muss die FDP nun auf allen Kanälen ihre Verhandlungserfolge feiern? Wirkt das nicht ein bisschen verzweifelt? Und steckt im Jubel nicht die Gefahr, die ziemlich gerupft wirkenden Grünen zu provozieren? Der nächste Koalitionsstreit kommt bestimmt, und dann dürfte Habeck Wiedergutmachung fordern.

Die FDP hatte diesen Erfolg bitter nötig

Mag sein. Aber die FDP ist eine Partei in Not. Sie hatte diesen Erfolg bitter nötig. Ihre Umfrageergebnisse sind mies, die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen waren ein Desaster. Die Stammwählerschaft fremdelt mit einer Partei, die auf der einen Seite eine radikale Neuordnung der Gesellschafts- und Familienpolitik mitträgt (freie Geschlechtswahl, «Verantwortungsgemeinschaft» statt Familie) und auf der anderen Seite mitten in der Energiekrise zuschaut, wie die letzten Kernkraftwerke des Landes abgeschaltet werden.

Was glaube man denn bitte, was los wäre, wenn SPD und Grüne allein regieren würden? Mit dieser Frage versucht die liberale Führungsmannschaft um Christian Lindner seit dem Eintritt der FDP in die Regierung vieles von dem, was sie mitmacht, zu rechtfertigen. Dann folgt in der Regel ein Horrorszenario aus noch höheren Steuern und noch mehr Staatsausgaben, das gewiss nicht an den Haaren herbeigezogen ist (obwohl die Sozialdemokraten, könnten sie allein mit den Grünen regieren, vermutlich stärker als Korrektiv ihres radikal linken Juniorpartners auftreten würden).

Der gestrige Erfolg der deutschen Liberalen ist nur ein Erfolg für den Moment. Habeck und die Grünen werden sich daran erinnern, und die gemeinsame Regierungszeit ist noch lang. Die FDP wird, wenn sie nicht unter die Lastenräder kommen will, im Kampfmodus bleiben müssen.

279 Kommentare
René Nüesch

Das Verbrenner Aus durch die EU und die verständlicherweise von der deutschen FDP eingebrachten , jedoch kaum realistischen E-Fuel Initiative, wird spätestens durch den EuGH wieder ins richtige Licht gerückt werden. Als Schweizer bin fassungslos, wie sich die jetzige EU gegenüber dem wichtigsten Mitglied Deutschland benimmt. Als nicht staatliche Organisation nimmt sie sich das Recht heraus, der Wirtschaft zu diktieren, welche Produkte diese produzieren darf. Der Exportweltmeister D wird wie angekündigt seine Industrie-Produktion Ost-Asien verlegen. Die EU wird dann auf das Geberland Deutschland verzichten. Sie kann alternativ ja EURO-Scheine drucken. In Wirklichkeit geht es meiner Ansicht nach, inzwischen um einen europäischen Wirtschaftskrieg, der weniger Erfolgreichen gegen die Wirklich Erfolgreichen.Bin gespannt, was die vielen EU-Freunde in unserem eigentlich wirtschaftsliberalen Land dazu zu sagen haben. Soll so unsere Zukunft aussehen?

L. H.

FDP sei Dank ? Sehe ich anders. Diese FDP hat nicht einmal mehr die Kraft zum Rückzug aus dieser Zirkusveranstaltung im Ampelzirkus von Berlin. Sie wird bei den nächsten Wahlen keine Rolle mehr spielen. Eine 3er-Regierung zu stützen, damit sich dort eine irregewordene Sekte nach Herzenslust austoben kann, ist doch wohl nicht das Ziel einer politischen Partei mit gegenläufigen Interessen.