Die Gegenoffensive seiner Armee ist gescheitert: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
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In Kriegen spielt die politische Rückendeckung von Verbündeten eine große Rolle. Aber noch wichtiger sind die Entscheidungen, die auf dem Schlachtfeld fallen.

Alle Solidaritätserklärungen von US-Präsident Joe Biden, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag in Washington traf, können die unglückliche Lage für die ukrainische Armee nicht wettmachen. Ihre Gegenoffensive ist gescheitert: Die Verteidigungslinien der Russen halten, und deren Aussichten auf einen Durchbruch erscheinen derzeit größer als die der Ukrainer. Kiews Hoffnungen auf Rückeroberung der besetzten Gebiete, die zu Jahresanfang noch realistisch waren, schwinden von Tag zu Tag.

Das westliche Zögern bei der Lieferung schwerer Waffen hat ihnen die Chance geraubt, ihr Land vom Aggressor zu befreien. Mit der Blockade der Ukraine-Hilfe im US-Kongress und der wachsenden Skepsis in vielen EU-Staaten kann Selenskyj mit der dafür notwendigen Ausrüstung ohnehin nicht mehr rechnen. Sollte Donald Trump 2025 ins Weiße Haus zurückkehren, wäre die Katastrophe für Kiew perfekt.

Kein stabiler Frieden

Wenn die Fortsetzung der Kämpfe keinen Nutzen bringt, dann liegen Verhandlungen über einen Waffenstillstand oder gar über einen Friedensvertrag nahe, bei denen die Ukraine auf einen Teil ihres Staatsgebiets verzichtet. Das wäre zwar völkerrechtswidrig und moralisch abstoßend, aber besser als ein Abnutzungskrieg ohne Ende. Durch die Unbeweglichkeit der Front existiert eine klare Linie, auf die sich beide Seiten zumindest stillschweigend einigen könnten: Der Osten und Süden blieben bei Russland, der Großteil des Landes wäre unabhängig und von russischen Raketen verschont. Wladimir Putin hätte einen Teil seiner Kriegsziele erreicht, aber nicht alle.

Das Problem an diesem Szenario, das seit langem von Kritikern der westlichen Ukraine-Strategie propagiert wird, ist jedoch, dass es nicht zu einem stabilen Frieden führt. Beide Seiten würden eine Kampfpause dafür nutzen, ihre Armeen aufzurüsten. In der Ukraine würde der Verlust eines Fünftels des Landes zu innenpolitischen Verwerfungen führen, und der Kreml wird sich mit dem Ergebnis auch nicht zufriedengeben. Der Krieg könnte jederzeit neu entflammen.

Düstere Aussichten

Gibt es hier einen Ausweg? Eine Option wäre es, wenn die Ukraine nach Ende der Kämpfe formell auf militärische Gewalt außerhalb des von ihr kontrollierten Gebietes verzichtet und dafür in die Nato aufgenommen wird. Putin könnte dann nicht von Sieg sprechen und wäre von neuer Aggression abgeschreckt. Allerdings bliebe ein Restrisiko, dass die Nato in einen Krieg mit Russland verwickelt wird. Allein schon deshalb würde die für einen Beitritt notwendige Einstimmigkeit im Bündnis, die ja schon bei Schweden schwerfällt, nicht zustande kommen.

Die Alternative wäre eine einseitige Verteidigungszusage der USA, der sich Großbritannien und einige EU-Staaten anschließen. Doch auch diesen Pakt könnte ein Wahlsieger Trump am Tag eins seiner Präsidentschaft zerreißen.

Ohne ein realistisches Friedensszenario wird sich die Ukraine wohl fürs Weiterkämpfen entscheiden. Eine düstere Aussicht für ihre Bewohner und Europa, an der nur eine radikale politische Wende in Moskau etwas ändern könnte. Aber auch die ist nicht in Sicht. (Eric Frey, 12.12.2023)