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Nikolaus Blome

Rechte Parteien in der EU Wird das die letzte Europawahl?

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Pro-Europäer gegen Anti-Europäer, das ist die klare Alternative bei der Europawahl. Sie könnte in einer Blockade des Parlaments enden.
Plakat am Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg

Plakat am Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg

Foto: Ardan Fuessmann / IMAGO

Korrespondent in Brüssel zu sein, für EU und Nato, das war anfangs mein größtes Ziel als Journalist und mein Schönstes. Im buntnationalen Europa-Brüssel einige Jahre zu arbeiten, hat meinen Blick auf viele Dinge geprägt: EU-Staaten schicken Beamte in Konferenzsäle statt Armeen auf Schlachtfelder. Ihre Regeln sind eine Wissenschaft für sich, aber sie gelten für alle gleich und machen mächtige Märkte möglich. Die kontinentweite Anziehungskraft der EU ist eine spektakuläre Erfolgsgeschichte (trotz Brexit), aber ihre Größe wird ihr zusehends zum Problem. Die EU ist eine never ending story.

Lange Zeit habe ich Politiker vor allem danach beurteilt, wie sie zu Europa und der EU stehen. Edmund Stoiber war mir deshalb immer etwas suspekt, populäre Schaumschleudern wie Sebastian Kurz sowieso und die AfD seit dem ersten Tag im Jahr 2013, obwohl sie da wirklich noch nicht rechtsextrem war. Da war sie die Partei dieser Professoren, die x-fach gegen den Euro klagten und immer verloren.

Und jetzt? In weniger als 50 Tagen sind die Wahlen zum Europa-Parlament: Auf eine Art werden sie die einfachsten ever und auf eine andere womöglich die letzten. Das klingt nicht nur ratlos. Ich bin es.

Das Europa-Parlament medial zu »verkaufen«, es »sexy« für Leser und Zuschauer zu machen: Das war schon immer sehr schwer, ich weiß, wovon ich rede. Dabei zählte das zunächst zahnlose Parlament jahrzehntelang zu den Gewinnern einer jeden EU-Vertragsveränderung, weshalb heute auf den meisten Feldern ohne die gestaltungsberechtigte Zustimmung einer Parlamentsmehrheit nichts beschlossen werden kann. Doch kennt dieses Parlament keine klassische »Kanzlermehrheit«, keinen Oppositionsführer und keine festen Koalitionen – mithin nichts von dem, was zur deutschen parlamentarischen Standarderzählung gehört. Auch der beispiellose Machtzuwachs steht still, weil es eine große Vertragsveränderung nicht mehr gibt: Die 27 Mitgliedsstaaten können sich nicht einigen. Dem deutsch-französischen Duo fehlen Kraft oder Wille, Kern-Europa auszugründen. Delors und Schäuble sind tot.

»Wir gegen die«

Dieser Tage nun beginnen die deutschen Kampagnen für die Europa-Wahl. Verbände und Initiativen setzen ganz auf ein ‚Für Europa‘, weil die Stärke der Anti-Europäer sie aufgeschreckt hat und ehrlich anspornt: »Wir gegen die!« Aber auch aus Sicht der Ampelparteien und der CDU sind diese Europa-Wahlen die süßeste Versuchung, seit es welche gibt: »Wir gegen die«: Dahinter verblassen so manche eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. »Wir gegen die«: Das ist leichter zu erklären und einfacher zu verstehen als die Wirkmacht der Unterschiede zwischen SPD und CDU in einem Europa-Parlament mit sonderbaren Verfahren wie der »Komitologie« und mehreren Dutzend Parteien aus 27 Staaten. Also alles auf: »Wir gegen die«?

Das ist kein Vorwurf, das ist ein Befund. Schließlich macht die AfD keinen Hehl daraus, was sie alles vernichten will.

  • »Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt.« (Europawahlprogramm von 2023)

  • »Das undemokratisch gewählte EU-Parlament wollen wir abschaffen.« (Europawahlprogramm von 2023)

  • »Ein Austritt Deutschlands aus der Währungsunion ist aus nationalem und auch europäischem Interesse zwingend erforderlich.« (Geltendes Grundsatzprogramm von 2016).

Kurzum: Da behauptet eine Partei, sie werde die Deutschen vor Veränderungen beschützen, und diffamiert jedweden Wandel als Verschwörung, »great reset« oder »Große Transformation«. Doch dieselbe Partei formuliert als Ziele die größte disruptive Veränderung im Westen seit Kriegsende und in Ostdeutschland seit Mauerfall. Zugleich heißt es, gerade dort machten ökonomische und psychologische Nachwende-Traumata die AfD so stark.

Das verstehe, wer will. Für jeden Wahlkampf-Planer ist es jedenfalls ein no brainer. Und als saftige Zugabe hängt der Nummer 1 und Nummer 2 auf der AfD-Europaliste hartnäckig der Ruch in den Kleidern, gedungene Russen-Liebchen zu sein.

Man wird sehen, wie viel Stimmen die Anti-Europäer in Deutschland bekommen. In allen Mitgliedsstaaten zusammen werden sie vermutlich eine stattliche Größe erreichen, ihrer geradezu sektenhafte Zerstrittenheit zum Trotz. Regierungsfähig wären sie nie und nimmer, blockadefähig aber schon.

Ein deutscher Zwei-Lager-Wahlkampf nimmt also Struktur und Alltag des künftigen Europa-Parlamentes vorweg. Dort werden die pro-europäische Parteien bei Klima, Sozialem und Wirtschaft die alten, wiewohl sehr lebendigen Differenzen zwischen den Rechts-Links-Lagern überbrücken müssen, um im parlamentarischen Alltag mit den Anti-Europäern zu bestehen. Die AfD-Strategen erhoffen sich gerade davon weiteren Zulauf der Genervten und Enttäuschten – und am Ende eine ebenso geschichts- wie gedankenlose Mehrheiten für Parteien, die keine Wahlen zum Europäischen Parlament mehr wollen. Darum ist es, wie es ist, tragisch nämlich: Diese Europa-Wahl könnte tödliches Gift für die nächste sein.

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