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Sascha Lobo

Warum Twitter in X umbenannt wird Was für Steve Jobs das i, soll für Elon Musk das X werden

Sascha Lobo
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Der Vogel ist Vergangenheit, das X die Zukunft. Wirtschaftlich mag das sinnvoll sein. Aber Elon Musk hat auch düstere politische Pläne: Er will jede Erinnerung an die frühere Weltwokeness-Plattform Twitter tilgen.
Twitter wird zu X: Elon Musks Pläne sind größenwahnsinnig, könnten aber funktionieren

Twitter wird zu X: Elon Musks Pläne sind größenwahnsinnig, könnten aber funktionieren

Foto: Chris Delmas / AFP

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Elon Musk hat Twitter umbenannt in X, und die Welt fragt sich warum. Nach den bisherigen Beobachtungen gibt es darauf drei wesentliche Antworten, nämlich die offizielle, die persönliche und die politische. Zunächst scheint aber die Umbenennung samt Rebranding, also der Veränderung des Erscheinungsbilds, ein kontraproduktiver Schachzug zu sein. Twitter gehört trotz vieler Probleme zu den bekanntesten Marken der Welt, und die unternehmerische Substanz der Plattform ist bisher ohne Konkurrenz. Es gibt bisher keinen Ort im Netz und der App-Welt, der so schnell und so wirkmächtig Informationen von Nutzer*innen aller Art um die Welt verbreiten kann.

Eine presseseitig offizielle Antwort gibt es in Ermangelung einer Presseabteilung von Twitter nicht, Musk hat sie alle entlassen, weil er die Presse verachtet. Erst seit Kurzem werden Presseanfragen nicht mehr mit einem Kackhaufen-Emoji beantwortet, sondern mit einer automatischen Antwort. Offizielle Botschaften müssen daher aus Musks unternehmerischen Entscheidungen destilliert werden, das ist aber auch nicht besonders schwierig. Schon häufiger haben sowohl Musk wie auch die von ihm installierte und bisher eher als CEO-Darstellerin auftretende Linda Yaccarino erklärt, in welche Richtung sie wollen. Musk hat schon im vergangenen Jahr als Ziel »das WeChat der USA« formuliert.

Dazu muss man wissen, dass die chinesische Plattform WeChat als WhatsApp-Klon gestartet ist, inzwischen aber auf der gigantischen Nutzerbasis des Messengers ein eigenes Universum aufgebaut hat, inklusive Twitter-ähnlichen Öffentlichkeiten samt Social-Media-Inhalten und Abo-Funktionen, Banking- und Payment-Möglichkeiten, einer Office-Variante und einem eigenen Mini-App-Store in der App, wo ähnlich viele Dienste dazugebucht werden können wie in den App-Stores von iOS und Android. Allein die Mini-Apps haben inzwischen rund 500 Millionen tägliche Nutzer*innen und die von der WeChat-Mutter Tencent mitgegründete und zu Beginn an WeChat angeschmiegte WeBank ist inzwischen mehr als 30 Milliarden Dollar wert. Man kann im Reich von WeChat Monate und Abermonate verbringen, ohne es je zu verlassen und sein komplettes Leben wahlweise organisieren oder vertändeln, weshalb Tencent zwischenzeitlich fast eine Billion Dollar wert war.

Es ist einerseits tatsächlich auffällig, dass es im Westen bisher keine WeChat-App gibt. Andererseits sind die meisten Funktionen von WeChat über eine Handvoll Apps von Instagram bis PayPal sowie eben die App-Stores von Apple und Google abbildbar. Und zwar gar nicht so schlecht.

Westliche soziale Medien: Versammlung verpasster Chancen

Wenn man nun die strategische Seite betrachtet, ist ein größeres Social Network in der Tat sehr gut dafür geeignet, funktionierende Services darauf aufzubauen. Und da kann man, muss man, die westlichen sozialen Medien nicht nur als erfolgreich, sondern auch als eine Versammlung verpasster Chancen betrachten. Instagram hätte viel früher sein Shopping-Potenzial erkennen müssen und eigentlich Shopify selbst gründen sollen. YouTube hätte sowohl Netflix wie auch TikTok entwickeln sollen. Twitter hätte das Potenzial für die Mischung aus Privatnachrichten-Dienst und Privat-Nachrichtendienst viel früher erkennen sollen und eigentlich zusätzlich WhatsApp werden können.

Aber der Name Twitter steht kaum verrückbar für kurze, schnelle, oft giftige und trumpige, aber lustige Wortexplosionen. Und das technisch weitgehend unverändert seit 2006. Twitter braucht ein Rebranding, um ernsthaft Bankdienstleistungen anbieten zu können, so wie aus Floppi aus der 4b erst Florian werden musste, damit er zum ernst zu nehmenden Strafrechtsanwalt werden konnte.

Neben dem neuen Namen braucht Twitter übrigens auch eine neue Struktur. Das komplette Versagen von Twitters früherem Produktteam ist in der Branche geradezu legendär. Was die Leute dort anfassten, zerfiel in ihren Händen zu grauem, nervigem Staub, Twitter hat kein einziges der vielen neu dazu gekauften Start-ups irgendwie sinnvoll integriert. Das hört sich von außen wenig relevant an, ist aber in einem Arbeitsmarkt, wo eine Vielzahl weltbekannter Techunternehmen um die besten Kräfte buhlen, nicht zu unterschätzen.

