Papst-Aussage: Ist jeder Friede besser als Krieg?

Papst Franziskus hat die Ukraine aufgefordert, die "weiße Fahne" zu hissen und Verhandlungsbereitschaft mit Russland zu zeigen, um ein baldiges Kriegsende zu ermöglichen. "Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird", sagte der Papst gegenüber dem Schweizer Radio- und TV-Sender RSI. Was für die einen Kommentatoren ein überfälliges Votum für Frieden ist, ist für die anderen völlig fehlgeleitet.

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Mychajlo Tkatsch (UA) /

Er weiß nicht, wovon er redet

Der Journalist Mychajlo Tkatsch kritisiert den Papst auf Facebook :

„Die meisten Personen des öffentlichen Lebens, die mit ihren Erklärungen zur großangelegten Invasion Russlands in die Ukraine hohe Wellen schlagen, haben ein Problem gemeinsam: Sie wissen nicht, was die großangelegte Invasion Russlands in die Ukraine bedeutet. Sie wissen also nicht, wovon sie reden. … Der Papst kann es sich selbstverständlich nicht leisten, den Westen dazu aufzufordern, der Ukraine ausreichend Waffen zu liefern, um das Sterben der Ukrainer zu verhindern. Dennoch hindert nichts den Würdenträger daran, an die Mörder zu appellieren anstatt an die, die getötet werden.“

La Stampa (IT) /

Ende der homogenen Welterklärung

Endlich eine Gegenstimme, lobt Kolumnist Domenico Quirico in La Stampa:

„Nur der Papst konnte den Mut haben, dies zu tun. ... Das Unaussprechliche zu wagen. ... Das ist die prophetische Tugend, der heilige Skandal der Wahrheit. Zwei Jahre lang haben wir zugehört, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen, und sind größtenteils untätig geblieben, oberflächlich, verstrickt im Wirrwarr der Dinge. ... Der Konflikt wütete weiter, die Toten starrten in den Himmel, der mit schallenden Raketen übersät war. Was den Krieg in der Ukraine betrifft, lebten wir unter dem erstickenden Einfluss einer homogenen Welterklärung.“

The Spectator (GB) /

Vollkommen kontraproduktiv

Nicht die Ukrainer, sondern die Russen haben es in der Hand, diesen Krieg zu beenden, rügt The Spectator den Papst:

„Er liegt falsch, wenn er die Ukraine am Zug sieht, ihre Verteidigung aufzugeben, anstatt dem Kreml nahezulegen, dessen Aggression einzustellen. … Gesegnet sind die Friedensstifter. Doch Papst Franziskus sprach die falsche Seite an. Es ist Putin, der diesen Krieg morgen beenden kann, indem er an den Verhandlungstisch kommt, nicht Selenskyj. Und indem der Papst die Kapitulation der Ukraine als einzig möglichen Weg zur Beendigung des Konflikts skizzierte, hat er den Konflikt wahrscheinlich eher verlängert als zu dessen Lösung beigetragen.“

Kleine Zeitung (AT) /

Ein echter Friede wäre ein Traum

Franziskus hat sich an die falsche Adresse gewandt, findet auch die Kleine Zeitung:

„Tatsächlich hat sich an der Ausgangslage seit zwei Jahren nichts geändert: Moskau könnte diesen Krieg jederzeit beenden. Die Ukrainer, auf deren Territorium die russische Armee eingedrungen ist, können das nicht. Außer unter der Annahme, dass man das, was in den von Russland bisher besetzten Gebieten herrscht, als Frieden definiert: Vergewaltigungen, Exekutionen, tausendfache Kindesentführung, Umerziehung. Das kann Franziskus nicht gemeint haben mit der 'weißen Fahne'. Ein echter Friede, der Sicherheit für die Menschen garantiert, wäre traumhaft. Aber die Vorschläge, wie konkret man dort hinkommen und diese Sicherheit garantieren könnte, halten sich in Grenzen.“

Jutarnji list (HR) /

Im Widerspruch zur katholischen Lehre

Jutarnji list ist von der päpstlichen Positionierung enttäuscht:

„Nicht jeder Frieden ist ein guter Frieden. Der Katholizismus lehrt, dass nur Gerechtigkeit einen wahren, gerechten und dauerhaften Frieden darstellen kann. 'Frieden ist eine Tat der Gerechtigkeit', stellte der alttestamentarische Prophet Jesaja fest. ... Jorge Bergoglio kann nicht aus seiner Haut. ... In seinem bisherigen Pontifikat hat Franziskus viel Gutes getan, aber was die russische Aggression in der Ukraine anbelangt, sind seine Standpunkte enttäuschend. Wenn man hört, was er über die Ukraine sagt, können wir in Kroatien glücklich sein, dass Johannes Paul II. in den 1990er Jahren Papst war, als es um unsere Unabhängigkeit ging.“

Alexander Minkin (RU) /

Weiße Fahne bedeutet keinen Untergang

Journalist Alexander Minkin nimmt auf Facebook den Papst vor Falschauslegungen seiner Worte in Schutz:

„Die Worte des Papstes über die weiße Fahne wurden sofort als Aufruf zur Kapitulation der Ukraine interpretiert. Dies ist eine ignorante und dumme Auslegung. Die weiße Fahne gilt international als Bitte oder Forderung nach Feuereinstellung. Sie ist Zeichen für einen Waffenstillstand oder ein Angebot von Verhandlungen. ... Verhandlungen bedeuten nicht Kapitulation. ... Und 'Kapitulation' ist ein schreckliches Wort, aber man sollte nicht so tun, als käme es dem Untergang gleich. Das ist einfach nicht fair. Eine Kapitulation ist eine Tragödie, kein Zweifel. Aber keine Tragödie, die tödlich ist.“