SpaceX, x.ai und jetzt x.com

X steht für Aufbruchstimmung. Und damit etwas, das Elon Musk trotz seiner vielen Schwierigkeiten, seiner Radikalisierung und seiner Unberechenbarkeit für viele immer noch ausstrahlt. Aus strategischer Sicht ist damit durchaus sinnvoll, Twitter umzubenennen.

Die persönliche Antwort auf die Frage nach dem Warum liegt im Bild begründet, das Elon Musk in der Öffentlichkeit von sich zeichnen will. Der Buchstabe X begleitet ihn seit den Neunzigerjahren, seine Firma x.com ging in PayPal auf, 2017 kaufte er die Domain zurück, angeblich aus rein sentimentalen Gründen.

Tatsächlich aber hilft der Vergleich mit der Person, die am häufigsten mit ihm in einem Atemzug genannt wird: Steve Jobs. Es gibt im Silicon Valley zwei Arten von Unternehmern: Leute, die Steve Jobs werden wollen, und Leute, die nicht zugeben, dass sie Steve Jobs werden wollen. Aus Marketing- und Weltgeltungssicht hat Steve Jobs Apple zu einer Firma rund um einen ikonischen Buchstaben gemacht: i. iMac. iPod. iPhone. iPad. Sogar programmatisch lässt sich das deuten, i für ich, die Person am Anfang jedes Produkts, und gleichzeitig wird jedes Produkt plus i automatisch zu Apple. Was für Jobs das i, soll für Musk das x werden. X.com soll – von Yaccarino ernsthaft behauptet  – die Plattform werden, die »ja nun … alles liefern kann«. Musks Raketenfirma heißt SpaceX und kürzlich hat Musk x.ai gegründet, seinen OpenAI-Konkurrenten, der nach der »Wahrheit« suchen soll. Minimale Komplikationen könnten sich daraus ergeben, dass offenbar ausgerechnet Meta die Markenrechte an »x« für Social Networks gehören. Aber das ist vermutlich nichts, was nicht bereits mit einem simplen Cage Fight gegen Mark Zuckerberg aus der Welt zu schaffen wäre .

Der gesellschaftliche Schaden entsteht schon jetzt

Die politische Antwort schließlich ist düster, denn Elon Musk ist auf einer Mission, die er nicht einmal versucht zu verstecken. Warum auch? Er ist der reichste Mann der Welt mit der machtvollsten Nachrichtenplattform der Welt. Elon Musk hat sich nicht nur in den letzten Monaten radikalisiert. Er hat schon seit geraumer Zeit einen Hauptfeind gleich der gesamten Zivilisation ausgemacht: Das »woke mind virus«, also Wokeness, die er für eine Art ansteckender Gehirnwäsche hält. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil diese Art von meme-artigen Formulierungen in der rechten Netzszene oft verbreitet werden und Musk sich dort herumtreibt, wie man weiß, weil er entsprechenden Accounts regelmäßig antwortet.

Aber der ideologische Unterbau geht viel tiefer. Denn die wichtigsten Werte, die mit Wokeness assoziiert werden, sind Antirassismus und Feminismus. Deren wichtigste Protagonisten und Debattenräume der letzten Jahre wiederum sind #BlackLivesMatter und #metoo. Beide Bewegungen wurden als Hashtags über Twitter groß. Mehr noch, man kann ohne jede Übertreibung sagen, dass Black Lives Matter und MeToo ohne Twitter niemals so wirkmächtig geworden wären, vielleicht nicht einmal existieren würden.

Es ist kein Zufall, dass Elon Musk in einer seiner ersten Amtshandlungen als Eigentümer T-Shirts von Twitter mit der Aufschrift Black Lives Matter öffentlich verspottete und aus der Zentrale bringen ließ. Elon Musk möchte seinem politischen Lebenskampf – die Bekämpfung der Wokeness – das Krönchen aufsetzen und das Instrument vernichten, mit dem Wokeness groß wurde. Die Plattform mit dem blauen Vögelchen, die zur schärfsten und schnellsten Waffe der »Wokeness Warriors« wurde, die über Jahre in der Tendenz Rechten das Leben eher schwer machte und eine Reihe von Sprachregeln einführte, die man durchaus als »woke« bezeichnen konnte.

Elon Musk möchte jede Erinnerung an die frühere Weltwokeness-Plattform Twitter tilgen, und wenn dabei ein paar Rechte, Rechtsextreme und offensichtliche Frauenfeinde groß werden und Geld verdienen, scheint ihn das nicht nur nicht zu stören, sondern ziemlich gut in den eigenen, politischen Kram zu passen. Elon Musks Pläne, ökonomisch wie politisch, sind zweifellos größenwahnsinnig. Aber man sollte sich nicht täuschen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie funktionieren, ist nicht einmal besonders gering. Der gesellschaftliche Schaden entsteht schon jetzt: Die nächste Hashtag-Bewegung mit der potenziellen Wirkmacht von #BlackLivesMatter oder #MeToo wird entweder gar nicht erst groß – oder eine rechte Bewegung sein.